Archiv für den Monat: September 2013
Partyvorbereitung Feigentarte
5. September
Mit dem Mann kurz vor sieben Uhr aufgestanden, ihn mit Kaffee versorgt. Langsam unter Zuhilfenahme von kalter Dusche, Kaffee und Obstjoghurt selbst aus dem Zwischenreich hochgefahren.
Vor 9 Uhr am Schreibtisch.
Blogartikel konzipiert. Noch mal kurz über die letzten MMM-Mädels geschaut.
Mittellanges Telefonat mit dem Fotografenfreund, dessen Website ich neu aufsetze. Letzte Details geklärt, bis nächste Woche Dienstag soll sie fertig sein, mit der Arbeit begonnen. Dann für eine andere Website recherchiert.
Traurige Nachricht Nr. 1, die Freundin einer Freundin betreffend, erhalten.
Blogartikel geschrieben.
Einkaufsplan für heute und Küchenplan für morgen geschrieben – für das Fest am Samstag. Mittags Reiswaffeln mit Avocado und Mortadella, dazu ein Rest Honigmelone.
Alles eingekauft, was nicht morgen der Biokistenmann bringt. Auch wenn die Taschen schwer sind, ich genieße die Spätsommersonne. Der Graf hat mich von weitem gesehen und kommt mir entgegen, um mir tragen zu helfen.
Ich war gestern joggen und habe heute das Schilddrüsenhormon etwas reduziert, davon bin ich schwer und müde, aber nicht weniger leistungsfähig.
Post vom Sozialgericht. Die Rückforderung des Jobcenters ist noch immer nicht aus der Welt. Ich hatte vor zwei Jahren von den Einkünften eines Jobs Schulden bezahlt, statt davon zu leben. Schulden, die ich machte, damit ich ich Monate vorher – krank und ohne Einkommen – meine private Kranken-, Berufsunfähigkeits- und Rentenversicherung in voller Höhe zahlen konnte. Das will man mir nicht anerkennen. Ich werde stur bleiben und habe nicht die geringste Lust, dafür einen Anwalt zu bezahlen.
Auspacken, noch ein Kaffee, ich arbeite ich langsam in der Küche warm. Mail von LaPrimavera: Sie hat Brombeeren und Ebereschen gepflückt und es kostet sie einiges an Überwindung, morgen aus ihrem ländlichen Paradies zu uns in die Stadt zu kommen. Ich habe volles Verständnis dafür.
Gute Nachricht vom Grafen: Es gibt einen schönen Artikel in der Neuen Osnabrücker Zeitung über Stories & Places.
Ich koche Tomatensuppe für Samstag vor und mache eine Tarte mit Broccoli, karamellisiertem Knoblauch und Schinken.
Wir essen die Tarte und trinken ein Glas Wein, es dämmert.
Ich bereite einen Boden für New York Cheesecake aus zerkrümelten Haferkeksen und Butter vor, schiebe ihn in den Ofen und beantworte die Twitterumfrage des ZDF. Unterhaltung mit dem Grafen, welches Hotel wir in Leipzig für das nächste Wochenende nehmen. Ich erinnere mich an ein paar Häuser aus meiner Geschäftsreisenzeit, aber nur schwach.
Mir fällt auf, dass der Küchenwecker nicht mehr tickt. Wann hat er geklingelt? Die Küche ist blaugeraucht, der Kuchenboden dunkelbraun bis schwarz. Ich stelle ihn fluchend raus aufs Fensterbrett und die Dunstabzugshaube auf äußerste Stufe.
Traurige Nachricht Nr. 2 aus dem Freundeskreis. Sehr traurig.
Und nun? Früh zu Bett, ich habe den Mittagsschlaf vergessen.
Die anderen 5. September gibt es hier.
Auf Neuland mit den Anderen
Ich kenne eine Person, die hat feste Werte und Prinzipien. Wenn diese Person mit jemandem zu tun hat, der diese Werte und Prinzipien nicht teilt, sei es durch Worte, Bilder, Handlungen, gibt es zunächst eine Diskussion, in der diese Person ziemlich eindringlich versucht, das Gegenüber von seinen Werten und Prinzipien zu überzeugen. Auch wenn das Gegenüber diese Diskussion weder will, noch sie irgendwie überhaupt in die andere Konversation passt.
