Sonntagsmäander aus dem Plumeau

(tl;nr Alle krank hier.)

Das war alles ganz anders geplant. Es sollte heute ein Kaffeetrinken mit Kind und Mann geben, abends ein Diner in schönen Kleidern und anschließend Champagner.

Ist aber nicht. Am Mittwoch legte sich der Graf morgens nach dem Aufstehen wieder ins Bett. Ihm war nicht so. Ich darf ja da nie viel machen, nicht anfassen, kaum mit ihm reden, vielleicht mal Tee hinstellen. Ich schielte immer mal zu ihm ins Zimmer, wo ein zitterndes, hustendes Bündel unter den Decken lag und schlief, und schwankte zwischen „Nun übertreibt er aber wirklich!“ und „O-o! Vielleicht doch besser einen Arzt?“.
Am Donnerstag morgen ging es auch bei mir los. Nur hatte ich erst einmal einen Termin in Charlottenburg. Den wollte ich hinter mich bringen, danach etwas einkaufen und dann ab ins Bett. Aus einer Fahrt nach Charlottenburg wurden zwei, denn der Mensch von dem Termin hatte auf einem Formular ein ungeheuer wichtiges Kreuz vergessen.
Ich nahm am Hackeschen Markt, beim Umsteigen von der S-Bahn in die Straßenbahn, noch die Notwendigkeiten mit, die uns fehlten: Kaffee, Klopapier, eine Familienpackung Taschentücher für empfindliche Nasen und ein Großpack Hustentee.
Dann stellte ich mich noch 20 Minuten in der Post in der Torstraße an, um das Formular mit dem ungeheuer wichtigen Kreuz wegzuschicken.

BTW, die Post in der Torstraße ist noch eines der wenigen klassischen Postämter in Berlin. Außen graue preußische Repräsentationsarchitektur, innen die letzten Beamten, die sich dem goldenen Handschlag der Frühpensionierung verweigert haben. Ihre Kunden sind mittlerweile die internationalen Mitte-Menschen, die selten deutsch sprechen. Als ich hierher zog, gab es noch Genervtheiten, mittlerweile haben sich die vier oder fünf älteren Herrschaften, die dort arbeiten, darauf eingestellt und sprechen Post-Fachenglisch.

Zu Hause angekommen, warf ich die Einkäufe in die Küche, kochte auch für mich eine Thermoskanne Hustentee und legte mich hin. Dann drehte es mich durch den Wolf. Mit Schüttelfrost, Glühen und Schwitzen.
Am Abend wärmte ich etwas auf, der Graf hatte den zweiten Tag fast nichts gegessen. Wir saßen uns am Tisch gegenüber, stocherten im Essen, wollten lieber den Kopf auf den Tisch legen, ließen die fast vollen Teller stehen und gingen wieder ins Bett.
Ich hatte noch vor, mir die Haare zu waschen, weil ich am nächsten Tag ein Vorstellgespräch hatte, aber ich hatte kaum noch die Kraft aufs Klo zu gehen, an Kopf unter die Dusche und nasse Mähne striegeln war nicht zu denken. Ich verbrachte die Nacht zähneklappernd unter drei Decken, nebenan hatte der Graf Fieberträume.

Am Freitag Morgen nahm ich Aspirin Complex, das lässt einen ja für ein paar Stunden ganz normal in der Spur laufen, man muss nur hinterher Regenerationszeit haben, denn die Energie kommt vom inneren Dispokonto. Ich malte ich mir irgendwie ein Gesicht auf, machte mir so was wie eine Frisur, zog etwas Bürgerliches an, ging den Weinberg herunter und absolvierte vollkommen neben mir, aber halbwegs korrekt (unter Vermeidung von Klinken anfassen, Hände schütteln und Distanzunterschreitung) das Gespräch. Ich wollte es nicht absagen, die Firma hatte ohnehin viele Wochen gebraucht, um sich zu melden, dann wäre die Luft ganz raus gewesen. Ich sah es auch eher als Infogespräch, denn es ging nicht um eine Anstellung, sondern um eine freiberufliche Tätigkeit auf Provisionsbasis. Ich wollte wissen, ob das für mich mit dem Zeitrahmen, den ich mir gesetzt hatte, funktionieren könnte. Alle um mich herum sind ohnehin skeptisch, denn das würde mir die Möhre komplett erfolgsbasierte Bezahlung mit (wenn auch geringen) Betriebskosten vor die Nase hängen. Ich kann das, ich bin eine sehr gute Vermittlerin, aber das hatte ich 2010 nicht umsonst aufgegeben.
Wir verblieben so, dass ich mal einen Vormittag zuhöre, wie das Callcenter dort arbeitet.
Ich habe in dem Gespräch natürlich den Burnout und meine Einschränkungen, eine volle Arbeitszeit betreffend, nicht erwähnt. So mies wie es mir gerade ging und wie ich auch aussah, wäre ein Gespräch zum Thema allgemeine gesundheitliche Einschränkungen vollkommen in die Hose gegangen. Die Frau (sehr interessante Lady übrigens, diese Geschäftsführerin, man kann mit einem Soziologiestudium auch erfolgreiche Unternehmerin werden) hätte mich wahrscheinlich für eine lebende Leiche gehalten, so was verstärkt sich ja gegenseitig.
So ging sie durch die Biografie, die nun mal keine klassische Arbeitnehmerbiografie ist und pickte sich hier und da etwas raus. Was ich ihr nur sagen konnte war: Ich habe für alles, was ich mache, einen Grund. Kohle verdienen und von der Straße weg sein, ist in der Regel nicht der einzige. Ich will etwas mitnehmen und lernen. Da kam natürlich dann auch irgendwann der klassische „Und was machen Sie dann eigentlich hier?“-Ausdruck in ihr Gesicht.
Naja, egal.
Ich ging auf dem Rückweg nach Hause noch in die Bibliothek und holte mir drei fette Schmöker.

