Der Graf und ich waren gestern auf einer Diskussion, in der es um Selfpublishing und dort vor allem um eBooks ging. Nun ist der Graf von Hause aus Büchermacher, ob eBook oder Print. Ich stehe an seiner Seite und arbeite ihm gern zu.
eBook-Verlegerin Christiane Frohmann hatte in den Katersalon eingeladen und Leander Wattig war Gast. Die beiden waren ein gutes Team, gingen sie doch an das Phänomen Selfpublishing völlig unterschiedlich heran. Christiane Frohmann leidenschaftlich-praktisch, Leander Wattig mit einem rationalen Zahlenwerk und Fakten. Am Ende der Diskussion hatte ich eine Idee und beim Nachhausefahren dachte ich noch weiter drüber nach.
Die Film- und Musikindustrie haben Vorsprung
Denn ich hatte in der Filmbranche schon einmal so einen Umbruch von Produktions- und Distributionsmethoden erlebt. (Über die Musikindustrie kann ich nicht sprechen, da habe ich keinen Einblick.)
Zuerst waren die Digitalkameras da. Sie erlaubten es, ohne großartigen technische Aufwand (Licht, Ton) am Set zu arbeiten. Dann kamen die Schnittprogramme, der großzügige Speicherplatz und die Kompressionsmethoden. Am Schluss revolutionierte sich die Distribution: Man musste nicht mehr auf die Gnade des Kinoverleihers oder Fernsehsenders warten, um Menschen zu erreichen, sondern es gab Videoplattformen. Zuerst mit Kurzmetragen, jetzt lassen sich ganze Filme streamen. Nun kann man so argumentieren, dass damit eine Industrie und ihre Erlösmodelle diskreditiert werden. Aber seien wir ehrlich: Nur für wenige Kreative war Filme machen früher wirklich Lebensunterhalt.
Die Industrie mag zunächst unter den unkommoden Veränderungen leiden, Supertanker haben sich immer schwer mit Kursänderungen. Die Kreativen selbst bekommen ungeahnte Möglichkeiten und Freiheiten, aber sie verdienen nicht unbedingt mehr Geld. Sie rennen sich nur nicht mehr am Bollwerk der Industrie den Kopf ein, die darüber befindet, ob ihre Schöpfung ein Publikum finden sollte oder nicht. Sie sind nun gleichberechtigter ebenfalls Marktteilnehmer. Die Filmindustrie ist deshalb nicht implodiert, aber sie hat Konkurrenz bekommen und die Möglichkeit, aus dieser Konkurrenz neue Impulse zu beziehen.
Wer heute einen Film macht und irgendwie anders vor die Kamera will, um Geschichten zu erzählen, hat für die Verbreitung eines der zahlreichen Videoportale. Mit Werbeeinblendungen verdienen häufig geklickte Filme Geld, nicht anders als im Privatfernsehen. Da die Produktion von komplexem Content eine Menge Zeit und Kapital erfordert, bleiben die Produkte der jungen Industrie zunächst unaufwändig und leben ungewöhnlichen Einfällen oder Symbolen und Collagen und natürlich vom Hook, der populären Idee. Es sitzt ein Typ vor der Kamera und erzählt einen Witz, Anwendungen wie Vine lassen schnell kleine Filme entstehen oder es entwickeln sich Spin ofs auf der Basis populärer Geschichten (Man denke an die Star Trek Neusynchronisationen).
Nicht wenige Macher werden dann für die Entertainment-Industrie interessant. Ob sie sich an die Marktorientierung anpassen können und wollen, ist fraglich. Es wird ihre Produkte verändern, sie werden perfekter, aber auch massentauglicher. Der Return of Invest ist dann ein wichtiges Kriterium.
Es entwickeln sich außerdem neue Finanzierungs- und Beteiligungsmethoden: Crowdsourcing, bestes Beispiel: Iron Sky oder die frühen Lars von Trier-Dogma-Filme, die über Pornos querfinanziert wurden.