Gelingt das nicht – das Gegenüber sieht oft trotz überzeugender Argumente keinen Anlass, von seiner Meinung zu lassen – distanziert sich diese Person konsequent und absolut. Sie ignoriert das Gegenüber den Rest der Zeit, spricht nicht mehr mit ihm und meidet Orte, an denen sie das Gegenüber wieder treffen könnte. Was sie nicht tut – das scheint mir selten – sie redet nicht schlecht über die Andere in Gegenwart von Dritten, sie denunziert niemandem mit den Worten: Mit X.Y. rede ich nicht mehr, weil X.Y. das und das denkt/sagt/tut.
Das spricht von Haltung und Größe. Oder?
Neuland ist Einwanderungsland
Das Internet ist unser neuer Kontinent, unsere Neue Welt. Grenzenlose Freiheit. Zuerst kamen die Erbauer und Entdecker. Recht bald zogen die Freiheitsliebenden, Spielkinder und Abenteurer nach. Gefolgt von Utopisten, Phantasten, Religiösen und anderen Ideologen. Die Entrepreneure kamen. Die Goldgräber und Gangster waren nicht weit.
Als die Passage nicht mehr so schwierig und das Leben dort leichter war, kamen die Normalen, die eine neue Heimat haben wollten, Arbeit, Sex , Spaß und ein paar nette Bekannte.
Natürlich gab es Streit mit den Kolonialmächten der Alten Welt. Die regulierend eingreifen, Kontrolle und Gesetze schaffen wollten. Die Siedler lachten. Was verstanden die schon von der Neuen Welt? Sie hatten hier ihre eigenen Gesetze und Prinzipien. Man konnte selbst Ordnung schaffen. Hier ein kurzer Flamewar gegen gegnerische Banden, dort das von vielen beobachtete Duell zweier Widersacher. Der Sargtischler reibt sich die Hände und der Prediger tritt auf.
Oh, ja, es wird viel gepredigt dorten. Denn die Welt soll besser werden. Wie diese Welt aussehen soll, das wechselt von Region zu Region, denn jeder meint für sich, zum auserwählten Volk zu gehören. Mal singt man, vermeidet oder benutzt bestimmte Worte/Handlungen/Speisen, redet in fremden Zungen oder jagt Eingeborene oder Hexen und vernichtet sie und ihre Unterstützer.
Immer dann, wenn die Freiheit keinen Mehrwert für das Individuum verspricht, wenn sie nicht mehr angenehm sondern beängstigend ist, ist puritanische Hysterie nicht weit.
Dann gilt es jeder gegen jeden, im Namen der $Sache. Der Zweck heiligt die Mittel.
Ideologie-Container
Bei allem, was du sagst, denkst und tust, überlege dir zuerst: Nutzt oder schadet es der Arbeiterklasse?
Mit dieser Maßgabe bin ich aufgewachsen. Dazu kamen noch weitere unangenehme Umarmungen im Stil von:
Unsere gerechte Sache.
Nachdenken darüber, ob etwas gerecht ist, ob die Sache unser ist, war gefährlich, verpönt und verboten. Abweichler wurden bestraft. Mit Belehrung, Ausschluss, Kontaktabbruch und Schlimmerem.
Austauschbar. Die Formel hätte auch Gottgefällig lauten können. Oder wie auch immer. Ideologie ist ein Container, der nur verschieden befüllt werden muss mit den entsprechenden Definitionen von Gut und Böse.
Irgendjemand auf der Suche nach Abgrenzung definiert immer das große neue Ding. Ist er charismatisch, verrückt und kompromisslos genug, verspricht der Entwurf Halt, Akzeptanz, Wohlgefühl und Orientierung, finden sich genügend Haltlose, Einsame und Unzufriedene als Mitläufer und Unterstützer.
Unbenommen, um gesellschaftliche Veränderung zu beginnen, um Neuland zu besiedeln, braucht es Verrückte und ihr Gefolge. Narzissten, Maniker, Paranoide, Borderliner und ihre depressiven oder zwanghaften Groupies. Revolution ist selten etwas für Normale. Oder besser: Wenn für so etwas Normale zwangsverpflichtet werden, läuft etwas gewaltig schief.
Zeiten der Intoleranz, in denen die Guillotine heiß läuft, wird es immer geben. Geschichte verläuft in Wellenbewegungen, Neues gebiert sie unter Schreien und heftigen Kontraktionen.