Wieder im Bett und nach einigen Stunden Schlaf kurz aufgewacht, googelte ich. So schlecht ging es mir zum letzten Mal vor 12 Jahren, als ich mir etwas im Flieger aufgeschnappt hatte. So, wie sich diese Erkältung anfühlte, mit dem komischen Husten, den starken migräneartigen Kopfschmerzen und dem sehr hohen Fieber war das wohl eine klassische Virusgrippe. Was man halt so beim U-Bahn fahren aufschnappt. Hrmpf. Hoffentlich hatte ich niemanden angesteckt.
Dem Grafen ging es an Tag drei wieder besser und er saß zumindest für ein paar Stunden im Sessel, sah allerdings immer noch sehr elend aus. Ich konnte nichts essen und nicht lesen, sondern schlief nur, das ist ein Zeichen, dass es wirklich ziemlich ernst ist.

Am Freitag nachmittag rief mein Vater an. Leider konnte ich ihm nur begrenzt die Ohren volljammern, um bemitleidet zu werden, denn er berichtete mir, dass er die Mutter vor ein paar Stunden ins Krankenhaus gebracht hatte.
Mist. Ihr ging es schon seit Wochen nicht gut, sie fühlte sich schwach und elend und brachte das mit den Betablockern in Zusammenhang, die man ihr verschrieben hatte.
Nun muss man wissen, dass meine Mutter aus irgendeinem Grund von Ärzten nie ernst genommen wird. Sie hat nicht das sehr präsente Krankheitsdrama-Auftreten ihrer Mutter Charlotte, sondern wird, je schlechter es ihr geht, immer leiser. In der Regel bekommt sie ein beherztes „Ham sie sich nicht so und nehmse ihre Tabletten, wir fühlen uns alle mal nicht gut!“ zu hören.
In den letzten Jahren wurden ihr zweimal sofort nach dem Messen des Blutdrucks Betablocker verschrieben. Ältere Frau, hoher Blutdruck, Standardtherapie, kann nicht schaden. Nur hat meine Mutter bis auf einige wenige Ausnahmen, wenn sie beim Arzt aufgeregt ist, wenn es zu heiß ist oder so, gar keinen hohen Blutdruck. Von den Betablockern geht es ihr scheinbar nur extrem Scheiße. Es gab weder eine 24-Stunden-Blutdruck-Kontrolle noch irgendeine andere Maßnahme, mal zu schauen, was ihr Körper da überhaupt macht.
Nachdem sie in den letzten zwei Wochen dreimal beim Arzt war, wegen extremer Schwäche und Schmerzen in der linken Schulter, wurde beim dritten Mal(!) ein Blutbild gemacht . Mit dem Ergebnis, dass sie am nächsten Tag morgens um 7 Uhr angerufen und dringend einbestellt wurde und drei Stunden später im Krankenhaus war. Sie ist schwer anämisch und bisher weiß man nicht, warum.
Verdammter Mist.

Hier ging das Krankenlager weiter. Zumindest konnte ich gestern wieder etwas essen. Der Graf hatte Chicken Madras vom Inder an der Ecke geholt. Aber einfach so rausgehen ist noch tierisch anstrengend.
Ich verbrachte den Tag mit Lesen und mal kurz die Augen zumachen, worauf meist wieder drei Stunden vergangen waren. Auch der Graf schlief fast den ganzen Tag.
Man kann sich dem einfach nur ergeben, vor sich hin jammern und warten, dass es wieder aufwärts geht.
Frühstück mit den Kindern, Diner und Champagner sind nur verschoben, aber nicht aufgehoben.

