So richtig traue ich dem da draußen noch nicht. Auf was will uns die Welt mit diesem Verwöhn-Wetter vorbereiten?
Dem Grafen ging es langsam wieder besser und so schlenderten wir am Nachmittag ins Victoria zum Torte essen. Zusammen mit hunderten anderer Menschen, deren dunkle Wintermäntel in der strahlenden Sonne deplatziert aussahen, die aber trotzdem nötig waren, denn mit Schatten und Dämmer kam die Vorfrühlingskälte zurück.
Nach einer Stunde süßestem Nachmittagsschlummer setzte ich mich an die Nähmaschine und machte das Quilt-Top fertig. Der Graf half mir beim Hinlegen der Schichten.
Dümmste Anzunehmende Näherin hat natürlich beim Bügeln die Stoffe so verzogen, dass sie jetzt erstmal ausliegen müssen und wenn das nicht reicht, muss das Top mal ein paar Tage auf den Dachboden zum Hängen. Es hat schon einen Sinn, warum die Quiltladies eine Hängevorrichtung an der Wand haben.
Ich bin Primavera sehr dankbar für die Unterstützung. Das Teil sähe nicht so aus, wie es jetzt aussieht. (In Echtheit sind die Farben anders: Violett ist Zyklam und Blau ist Violett.) Ich glaube, mich zu erinnern, dass ich früher einen besseren Blick für Farbzusammenstellungen hatte. Oder ich war nicht so anspruchsvoll? Dass unsere Umgebung komplett durchdesignt ist, ging ja erst in den späten 80ern los. Mittlerweile bin ich da völlig hilflos oder besser, mir wird das alles zu viel.
Die Eltern waren währenddessen an der Ostsee. Was für ein gutes Timing, gerade an diesem wunderbaren Wochenende lag die Reise, die wir ihnen zum 70. Geburtstag geschenkt hatten.
Gestern Abend stieß ich auf diesen Beitrag von vor vier Jahren. (Keine Angst, ich verlege mich nicht darauf, mich ständig selbst zu recyclen.) Das Thema offenkundige Begabung vs. Unmöglichkeit, sie zu nutzen, ploppt gerade in meinem Leben immer wieder hoch.
Nicht mich direkt betreffend, ich habe zu meinen Begabungen eine klare Meinung. Vor zwei Wochen hatten wir einen Disput auf Facebook, ob man bei einem im Callcenter arbeitenden Akademiker Ende 40 den Unternehmer dafür verantwortlich machen kann, dass dieser von dem Geld nicht leben kann. Ich weiß, dass ich mit meiner Meinung, dass der Mensch auch die Summe seiner Person und seiner Lebensentscheidungen ist, die ihn letztlich dazu bringen, einen Job anzunehmen, der für den regulären Lebensunterhalt nicht gedacht ist, nicht gerade frenetisch gefeiert wurde.
Der Artikel über Mr. Horror bringt mich ebenso wie das Interview mit John Goodman vor ein paar Wochen immer wieder zum Nachdenken über wasted talent. Biografien von Kreativen sind mein ureigenstes Forschungsgebiet.
Da gärt eine Menge in meinem Kopf. Der Text über die Entscheidung, etwas zu studieren, was in einem schon bereit liegt, statt noch mühsam etwas Neues, Fremdes zu lernen und die daraus resultierenden Konsequenzen gehört dazu. Aber der muss noch etwas rotieren.
Du hattest übrigens die Diskussion zu dem Callcenter-Mitarbeiter falsch verstanden. Es ging dabei nicht im wesentlichen darum, dass die Person Akademiker war. Es gibt genügend akademische Berufe (z. B. Künstler), die wenig bis gar kein Geld einbringen.
Es ging einzig darum, dass Menschen in Jobverhältnissen tätig sind/sein müssen, die ihnen bei einem 40 Stunden-Job kein Leben ohne Zuschüsse ermöglicht – und zwar ohne über die sogenannten Verhältnisse zu leben. Einfach deswegen, weil das Nettogehalt nicht das Existenzminimum erreicht.
