Prekariat oder früher war alles besser

Es hat sich in den letzten Monaten ergeben, daß ich immer mal meinen Kommentarsenf dazugegeben habe, wenn StudentInnen, langsam auf Ende 20 zugehend, ihre Verzweiflung über das Berufsleben kundtaten.
Ich kam uralt vor dabei. Und verdammt besserwisserisch.
Trotzdem konnte ich nicht stumm bleiben, wenn ewig die gleichen Probleme gewälzt wurden: Ich habe keine Lust auf folgenlose Praktika! Wer nimmt mich denn überhaupt? Sind die Konditionen eines Jobs ok. oder werde ich über den Tisch gezogen? Welche Forderungen kann ich als Berufsanfänger stellen?
Ich schloß mein Studium ab und Deutschland rauschte in eine Wirtschaftskrise. Zudem hatte ich ein grade schulpflichtig gewordenes Kind, war nicht sehr gut im Netzwerkbilden und einen Universitätsabschluß und eine Zusatzqualifikation in der Hand, mit der selbst in Konjunkturzeiten kaum Stellen zu finden sind. Was im Osten als Elitestudium begann (alle 2 Jahre 15 Studenten und knallharte Bewerbungsgespräche) war nach dem Mauerfall der Zufluchtsort aller wort- und schriftgewandten Mathematikhasser.
Im Grunde konnte ich mit meinem Diplom in Theaterwissenschaft, Kultureller Kommunikation und mehreren Semestern Kulturmanagement das Klo tapezieren und für die Taxiprüfung lernen.
Während des Studiums hatte ich als Dramaturgin gearbeitet und wußte, das macht mir keinen Spaß. Ich simulierte den Job, um den Kollegen, der mich an ein großes Berliner Theater mitgenommen hatte, nicht zu enttäuschen. Für die Öffentlichkeitsarbeit eines anderen Berliner Theaters, das gerade einen revolutionären Intendanten berufen hatte, war ich mit Ende 20 zu alt. Der Job wurde einer 20jährigen Kommilitonin angeboten, weil sie (O-Ton Chefdramaturg) „so interessant und flippig“ sei wie das Zielpublikum. Sie lehnte auch ab, unter anderem weil sie schwere Legasthenikerin war.
Ich hatte mich auch in der gerade boomenden Infotainmentbranche versucht, es war die Hochzeit von Spiegel-TV, Vox und n-tv starteten als reine Informationskanäle mit Riesenteats. Aber auch das war nicht mein Ding. Während meine Freundin eine spektakuläre Reportage nach der anderen drehte und ihre Rechercheergebnisse nebenbei noch in ein Buch einfließen ließ, stand ich als Loserin daneben. Ich war nicht gut im Recherchieren, zu distanziert, kannte zu wenig Leute und konnte/wollte schon garnicht mitten in der Nacht zum Drehen losfahren, wenn irgendwo in Brandenburg ein Asylantenheim brannte.
Ich bewarb mich bei Offenen Kanal und konnte im Vorstellungsgespräch leider nicht verbergen, daß ich diesen Laden für eine alternative Kabarettveranstaltung hielt. (Und ich konnte weiterhin nicht verbergen, daß ich keine Ahnung von dem angebotenen Job hatte.)
Ich wurde von einem Filmverleih zum Gespräch eingeladen und das Kind ging ans Telefon. Danach hatte sich die Sache erledigt. Eine Mitarbeiterin mit Kind war nicht erwünscht. (Und ich hätte es tatsächlich nicht hingekriegt, wochenlang mit Filmen auf PR-Tour zu sein.)
Ich bewarb mich um Sekretärinnenstellen, als Werbetexterin, als Empfangsdame, als Rundfunkredakteurin…und sammelte Ablehnungen. Keiner meiner Kommilitonen konnte mich mitnehmen, denn sie schrieben alle an ihrer Promotion. Dafür war ich zu faul. Nein, sagen wir, zu praktisch veranlagt.
Ich hatte schon während des Studiums mehrere Unternehmenskonzepte entwickelt. Schon, um aus meiner Not der Umstände eine Tugend zu machen, wollte ich in die Selbständigkeit gehen. In Zeiten, wo in jedem Ratgeber der IHK stand, man sollte vor dem Entschluß auf jeden Fall mehrere Jahre in einer Großfirma arbeiten. Die Zeiten der Ich-AGs waren noch nicht gekommen.
Als ich mich nicht mal mehr als Sekretärin vorstellen durfte, war ich ganz unten angekommen. Die Träume während des Studiums, die sich vorwiegend aus Fragmenten von Hochglanzfrauenzeitschriften zusammenpuzzelten, sahen anders aus: Moderedakteurin, Konzertagentin, Festivalmanagerin. Top-Klamotten, Superdienstwagen, aber meistens zwischen Mailand und N.Y. in der Luft, Schweinekohle und immer die richtige Frisur.
Mir fiel die Decke auf den Kopf, auch wenn ich sechs Stunden täglich an zwei Kriminalromanen zugleich schrieb/schreiben wollte.
Einem Cousin ging es ähnlich. Er hatte mit drei Kommilitonen ein Ingenieurbüro gegründet, denn Maschinenbauer brauchte zu dieser Zeit niemand. Die Jungs schlugen sich mit Computerwartung, dem Verkauf von CAD-Programmen und Selbstausbeutung durch. Und bald saß ich halbtags in ihrem Kellerbüro und nahm das Telefon ab. Bezahlen konnte mir das niemand, manchmal fiel das eine oder andere Bauteil für meinen Rechner dabei ab. Aber ich lernte mit Computern umzugehen und ganz primitive Sachen: Am Telefon mit angenehmer Stimme brav Guten Tag sagen, neben dem Gespräch mitschreiben, die Leute innerhalb kürzester Zeit mit Namen ansprechen und erzählen, daß sie grade das beste Ingenieurbüro der Welt angerufen haben. (Klingt blöd, aber ich kannte aus meiner früheren Arbeit fast nur Intellektuellensprech.) Ich kam gut an, weil Frauen in der Branche Mangelware waren. Fachliche Dinge diskutierte ich nicht, sondern verwies darauf, daß die Herren alle zu Außenterminen unterwegs seien (auch wenn einer grade auf dem Klo saß und der andere Sim City spielte). Was den Ruf der Firma unterstützte, denn die konnten sich schließlich eine kompetente Sekretärin leisten.
Ich wiederum, die brav jede Woche Bewerbungen schrieb, fand endlich den Job, auf den ich paßte, wie A… auf Eimer. Und ich bewarb mich aus ungekündigter Stellung, war ich doch als Assistentin der Geschäftsführung in einem Ingenieurbüro tätig.
Meine Prekriatsphase war Hinsicht das Beste, was mir passieren konnte. Auf Gegenseitigkeit, denn ich hatte den jungen Männern in der Zeit meiner Tätigkeit mit Telefoncharme ihren für lange Zeit besten Kunden an Land gezogen.