Sonntagsmäander im kalten Matsch

[TW: Bin heute völlig grundlos etwas grummelig und schwafelig. Der Text könnte daher zu lang sein und Spuren von Zynismus enthalten.]

Während in New York jede Menge Schnee Ausgangsperren und Gesundheitswarnungen fürs Schneeschippen bringt, machen sich die Polizei und Snowboarder einen Spaß:

Was mich an eine Erinnerung erinnert – als ich zwischen den Jahren „Zurück in die Zukunft“ sah, dachte ich an die Skateboarder, die sich in den 90ern auf dem Kudamm an Bussen und LKWs festhielten.

Zum Thema „Die Polizei tut wilde Dinge“. Berliner Polizei hat mit 500 Leuten ein besetztes Haus umgekrempelt, nachdem ein Beamter beim Autos kontrollieren geschlagen wurde und die Schläger in diesem Haus verschwanden. Große Empörung. Nee, nett ist das nicht. Aber ich habe das Gefühl, dass die, die sich so empört haben, diese Geschichte im sonntäglichen Tatort oder einer amerikanischen Serie ziemlich geil gefunden hätten.

Der Stamp Quilt hat einen Abnehmer gefunden, was mich sehr, sehr freut. Ich bin mit dem Steppen fast fertig. Natürlich frage ich mich mittendrin wie immer, warum ich auf schöne Steppmuster Wert lege. Es ist nämlich eine brachiale Arbeit, so ein Monster durch die Maschine zu trecken.
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Er hat Wellen bekommen
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und kleine gestickte Fische. Das Kissen und das Tragegeschirr fehlen noch, damit es ein richtiger Schlafplatz wird.

Wenn wir beim Wasser bleiben. Dirk Franke bloggt bei Iberty.net (unter anderem) über Schwimmbäder.
Ich war am Montag wieder in der Gartenstraße. Von der Zeit her habe ich mich immer noch nicht wesentlich verbessert, was mich kreppt. Aber ich bin mit Brustschwimmen genauso schnell wie junge dünne Männer beim Kraulen. Ich habe mich noch mal ein bisschen auf Technik konzentriert. Es ist wunderbar, mit langen, spannweiten, enorm Kraft sparenden Zügen unterwegs zu sein. Es gab am Montag Momente, als die Sonne schräg durch Wasser schien, da fühlte ich mich wie ein großer alter Rochen. (Das Gefühl des Altsein kommt vielleicht daher, weil ich solche Dinge zum zweiten, dritten, vierten Mal erlebe und mich freue, wenn ich sie wieder erringe.)

Für die Nähnerdessen könnte das, was Frau Indica schreibt, interessant sein. Sie war nämlich auf der Curvy  (Insgesamt 3 Blogposts). Die Curvy ist eine Messe für Kleidung für Frauen jenseits von Normgröße. Warum das nun Curvy is Sexy heißen muss, weiß ich nicht. Mir kommt das wie „ich bin fett, aber trotzdem f…ckbar“ daher, gemeint ist es aber sicher als „wir wollen keine Säcke tragen“. Ja nun.
Vor allem bei Anna Scholz schaue ich sehr aufmerksam hin, wie die Schnitte konstruiert sind – wo ist die Taille, was macht sie mit Abnähern etc. Wobei mir die Konstruktionen nicht hundertprozentig passen. Ihre imaginierte Frau hat viel mehr Busen und Hintern als ich. (Aber der Skater-Rock aus blümchenbedrucktem schwarzen Neopren!)
Kaufen würde ich das nicht mehr. Es ist Konfektion, ich habe weder Einfluss auf die richtige Passform, noch auf Innenverarbeitung und Material.

Für andere Menschen, die die Welt der Nähnerds interessieren könnte: Muriel von Nahtzugabe 5cm hat mittlerweile 14 Podcasts über nähende Frauen auf ihrer Seite stehen. Wer die hört, dem sollte endgültig klar sein, dass das Klischee des nähenden Hausmütterchens nicht stimmt.