Und im Callcenter zu arbeiten, ist meiner Meinung nach kein so trivialer Job. Es arbeiten m. E. erstaunlich viele Menschen dort mit Abitur und Hochschulausbildung.
Ich habe mit vielen anderen Akademikern im Callcenter gearbeitet und käme nie auf die Idee, so einen Job als trivial zu bezeichnen.
Meine Tochter hat da (mit einigen anderen gleichaltrigen Bekannten) eine klare innere Richtlinie. Sie würde solche Jobs ablehnen, um die Marktpreise nicht zu versauen. Ich sehe das ähnlich. Da würde ich lieber putzen gehen oder in eine Gegend ziehen, wo es entweder ausreichend bezahlte Arbeit gibt oder das Leben billiger ist.
Ich wiederhole es noch mal – so ein mies bezahlter Callcenter-Job ist in der Regel eine Neben- oder Überbrückungstätigkeit, aber nichts für den dauerhaften, zukunftsweisenden Lebensunterhalt. Eine Verlegenheit, wenn anderes gerade nicht klappt oder nebenher auf Projekte gewartet wird. Genauso wie Zeitungen austragen oder Weihnachtsbäume verkaufen. Wer davon dauerhaft auf einem normalen Level leben will, liegt schief. Das kann man machen, wenn es einen weiterbringt oder man befristet gute Gründe hat, sonst nicht. Vor allem, wenn jemand ein höheres Berufspotential und damit eigentlich wesentlich mehr Wahlmöglichkeiten hat.
Mit dem Mindestlohngesetz werden sich auch die Gehälter in Callcentern erhöhen. Der Verdienst ist dann immer noch nicht berauschend. Ich rechne damit, dass eine Menge der richtig schlimmen Halsabschneider-Stellen wegfallen wird.
Ich finde den gesellschaftlich subventionierten Billigarbeitsmarkt hochgradig fragwürdig. Der ist ok. bei Menschen, die nicht Vollzeit arbeiten können, ein ganz niedriges Qualifikationsniveau haben oder nicht voll einsatzfähig sind. Da halte ich es für gerechtfertigt, dass die Gesellschaft Geld dazugibt. Dass ein Unternehmer von vornherein mit Subventionen plant, finde ich abartig und nicht fördernswert. Allerdings wären auch Menschen auf der Suche nach einer Anstellung mehr unter Druck, wenn es die Subvention nicht gäbe.
In der Filmbranche sind Projekte mit schlechter oder gar keiner Bezahlung ein großes Segment des Marktes. Jeder muss dort für sich entscheiden, ob ihn das weiterbringt oder ob es besser ist, zu Hause zu hocken und die Wand anzustarren – oder eben auf das nächste Projekt hinzuarbeiten. Und jeder muss auch beurteilen, ob das tatsächlich ein gutes Projekt oder Ausbeutung unter Vorspiegelung falscher Tatsachen ist.
Klar kann man als Prämisse setzen, dass Unternehmer weniger verdienen können und die Gewinne an ihre Beschäftigten verteilen. Das war die Grundidee des Arbeitsmarktes in der DDR. Da hatte jeder Arbeit und konnte davon auf niedrigem Level leben. Das Projekt ist gescheitert und funktionierte nur mit räumlicher Abschottung.
Alle Ideen, bei verteilter Verantwortung Geld zu erwirtschaften und gerecht zu verteilen, sind irgendwann im Sande verlaufen. Patriarchale bzw. matriarchale Projekte, wie das, was Sina Trinkwalder gerade probiert, als gerechte Unternehmerin Menschen einen gerechten Verdienst zu zahlen, stehen unter Beobachtung. Ich finde es super. Ich wünsche mir, dass das tatsächlich funktioniert.