Zurück zum eBook und zur Chance von Selfpublishing
Buch ist älter als Film. Somit sind alle Strukturen sehr traditionell. Schriftliche Literatur wird vom Einzelnen produziert. Oder formulieren wir anders: Ein Schöpfer steht für das Produkt, obwohl an seinem Marktauftritt noch einige Menschen im Hintergrund beteiligt sind, Lektoren, Grafiker etc. Damit sind Beteiligungen an der Produktion für Ruhm und Ehre relativ schwierig. (Ich behauptete gestern in der Diskussion Gegenteiliges) Aber das „how to make a Book“ ist nicht in Erz gegossen. Wer andere Menschen zur Kooperation motiviert, kann ihnen eine Referenz- oder Mitbestimmungs-Plattform bieten. Beim Hartz IV-Möbel-Buch, das Leander gestern als Beispiel anführte, hat das hervorragend geklappt.
-> Bleibt nicht Einzelkämpfer, gewinnt Unterstützer zum Lektorieren und für die Gestaltung des eBook. Beteiligt diese Unterstützer nachfolgend an den Einnahmen, ladet sie zum Essen ein und nehmt sie präsent in die Credits auf.
Künstlerische Tätigkeit braucht Zeit und Zeit ist Geld. Für ein eBook im Selfpublishing würde ich nicht als erstes den klassischen 1000-Seiten-Roman einsetzen, an dem ich drei Jahre geschrieben habe. Zunächst eignet sich dieses neue Medium, diese neue Herstellungs- und Distributionsform für Kurzformate und Experimente.
Leander Wattig erwähnte gestern Amazon und deren Experiment, ein Portal für Fanliteratur zu etablieren und die Autoren von Rechtsstreitigkeiten freizustellen. Ein Versuch, das Youtube der Literatur zu schaffen, ohne blöde „in deinem Land aus Urheberrechtsgründen ist das Buch nicht verfügbar“-Blocker. Ich finde das genial.
-> Setzt eure Schöpfungen klug ein. Experimentiert mit Kurzgeschichten und literarisch ungewöhnlichen Formaten. Versucht nicht, die Holzmedien zu kopieren. Macht, was ihr wollt und was euch Spaß macht. Seid exzellent, ohne zu fragen, ob das jetzt richtig ist.
Es war schon vorher die Rede davon, das junge Medium bietet eher die Chance auf Ruhm und Ehre als auf Millionen. Ein Autor hat mit Selfpublishing die Möglichkeit, sein Schaffen und sich selbst als Marke zu etablieren. Bevor die klassische Verlags-Industrie es abschleift, kann man sich selbst und seinen Schöpfungen ein Profil geben. UNd manchmal geschehen auch kleine Wunder und aus Twilight Fan-Literatur wird der Millionenbestseller 50 Shades of Grey. (nicht vergessen, daß hier sehr viel frauenaffiner Sex eine Rolle spielte)
-> Zeigt euch und euer Können. Schamlos. Ihr könnt eure eigenen Popliteraten und Fräuleinwunder sein. Dafür braucht es keinen Verlag, der euch entdeckt.
Der Mann an meiner Seite runzelt die Stirn, seine Verlegerseele knurrt leise. Braucht es denn überhaupt noch Verleger?
Christiane Frohmann hat als Verlegerin mit ihren Twitterbüchern einen interessanten Ansatz gefunden, bei dem ich gespannt bin, wie Sammlungen von Tweets von Leuten aufgenommen werden, die nicht Twittern. Wie werden diese Texte aufgefaßt? Was bedeuten sie ohne die Echokammer Twitter?
Für mich selbst war es schwierig. Ich versuchte das erste eBook, das sie verlegte, zu rezensieren und scheiterte. Eine Twitterin, die ich ungeheuer schätzte, konzentriert auf ein eBook, war plötzlich in einem Genre angesiedelt, mit de ich so gut wie garnichts anfangen konnte. Ich mag keine Aphorismen. Und diese Bedeutungsverschiebung erfuhren die Texte plötzlich für mich.
Und doch. Es tritt nicht nur eine neue Autorengeneration an, es wird mit ihnen eine neue Verlegergeneration kommen. Schnell, neugierig, die Nase im Wind. Wer um die Wirkungsmechanismen von Literatur weiß und Texte aus interaktiven Contentmanagementsystemen herauspräparieren und sie strahlend präsentieren kann, dem gehört die Zukunft.
-> Wartet nicht nur darauf, dass euch die klassischen Verlage ansprechen, in ihren Villen und Bürohäusern ist das Leben nicht süßer. Sucht euch Weggefährten und Mitstreiter, die so wie ihr Neuland betreten wollen.