A propos Haushalt. Ich habe jahrelang einen Ersatz für die De Longhi-Vaporiera aus den 80ern gesucht, mit der ich bei Heman gekocht habe und bin endlich fündig geworden. WMF hat eine Serie kleine kompakte Haushaltsgeräte aufgelegt. Mit dabei ist ein knuffiger zweistöckiger, getrennt programmierbarer Dampfgarer, den ich nun zum Geburtstag bekomme. Beim Internet-Großkaufhaus gibt es ihn momentan auch recht günstig. (WMF Küchenminis Dampfgarer – Affiliate-Link)

Machen wir einen Sprung zu Männern. In meiner Filterblase scheinen sie momentan europaweit so etwas wie unkontrollierbare, triebgesteuerte Affen zu sein, denen frau mit Mühe etwas angezogen hat.
Bei Edition F beklagt sich eine anonyme Autorin bei ihrem Vater, warum er die alltägliche sexualisierte Gewalt (die url spricht sogar von Missbrauch) gegen Frauen ignoriert und belegt das mit vielen eigenen Erlebnissen. Sie verlangt von ihrem Vater, sich damit auseinanderzusetzen, was es für sie bedeutet, eine Frau zu sein. Er habe Verantwortung übernommen, als er sie in die Welt gesetzt habe.
Nun ist diese Frau, dem Schreibstil nach zu schließen, längst erwachsen und für sich selbst verantwortlich. Ok., der Vater scheint selbst zu bloggen und vor allem über „Genderwahn“.
Sehr dramatischer Post, der mir  – was – sagt? Dass in Frieden, intakten Bindungen und Wohlstand aufzuwachsen nicht unbedingt die eigene Verantwortungsfähigkeit und Resilienz stärkt? Dass um mich herum Sodom und Gormorrha herrscht, ich habe es nur noch nicht gemerkt? Warum leben wir Frauen dann noch nicht zusammen wie die Amazonen und benutzen Männer nur noch zu Botengängen und zum Kinderzeugen? Warum ist für die meisten Frauen die Hochzeit trotzdem der größte Tag im Leben? Warum leben dann Frauen nach der Geburt der Kinder in finanzieller Abhängigkeit vom Mann? Warum tun sich Frauen freiwillig mit unzivilisierten, brutalen Monstern zusammen?
Da ist mir im Moment ein bisschen zu viel Larmoyanz unterwegs.

Bleiben wir bei Männern und Frauen. In einem Prozess wird Mutter und Tochter vorgeworfen, dass sie durch Vernachlässigung den ungeliebten Familienvater an Suff und Folgeschäden krepieren ließen wie einen Hund. Die beiden waren über den Tod des Familienoberhauptes sehr erleichtert, endlich waren sie aus der Falle der Co-Dependenz entronnen.
Doch ihr Handeln wird von der Staatsanwaltschaft als Mord durch Unterlassen interpretiert. Ihnen drohen langjährige Haftstrafen.
Nein, es ist umgekehrt.

Widmen wir uns nun differenzierteren Betrachtungen. Es gab in Europa eine Zeit, in der Männer beim Anblick eines versehentlich entblößten weiblichen Knöchels der Angebeteten hyperventilierten und Frauen in sonderbaren Spasmen in Ohnmacht fielen. Alles Sexuelle außerhalb der Ehe war verboten – zumindest für normale, gläubige Christen. Vorbei die Zeit der losen Sitten in Badehäusern, vorbei die Zeit der Ausschweifungen an Fürstenhöfen. Die Bürger der sich industrialisierenden Vormoderne sollten keusch sein und sich beherrschen. Die Frau, die ihren Weg kreuzte, auch wenn sie nicht mit einem Beschützer unterwegs war, war unantastbar. (Das galt nicht unbedingt für Dienstmädchen, Wäscherinnen und Bauernmädchen. Da konnte man sein Glück probieren. Die standen außerhalb der Respektswelt.)
Als ich letztens endlich einmal Stolz und Vorurteil las, gruselte es mich. Die dumme Schwester der Heldin brennt mit dem falschen Mann durch und lebt mit ihm ehelos zusammen. Fazit der Familie: Das ist der gesellschaftliche Ruin. Sie wäre besser tot. Der Vater reist dem Paar hinterher, was die zurückbleibenden Frauen der Familie seinen Tod befürchten ließ, denn um die Ehre der Familie zu retten, muss er den jungen Mann zum Duell fordern. Aber es gibt aber eine Ehrenrettung in Form von viel Geld und einer hastigen Trauung.
In der Erfolgszeit dieses Buches unternimmt Napoleon seine ägyptische Expedition und das gebildete bürgerliche Europa phantasiert von den wunderschönen, leicht bekleideten Frauen des Orients. Das Verhältnis der Osmanen zum Sex im Vergleich zu den Europäern verhielt sich vor reichlich 200 Jahren umgekehrt zu dem, wie wir es heute erleben.