Die Anderen
Wenn du existierst, wird es immer den Anderen geben. Es sei denn, du bist – wie am Ende der Mars-Chroniken – völlig allein auf deinem Planeten. Du wirst immer den Wunsch haben, dich in dem Anderen zu spiegeln, die Hoffnung, dass der Andere so liebt und hasst, denkt und handelt wie du. Das Sehnen, dass der Andere wie ein Teil von dir agiert, ist tief in dich eingeschrieben.
Die aggressive Verzweiflung darüber, dass es selbst in der eigenen Wohlfühlzone Menschen gibt, die alle diese Erwartungen enttäuschen, gleicht der Wut des Kindes, das realisiert, dass die Mutter nicht ein Teil seiner selbst ist.
Auszuhalten und zu akzeptieren, dass der Andere nicht denkt und handelt wie der Selbst* ist genauso die Tat eines Erwachsenen wie die Grenzziehung zu den Erwartungen der Anderen und die Leistung, den Anderen im Anderssein zu akzeptieren.
Es kann der Frömmste nicht in Frieden bleiben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt
(Friedrich Schiller übrigens, Wilhelm Tell, das Lehrstück der klassischen Demokratie, nicht Roland Kaiser)
Wie lässt es sich damit leben? Lässt es sich damit überhaupt leben? Ist das auszuhalten?
Ein geschätzter Freund und Kollege von mir, aktiver Grüner, arbeitet gerade an einem Kunst-Projekt für die Vatikanische Akademie. Nach dem Common Sense meiner Umgebung müsste ich, ohne mich zu interessieren, was und warum er das tut, in das übliche Anti-Religions-Tourette verfallen und – nachdem ich versucht habe, ihn zu überzeugen, dass Arbeit für die katholische Kirche etwas verachtenswertes ist – mich distanzieren. Schon um mein Seelenheil zu retten. (auch wenn diese Metapher etwas schräg ist)
Ich tue es nicht.
Ich diskutiere nicht mit ihm, ich respektiere ihn, genauso wie ich den freundlichen SPD-Parteisoldaten respektiere, der gerade meine gesamte Umgebung mit Wahlwerbung zuspammt. Ich unterhalte mich mit dem Assistenten einer linken Politikerin ebenso wie mit der jungen Frau, die im CDU-Online-Wahlkampfteam arbeitet, trinke Bier mit Piraten, singe mit Baptisten und spreche mit einem Kurden über den langen schwarzen Mantel seiner Mutter.
Wer anders denkt als ich, andere Werte hat, wird trotzdem von mir geschätzt. Wenn ich das Gefühl habe, da braucht jemand noch einige Entwicklungsschritte, kann ich ihm das leider nicht abnehmen.
Wem es gerade schlecht geht, wer Orientierung sucht, um sein Leben zu ändern und die Wärmestube einer ideologischen Gruppierung braucht, hat mein Mitgefühl und trotzdem meinen Respekt. Es werden auch wieder andere Zeiten kommen, in denen das Leben wieder autarker verläuft.
Mein Weltbild hält das aus. Ich bin mir meiner selbst und meiner Werte sicher.**
Und genau so möchte ich von anderen behandelt werden.
Schlagen wir den Bogen
zurück zum Ausgangspunkt. Die Person über die ich schrieb, ist mittlerweile ziemlich einsam. Partner und Verwandte bleiben loyal und halten sie irgendwie aus, aber aus der selbst gewählten Ecke wird sie wohl nicht mehr rauskommen.
Der Ismus, an dem diese Person krankt, äußert sich in Syptomen wie: Ausländerhass, Kommunistenhass bis ins dritte Glied und Ablehnung vor selbstbewusster Frauen als Schlampen.
Aber die Symptome sind austauschbar, wie mir meine Umgebung zeigt.
* Nehmen wir hier das, was vom Code Civil und seinen Ableitungen als gesellschaftliche Spielregel definiert wird. (Im übrigen auch initiiert von einem begnadeten Maniker, Napoleon Bonaparte.) Aber auch Normen sind austauschbar.
** Das war nicht immer so. Es gab verzweifelte Zeiten, in denen ich dringend Halt brauchte und darauf hoffte, dass ich Menschen treffe, deren Leben in festeren Grenzen läuft als meines.