(tut mir leid, erstmal nur dieses Bild, bessere Fotos mit Details folgen…)
- 415 Teile
- 3 1/2 Bett- und 2 Kissenbezüge aus Omi-Nachlässen
- um 200.000 Stiche
- gut 1.200 m Faden
- geschätzt 100 Stunden Arbeit, wenn nicht mehr
- unschätzbare Beratungsarbeit von Primavera
stecken in dem guten Stück. Weil es Sterne, interstellaren Waber und jede Menge irrer, bleicher Sonnen hat und von einem fetzenfliegenden Diskurs zum Thema Arbeit begleitet wurde, nenne* ich ihn „per aspera ad astra“. Das war wirklich rauh. Ich habe völlig unterschätzt, was das für Zeit frisst, vor allem, wenn man etwas zum ersten Mal macht. Außerdem habe ich mich wieder mal völlig überschätzt, mit einem Format von 2x2m und halbgeteilten 16er-Quarters anzufangen, ist sehr sportlich. Nächste Erkenntnis: Ich bin für Free Motion Quilting (also dieses Muster-Rumnähen) nicht gemacht.
Das ist wie Klavier spielen. Gas geben, Stoff bewegen, Schwung in das Muster bringen, gleichzeitig Entscheidungen treffen, wo und wie es weitergeht… Nach einer Stunde Arbeit war mir vor Konzentration auf zu viele Dinge immer dezent übel und die Schulter schmerzte, weil der Stoff schwer ist. Die flotte Leichtigkeit, mit der die Damen in den Video-Tutorials arbeiten, geht mir völlig ab.
Ein paar Mal war ich kurz davor, alles hinzuschmeißen. Zwei Wochen lag die Arbeit auch völlig. Aber ich war zu faul, alles in den Schrank zu räumen und hatte auch Angst, bei einer längeren Pause den Faden zu verlieren. Ich bin sehr happy mit den Farben. Zuerst war mir das zu knallig, die bunten Sterne auf hellem Grund, denn beim Färben hatte ich tief in den Bunt-Topf gegriffen, ohne daran zu denken, was zusammen passt. (Außerdem hatte ich die Sterne des Ausgangsentwurfs um 50% vergrößert, sonst hätte ich mir mit dem Fummelkram die Finger gebrochen, sie wurden dominanter.)
Hell sollte die Sofadecke nach Wunsch des Grafen sein und noch mal eine dezente Farb-Komposition „Schlumpfeis an Leberwurst“ wie hier wollte ich nicht machen. Viele historische Quilts waren bunt auf hellem Grund. Keine Ahnung, warum. Vielleicht griff man zu Wäscheleinen als Grund, weil davon sowieso das meiste da war und man dann die bunten Reste besser zu arrangieren konnte.
Eins weiß ich, in der Größe gibt es so schnell keinen Nachschub und wenn, dann nehme ich mir ein Jahr Zeit und mache immer mal wieder etwas daran.
Weiter gehts. Der Freitag war der Termin von Enno Parks traditionellem Karfreitagssteakessen. Für mich ein Grund, Menschen wiederzusehen, die ich sonst selten treffe und ordentlich Fleisch zu essen. Für manche ist es eine Beleidigung ihrer religiösen Gefühle, für andere ist gerade eben das beabsichtigt.
Seit dem Beginn von Twitter, seit ich die Schotten aufmachen kann für das Reden mir völlig fremder Menschen, denke ich am Karfreitag: Ups, da haben aber welche ein Problem! Dieses tourettehafte „Tanzverbot!“-Geschrei von Leuten, die ich im Leben nie unter die Tänzer sortieren würde, das Abspulen der ältesten Konfirmandenwitze zum Thema Jesus und Nägel. Ach du liebes Bisschen! Ich mache Twitter meist spätestens um die Mittagszeit zu. Das nervt und ist mir auch ein bisschen unangenehm.
Ich frage mich, warum so viele erwachsene Leute, die aus der Kirche austraten, sobald sie aus der Fuchtel ihrer Eltern waren, nie ein eigenes und erwachsenes Verhältnis zur Religion ihrer Abstammung gefunden und ihren Frieden gemacht haben. Wer so angepiekt und pubertär reagiert, in dem ist das doch noch sehr lebendig. Wahrscheinlich lässt man die Kinder, so man welche in die Welt setzt, dann doch taufen.
Ich weiß, ich bin nicht frei von solchen Reaktionen. Bei fundamentalideologischem Hirnwäsche-Gedöns anderer bin ich schneller auf der Palme, als man sich das vorstellen kann, da sitzt die orthodox-kommunistische Erziehung zu tief in den Synapsen. Vielleicht ist das nichts anderes. Aber mich befremdet es.