Wenn es nur nicht so verdammt zwiespältig wäre. Natürlich haben die herzhaft zugreifenden Herren vom Kölner Bahnhofsvorplatz Respekt vor Frauen. Vor denen, die es wert sind, dass sie sie einmal heiraten. Und diese Frauen halten ihren Körper bedeckt, achten auf ihre Jungfräulichkeit und schauen Männern nicht einfach so in die Augen. Das ist eine völlig andere Definition des Werts einer Frau.
Bisher haben die Konsequenzen dieser kulturellen Kluft vor allem selbstbewußte junge Frauen aus nichteuropäischen Migrantenfamilien getragen. Im Moment schwappt es über, wird aber auch überzeichnet. Fremde, die sich an Frauen ver-greifen, das ist eines der archaischsten Konflikt-Motive. Das triggert jeden und jede.
Ich bin sonst keine Freundin von Frauenbewegungs-Feministinnen, aber ich finde einige Fragen Fragen, die Eva Quistorp stellt und die über die Silvesternacht in Köln hinausgehen, ziemlich berechtigt. Auch wenn sie die Zahl von 80% junger Männer unter den Flüchtlingen wiederholt. Sie fragt, wer eigentlich diesen jungen Männern Partnerin sein soll.
Klar, man könnte genauso abwiegeln, wie man das abwiegelte, als es um Gastarbeiter ging. – Ist doch deren Sache. Ist es nicht, wenn wir nicht demnächst wieder victorianische Verhältnisse haben wollen.

Veröffentlicht unter Leben

MMM mit buntem Tweed

Der schmale Tweedrock tauchte ja im Lieblingsstückpost letzte Woche schon einmal auf.
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(Es ist übrigens immer wieder eine Übung für mich, naturbelassene Fotos zu machen. Einfach so geschossen, ohne richtiges Licht, kurz vorm Losgehen und dazu nicht richtig gesund, was man sieht. Da schlägt der Perfektionsanspruch des Berufes immer wieder durch. Aber das nur am Rande.)

Der dunkelbraune Fischgrat-Tweed, der bestimmt 100% Acryl ist, sprang mich beim vorweihnachtlichen Stoffmarktbesuch an und wollte auf den Arm. Ich habe ihn auch noch einmal mit schwarzer Grundfarbe gekauft, das soll ein Etuikleid werden, wenn ich denn mal den Schnitt passend bekomme.
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Das klassische Web-Muster, das ich schon naturbelassen sehr mag, ist mit verschwommenen Blüten bedruckt. Darüber liegen noch einmal dunkle, grafisch aussehende Streifen, auf die ich auch gern verzichtet hätte, denn sie sind aus Flockenmaterial (so wie bei beflockten T-Shirt-Motiven) und machen den Stoff etwas steif. Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum der Stoff für 3 Euro das Meter auf dem Markt auftauchte.

Zuerst hatte ich unglaubliche Pläne, aus dem Stoff einen kurzen Tournürenrock zu machen. Und dann fragte ich mich, ob ich denn wirklich wie ein kleines Zirkuspferd ausstaffiert meine Weihnachtseinkäufe machen will.

Quelle: https://curiousoddities.wordpress.com/tag/ruff/

Der klassische Konflikt zwischen Kopf- und Herznähen also.

Für den Schnitt habe ich dann meinen schmalen Rockgrundschnitt benutzt, den ich nach Memas Anleitung angepaßt habe. (Memas Blog ist für mich übrigens ein hervorragender Wissensspeicher. Vielen, vielen Dank an die Autorin!)
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Ich mag es gern körpernah, habe derzeit aber keine Lust auf aufwändig zu fertigende und das Hinterteil abkühlende Schlitze. Deshalb habe ich hinten ein Godet eingefügt.
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Dafür habe ich ein halbes Oval aus dem Schnitt genommen und aufgedreht. (Beim Wiedereinfügen – Überraschung! – war das aufgedrehte Teil viel größer geworden. Das gab noch zwei tief eingelegte Falten.)
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Hinten habe ich nach der Nähschlampenmethode einen Reißverschluss und wie immer – statt eines Knopfes – Haken und Öse eingefügt. Ein nahtverdeckter Reißverschluss hätte mir zu sehr aufgetragen.
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Der obere Abschluss ist nur ein Beleg, damit der dicke Stoff nicht so aufträgt. Wo Beleg und Rock zusammengenäht werden, habe ich ein festes schmales Baumwollband mit gefasst, damit der Bund nicht ausleiert.
Sonst setze ich einen Bund an, mache ich einen Formbund hinten und seitlich füge ich breites Gummiband ein, damit sich ein Rock meinem klimakteriumsbedingt mondartig veränderlichen Taillenumfang anpasst. Mit dieser Schnittlösung, die sich nicht anpasst, saß der Rock nach Weihnachten drei Zentimeter zu tief. Das kanns geben.