P.S. Das war die Betreuung der Computer für eine Schokoladenfabrik. :)

12 Gedanken zu „Prekariat oder früher war alles besser

  1. Garandios.
    Und: Chapeau!
    Das Einzige, das stört, ist die etwas launische Einflechtung des Prekariats…

  2. habe vor zwei jahren endlich dann mal einen ordner „absagen“ angelegt. in der nachschau erzählt der fast mehr als alles geklappte.

    schön geschrieben, und überhaupt, daß! es gibt so viel unerzähltes, was es wert wäre.

  3. REPLY:
    nein nein, das war nicht launisch, das war der aufhänger und grund des textes.

  4. REPLY:
    das ist gut formuliert. einen menschen zu erzählen darüber, was er alles nicht bekommen hat.
    das klingt zunächst negativ. aber es sagt sehr viel über seine verluste, seine erfahrungen, seine träume und seine potentiale (im sinne von: was auch hätte aus einem werden können) aus. wahrscheinlich ist es wirklich interessanter als eine platte erfolgsgeschichte

  5. REPLY:
    …aaaahs… …empfehle im übrigen den in tiefschürffragen ja eher unverdächtigen kurt krömer im aktuellen tip zu diesem thema…

  6. Und civilization hat niemand gespielt?

    Ich glaube, untergehen würdest Du nie…

  7. REPLY:
    aber bitte ohne bitternis. irgendwann hören die „hätte-zeiten“ ja dann auf. und meist gibts dann in den haben-ordnern ja auch was zu bieten…;-)

  8. REPLY:
    ja, deswegen meine ich ja, das klingt nur im ersten moment negativ.
    wenn lebenserinnerungen erzählt werden, ging angeblich alles immer glatt.
    über meine bewerbungsgespräche kann ich heute lachen. die nummer beim ok war filmreif. und dem herrn, dem der filmverleih gehörte hab ich in meiner wut die pest an den hals gewünscht. die hatter auch bekommen. der ist fünf jahre später an krebs gestorben.

  9. REPLY:
    ich glaube wir haben sim city über lan gespielt. aber ich verdränge so was immer, games haben für mich so großes suchtpotential, daß ich sie garnicht näher ranlasse.
    und das mit dem nicht untergehen, naja, meine existenz schlittert schon auf dünnem eis.

  10. REPLY:
    Das erinnert mich an die stelle in »Sophies Welt«, als mit dieser café-szene der exstenzialismus erklärt wird, na ja, erklärt. Es gibt einen hinweis, wie es funktionieren könnte… Trotzdem ist nicht ganz von der hand zu weisen, dass unsere erwartungen (klar, auch als ergebnis der einflüsterungen unserer umwelt…) einen großteil zu unserer zufriedenheit/unzufriedenheit beitragen.

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