Nicht mein religiöses Empfinden ist verletzt, sondern eine tiefe kulturelle Prägung meldet Widerspruch an. Das Christentum liegt wie ein Boden unter jedem meiner Schritte. Da kann ich exotische Ausflüge in Richtung Buddhismus machen und nichts kapieren von dem großen Wagen und den Kostbarkeiten und dem Goldlotus. Ich brauche nur einmal das Wort Welterlöser hören und weiß, was gemeint ist. Die Bildsprache der Altäre ist in tausend Kopien in meinem unbewussten Archiv abgelegt, so wie die Soundfiles des Halls der großen Kathedralen und als ich zum ersten Mal Weihrauch bis zur Trance einatmete, in einer tausend Jahre alten armenischen Wallfahrtskirche auf einer Halbinsel im Sewansee, begrüßte ich den Geruch wie einen alten Bekannten.
Das konnten drei Generationen Atheismus und das elterliche Verbot, eine Kirche zu betreten, nicht auslöschen. Auch wenn ich für die Religionsausübung wahrscheinlich verloren bin, weil ich nicht glaube, dass es funktioniert, genauso wie Homöopathie, ich bin zu skeptisch. Nach ein paar Wochen Katechumenat, denn ich hatte mich vor knapp zehn Jahren auf die katholische Taufe vorbereitet, habe ich es bleiben lassen. Wozu? Das Leben findet jetzt und hier statt und helfen muss ich mir immer noch selbst. Ich finde keinen Halt und Trost im Glauben an Gott. Auch wenn die Predigten in St. Michael ziemlich gut waren, ich fühlte mich fremd.
Doch es ist ohnehin mal wieder alles anders, es gibt keine einfache Wahrheit. Für viele meiner Generation und Herkunft war die Kirche eine Nische der ideologischen Freiheit. Selbst ich habe mich, trotz strengem Verbot und drohendem Mega-Ärger, zu den Veranstaltungen der Jungen Gemeinde geschlichen. Ich wohne nun am Zionskirchplatz und ich denke oft daran, was dieser Ort und das Gemeindehaus eine Straße weiter für die deutsche Geschichte bedeuteten. Dort konnten Menschen frei sprechen und denken. Denn die Kirche hatte selbst für sozialistische Herrschaftsstrukturen eine eigene, unerschütterliche Macht, war in Teilen unberührbar (wenn auch nicht uninfiltrierbar). Auch das halte ich für einen Effekt der tiefen christlichen Basis.
Antje Schrupp schrieb in dem etwas sonderbaren Damen-Gemischtwarenladen-Blog 10 vor 8 über Jesus am Kreuz. Eine Autorin, die ich sehr schätze, ein Fakt, mit dem ich mich auch sehr beschäftigt habe. Denn warum betet das Abendland eine starre Folterleiche an? Ich war ein wenig enttäuscht, dass der Text von den historischen Fakten, von Christus, dem vormaligen Paradieskönig, einen steilen denkakrobatischen Schlenker machte und tatsächlich behauptete, Gewalt wäre vor dem 10. Jahrhundert ehrlicher gewesen. WTF? Es gab immer Einen, der einem Anderen erzählte, warum man einem Dritten jetzt eins über den Schädel ziehen musste. Ich sage nur Kreuzzüge. Vor dem 10. Jahrhundert liegt nur dankenswerterweise der Schleier des geschichtlichen Quellenverlustes. (Dazu übrigens Anke Gröners Text zum Überliefernswerten, sehr wichtig!)
Antje Schrupp endet in einem abrupten „habt euch alle lieb und macht das Paradies auf Erden“, wie das Wort zum Sonntag, wenn die Sendezeit abläuft. Ein bisschen schade, nein, sehr schade sogar.
Jetzt wird es wieder weltlich. Am Ostersonntag kamen das Kind und ihr Freund ganz altmodisch auf Kaffee und Kuchen zum Elternbesuch. Da das Wetter zu schön war, packten wir den gedeckten Tisch in eine Plastikbox, holten Omas Campingtisch und Segeltuchstühle aus dem Keller und setzten uns mit Tarte Tatin, Rhabarberbercrumble, Eistee und Cremant in den Weinbergspark. Stilvoll geht die Welt zugrunde. Mit Servietten, Tafelsilber und gutem Tischleinen. Gutes Leben also.
* Quilts müssen ja immer irgendwie heißen, habe ich gelernt.