Das Innenleben ist wie immer kommod. (Das mag ich am Selbernähen, nicht auf das unbequeme Innenleben billiger Konfektion angewiesen zu sein.)
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Die Stoffkanten sind mit Bändern gefasst und der Saum ist per Hand angenäht. Wenn ich dann noch graues Garn gehabt hätte… aber lassen wir das. Der Futterstoff ist ein rutschiger Baumwoll-Viskose-Mix, den ich einmal völlig verfärbt hatte. In dem Grau, das beim Entfärben übrig blieb, ist er gut als Futter geeignet.
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Das Futter ist an den Beleg genäht und ich habe diesmal sogar gleich daran gedacht, Aufhänger mit zu fassen.

Fazit: Ich glaube, ich brauche noch 1-2 schmale Röcke, wenn sie so bequem sind wie dieser. Machen Bella Figura, brauchen nicht viel Stoff und sind genauso schnell zu nähen.

Die anderen Damen und ihre Kleider am Me Made Mittwoch sind hier zu finden.

Sonntagsmäander im Winterwunderland

So mag ich den Winter in Berlin. Ein klein bisschen Schnee, so dass die Kinder ein, zwei Tage den Weinberg um die Ecke runterrodeln können, weiße Verzauberung auf den Platanen vor dem Fenster, Hundekacke und Sperrmüll gnädig zugedeckt. Bloß nicht zu viel, damit die selten geräumten Trottoirs keine Eispanzer bekommen und die schneeungewohnten Autofahrer nicht auf den Straßen rumschusseln und alles lahmlegen (BTW. neuestes Berliner Straßenverkehrsfeature sind Radfahrer mit Kindern, die auf vereisten Straßenrändern jeden Moment in den Autoverkehr zu stürzen drohen.)
Wenn dann noch wie gerade eben kurz die Sonne rauskommt, wie ist für ein paar Stunden alles paradiesisch und die Kugel vom Fernsehturm ist oben wirklich mit Schnee bedeckt.
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Die Woche begann für mich nicht so paradiesisch. Ich stand am Montag auf, freute mich darauf, schwimmen zu gehen, horchte aber in mich rein und stellte fest: „Oh, das wird wohl eine Erkältung, geh besser nicht schwimmen!“ Ein längerer Spaziergang würde es auch tun. Eine Stunde später legte ich mich mit Fieber ins Bett.
Ich hatte für den Dienstag vor einem halben Jahr etwas vollkommen Unaufschiebbares zugesagt, für das ich 7 Stunden fit sein musste. Diesen Tag stand ich dann auch durch, um danach wieder im Bett zu verschwinden. Seit Donnerstag bin ich wieder halbwegs auf den Beinen, aber weder die AnNäherung Bielefeld (für Nicht-Nähnerds: ein Wochenende, an dem 30-40 Menschen an Nähmaschinen sitzen), wo ich relativ weit oben auf der Warteliste stand, noch eine Fahrt zu Primaveras Geburtstag waren denkbar. Es zieht mich immer noch aufs Sofa unter die Kuscheldecke und die Nebenhöhlen brauen Bakteriencocktails und draußen attackieren mich die eigentlich gar nicht so zahlreichen Haselpollen heftig. Aber es gibt Schlimmeres.

Die Echokammer Twitter ist mir seit Silvester verleidet. Zu schrill, zu laut, zu viel Agitprop und allgegenwärtige Couch Coaches.
Als mir ein Tweet in die Timeline gespült wurde, in dem eine Freu meinte, die Flüchtlinge hätten sich schnell integriert, sie hätten sogar gelernt, wie in Deutschland sexuelle Belästigung ginge und das definitiv nicht ironisch meinte, war ich dort weg. (Mal ganz abgesehen von den ganzen Deutschmenschen, die es immer wieder von Facebook dorthin zieht, weil sich da noch besser verbal zuhauen lässt, aber die gehören nicht zu meiner Filterblase.) Das ist mir einfach zu blöd.
Natürlich kann ich jetzt öffentlich Meinung haben. Hab ja nicht umsonst eine Menge Kulturgeschichte studiert. Muss ich aber nicht.
Statt dessen erzähle ich eine kleine Geschichte. Ich hatte eine Freundin, die in Zittau völlig ohne Westfernsehen aufwuchs. Sie kannte den Westen aus Erzählungen, aus politischer Propaganda über den faulenden, sterbenden, dekadenten Kapitalismus (diese Propaganda war voll von aggressiven und sexualisierten Projektionen) und der einen oder anderen bunten Zeitung – Anfang 80er, die Zeit der Tittentitelblätter. Als sie dann ins Oderkaff kam, sah sie erst einmal jede Menge Westfernsehen und war enttäuscht. Sie hatte erwartet, dass dort Pornos laufen und nicht ganz normale Filme und dass in den Nachrichten ganz normale Straßenbilder zu sehen waren und nicht Menschen, die nackt unterwegs waren und es an jeder Ecke bunt durcheinander miteinander trieben, wunderte sie noch mehr.
Mir ging es nicht ganz so. Aber auch ich war nach dem Mauerfall erstaunt, dass der Westen so extrem sexualisiert war, dass Sex und objektifizierte Gespielen ständig durch die Luft schwirrten, aber das meiste in den Köpfen oder mit Worten stattfand und nicht getan wurde.
Irrtümer und Kollisionen über intime Themen passieren immer, wenn sich Menschen aus unterschiedlichen Kulturen vermischen. Siehe die gern kolportierte Geschichte über die schnell knutschenden Amerikaner, die die Engländer ob der überfallartigen Intimität völlig schockierten, wohingegen die Amerikaner die Engländer für die totalen Schlampen hielten, weil bei denen nach dem Knutschen sofort Sex kam.
Wenn für die obere Eskalationsstufe zu sexuellen Handlungen nicht bedeckende Kleidung reicht, dazu öffentliches Auftreten ohne aggressive Begleiter und Beschützer – plus Alkohol, plus Gruppen-Macker-Weristdercoolstetyp-Verhalten, plus nicht vorhandene (aber in der Kultur der Täter übliche) drastisch strafende Korrektive und Autoritäten, passiert so etwas wie zu Silvester.
So leid mir die betroffenen Frauen tun, besser es fliegt uns allen so unübersehbar und nicht bagatellisierbar ins Gesicht, damit sich eine Gesellschaft damit auseinandersetzen kann, als wenn Gerüchte über Gerüchte sich in sozialen Netzwerken ins Groteske verzerren und nur den reaktionären Hinterwäldlern in die Hand spielen. (Von den sich tagelang die Ohren zuhaltenden, Lalala singenden Leuten und von vollkommen deplatzierten Derailingaktionen wie: Wir leben doch schon immer in einer Rape Culture! ganz zu schweigen.)

Ich habe nie einen Hehl daraus gemacht, dass ich die Spracheuphemismen der Netzaktivisten und im letzten Jahr auch der klassischen Medien für gefährlich hielt (darüber schrieb ich dann nicht mehr, weil mir die Rechthaber zu aggressiv geworden waren, ich las monatelang fast keine Zeitung mehr, weil sie alle klangen wie die Staatsberichterstattung der DDR, null substanzielle Information und jede Menge Hype).
Wer Angst davor hat, über kurzzeitiges taktisches Schweigen hinaus, öffentlich über ein Thema zu sprechen, hat die Macht darüber verloren.
Ich bin in einer Gesellschaft aufgewachsen, deren offizielle Kommunikation jahrzehntelang eine Camouflageaktion war. Bis zum Zusammenklappen der DDR schrieben die Zeitungen und berichtete das Fernsehen in einem Stil, der in jedem Wort die Wunschgesellschaft beschwor und beschrieb. In der Hoffnung, dass dies das Denken der dummen, trägen Masse beeinflussen möge und in der Angst, dass unliebsame Wahrheiten dem politischen Gegner in die Hände spielen. Das funktionierte nicht.
Auch in meinem familiären Umfeld wurden unliebsame, nicht ins fortschrittliche Weltbild der Sieger der Geschichte passende Ereignisse beschwiegen oder verdreht. Es gab ausgedehnte Tabuzonen und Redeverbote. Die Sowjetarmee bestand da aus freundlichen, kultivierten Offizieren und folgsamen, netten Soldaten. Trotzdem warnte mich meine Mutter davor, zusammen mit den Jungen des Viertels zu den Wachposten an der Kaserne zu gehen und Zigaretten gegen Munition zu tauschen. Die jungen Männer könnten durch mich pubertierndes Mädchen sexuell aufgereizt und zu Untaten gebracht werden, die drastischen Strafen dafür wollte man ihnen ersparen.
In der DDR lebende Afrikaner waren durchweg „wissbegierig und natürlich intelligent“. Nebenher erzählten sich die Genossn die (urbane Legende?) Geschichte von der empörten Frau, die ein Parteiverfahren wegen sexuellem Mißbrauch anstieß, nachdem sie in der Partynacht auf einer Partei-Weiterbildungsfahrt mit dreimal einem netten afrikanischen Studenten geschlafen hatte und am nächsten Morgen mitbekam, dass es nicht einer dreimal hintereinander sondern drei verschiedene Männer waren, die die Verwechslung sehr goutierten. (Höhöhö! Unverhofft kommt oft! Schenkelklopfer!)
Ich erzählte meiner Mutter von einem Ereignis, das sich 40km vom Oderkaff entfernt abgespielt hatte. Die Sowjetische Armee hatte an einem Sonntag ihre Übung vom nahen Truppenübungsplatz ausgeweitet und Luftangriffe auf eine Wochenendsiedlung daneben geflogen. Meine Jugendliebe und seine Familie waren wie alle anderen schreiend in die Häuser gerannt. Meine Mutter drehte sich weg und sagte: „Das kann nicht passiert sein!“
Wo und wie so eine Gesellschaft endete, als die Realität in ihre offiziellen Legenden einbrach, wissen zumindest alle Deutschen über 40. Nur gibt es diesmal kein Fallback in Form eines wirtschaftlich stärkeren Nachbarstaates.
Analysieren und handeln, wo handeln funktionieren kann, ist allemal besser als schwafeln und mit Mimimi in Schutzräume flüchten. Ich glaube, die Fluchtbewegung nach Europa ist auch durch Grenzschließungen nicht aufzuhalten. Die Ereignisse des letzten Jahres und des nächsten werden Europa wahrscheinlich nachhaltiger ändern als der Fall des Eisernen Vorhangs.
Und vielleicht wird Angela Merkel in der Geschichte eine ähnliche Funktion haben wie Michail Gorbatschow. Eine angesehene, aber nicht von allen geliebte Person, die einen Hebel umgelegt hat und unumkehrbare Veränderungen veranlasste.
(Edit: Harmoniesüchtiges Schweigen und Nebelkerzen werfen rächt sich jetzt schon. Die Fortschritte, die Flüchtlingssituation zu ordnen, werden über dem Thema Köln nicht mehr gesehen.)

Das soll es dazu gewesen sein. Ich bin über ein paar Artikel gestolpert, die ich interessant finde:
Sybille Berg über Frauen und ihre selbsternannten Beschützer
Eine Besprechung von Daniele Gigliolis Essay „Die Opferfalle“, den ich daraufhin für ziemlich lesenswert halte.
Und ein aktueller Artikel von Bernd Ulrich in der Zeit zu Köln und den Folgen.

Weiter gehts mit Handarbeit. Vor Weihnachten scheitere ich mehrmals. 1. an einem Burda-Modell für üppigere Frauen, weil entweder das Probeteil zu weit oder zu eng war. 2. weil ich nicht in der Lage war, das schöne Fake-Wickelkleid, dass Frau Crafteln in „Geschickt eingefädelt“ nähte, von Größe 42 (nenn es Schlankmacherkleid und setze es in die Promotion-Beilage zur Burda in den Größen 38-42, kannste dir nicht ausdenken) auf meine Maße zu gradieren und einen beulenden Sack produzierte.
Ich habe null Bock, mich um Passformprobleme zu mogeln, indem ich Jerseysäcke zu nähe oder mich womöglich damit beschäftige, meinen Körper auf Konfektionsmaße zu optimieren.
In den letzten 2 Wochen habe ich deshalb in freien Stunden Schnittkonstruktion gelernt. Aber bis ich das anwenden kann, wird es noch viele Probeteile geben.
Deshalb gibt es nun erst einmal eine Erfolgserlebnis-Zäsur. Ein Stamp-Quilt in vielen Blautönen, der mit Kissen und Tragebändern wieder einen transportablen Schlafplatz ergeben soll.
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Ach so und die Baustelle Internet gibt es immer noch, da der Wechsel zu einem anderen Anbieter oder in einen anderen Vertrag sich schwierig gestaltet. Nun sind es nicht mehr die Probleme mit der DSL-Synchronisation, sondern das Netz wird (je nach Tagesform) binnen Stunden immer langsamer, bis gar nichts mehr geht. Nachdem der Router neu gestartet wurde – was heißt, neue IP-Adresse, neuer Port in dem Schaltkasten unten auf der Straße – läuft es wieder einige Zeit. (Das wird sicher auch nicht anders, wenn der Vertragspartner jemand ist, der die Leitungen von der Telekom mietet.)
Nervend. Aber vielleicht bin ich da auch zu anspruchsvoll. Der Graf kann immer noch auf seine LTE-Devices ausweichen. Mein mobiles Datenvolumen war immer sehr knapp gehalten, weil ich vor allem zu Hause im Internet war. Die Nachbarn hingegen meinten, dass das WLAN manchmal nicht ginge und dann nähmen sie sich ein Netzwerkkabel oder warteten ab… Alle anderen haben auch schon eine Vertragskündigung bekommen und sind auf IP-Telefonie umgestellt worden. Was wir noch abwarten wollen, da es derzeit immer wieder lange Ausfälle im überlasteten Netz gibt. Könnte durchaus sein, dass ich demnächst einen Homeoffice-Job mit viel telefonieren mache, dann muss das funktionieren.

Das wars. Jetzt geht es hier weiter mit Kaffee und einem Rest Weihnachtsstollen.

Veröffentlicht unter Leben