Der graue, feuchte Tag begann nicht uncool. Am Wochenende eingetrudelte Mails sammeln, ordnen und beantworten, ein bisschen was in das Internetz schreiben – übrigens ist der Artikel Meine Fernbeziehung zum Netz-Feminismus von Isabella Donnerhall sehr, sehr lesenswert. Es gibt noch eine Welt jenseits des Schulhofs.
Koninzidenz des Wochendes: Ich stolperte dreimal über den Begriff Drama-Dreieck. Interessante Sache. Hat gerade mit vielem, das mir begegnet, zu tun.
Dann ein Twitter-Gespräch, das dann leider die Grenzen des Mediums sprengte. Wenn 140 Zeichen fast für die Nennung der Beteiligten draufgehen, wird es schwierig, auch wenn es interessant ist. Aber vielleicht schreibe ich demnächst mal was über den Umgang mit sehr, sehr schwierigen Vorgesetzten, Kunden und Klienten. (Nicht dass ich dafür ein Patentrezept hätte, ich kann mich auch nur annähern.)
Am schnell heraufgezogenen dunklen Winternachmittag färbte ich einen Kaschmirpullover. Ein altes, kamelfarbenes Teil, das HeMan vor Jahren weggeben wollte und kamelfarben steht mir so garnicht, weil es zu gelb ist. Wenn mans richtig anstellt – ohne Temperaturschocks und zuviel Bewegung, kann man sogar Kaschmir auf 80 Grad bringen, ohne Filz zu produzieren. Schwarz sollte er werden, dunkelbraun wurde er, das reicht.
Später trudelte noch eine Workshop-Teilnahme-Empfehlung ein. Früher habe ich einmal im Jahr etwas völlig Neues gemacht. Damit sollte ich wieder beginnen.
Am Abend gingen der Graf und ich ins Kino in die Kulturbrauerei. Natürlich machten wir vorher noch eine Runde über den Lucia-Markt, aber der Graf mag Weihnachtsmärkte so gar nicht, weil sie ihn immer daran erinnern, dass er derzeit lieber auf Mallorca oder einer anderen südlichen Insel wäre. Mir wanderte zumindest ein Tütchen gebrannte Mandeln in die Tasche.
Kino. Irgendwie wirkt sich das mangelnde Angebot wirklich guter Filme auch auf die Arbeitsmoral der (schlecht bezahlten) Kinomitarbeiter aus. Eine Einlasskontrolle fand nicht statt. Wir saßen im Hauptsaal. Der Saal war 3/4 voll, für Montag Abend ziemlich viel. Die halbe Werbung lief ohne Ton (nicht, dass das ein Verlust wäre…), es gab ohnehin kaum Werbung. Das kleine Saal-Licht blieb in den ersten Minuten des Films an und in den letzten Minuten schaltete irgendein Spacken etwas im Vorführraum um oder ein, so dass von hinten immer wieder störende, knallweiße Lichtreflexe übers Publikum gingen.
Ich habe mir ein Herz gegriffen und heute den Kinoleiter angerufen und ihm ein Feedback gegeben, im Blog rumgrummeln reicht wohl kaum.
So, nun aber der Film. Inside Lllewyn Davies. Irgendwie schaffe ich es fast nur noch zu den Coen-Filmen ins große Kino. Auch wenn mir die Sixties-Retro-Optik manchmal fast zu viel war, ich mochte den Film sehr. Ähnlich wie True Grit funktioniert die Geschichte eher über die Bilder, die Synergien der kleinen Episoden untereinander und die Korrespondenz mit dem Bilderreservoir in unseren Köpfen.
Ich versuchte nachher im Gespräch mit dem Grafen die Dramaturgie zu klassifizieren. Episches Kino würde ich es nennen. So eine Anti-Helden-Geschichte hat kaum große dramatische Bögen, der Held verweigert das Drama-machen oder vergeigt es immer wieder. Dafür aber finden viele kleine Dramen in den Episoden statt.
(Vor Jahren fehlten mir mal diese Worte, als ich mit jemandem nach einem Film-dramaturgischen Ansatz für Aller Welt Freund suchte.)
Über die Geschichte wird nur erzählt, dass es keine Geschichte ist: LLewyn Davies bekommt auf die Fresse, hat plötzlich eine Katze auf dem Arm, hat einen Gig den er zu einer Mugge macht, versucht aus dem Folksänger-Job auszusteigen, kann nicht einmal das, fährt nach Chicago, kommt wieder zurück, pöbelt ein paar Leute an, hat einen Auftritt und dann weiß man, weshalb er auf die Fresse kriegt.
Aber das ist alles so… Das Leben ist so. Es hat keine Happy Ends und keine Dramabögen. Alles hängt von allem ab und entweder es läuft oder das Menschlein verhakelt sich immer wieder in den Fallstricken alter Entscheidungen.
Die Fahrt nach Chicago. Eine von diesen völlig entrückten atmosphärischen Schilderungen. In True Grit war es der nächtliche Ritt durch die Prärie unterm Sternenhimmel. Hier ist es die übermüdete Fahrt ins Schneegestöber.
Die Katze. Dass da scheinbar noch keiner drauf gekommen ist. Die ist ein Truman-Capote-Zitat. Holly Golightlys namenloser roter Kater, den sie in strömendem Regen irgendwo in New York aus dem Taxi schmeißt, als sie ihr Leben ändern will und den sie dann, nach Scheitern der lateinamerikanischen Heirat, stundenlang vergeblich mit Paul sucht. (Im Film findet sie ihn, im Roman nicht.)
Die Katze und das Unbehaustsein der New Yorker Boheme, das geht so gar nicht zusammen. Ein wunderbares Symbol für etwas nicht halten können, das Stabilität braucht.
Die Musik, wunderbar. Justin Timerlake so, dass es mir nicht auffiel, dass es Justin Timerlake ist. Das Gespräch mit dem Chicagoer Impresario. So, wie ich es im Beruf dutzende Male miterlebt habe.
Ich mag diesen Film. Und ich werde als nächstes Another Country und Frühstück bei Tiffany noch einmal lesen. Es wird Zeit.
Daß sich soviel Zeit gelassen wurde die Geschichte zu erzählen, das mochte ich. Erinnerte mich an Balladen, gesungen von den brüchigen alten Rauhbeinen wie Cash oder Kristoffersen.
Bald dachte ich aber, oh Gott, wie in einen Musical Film, der singt schon wieder. Und wäre es kein Coen Film gewesen, ich wäre rausgegangen.
Daß die Coens John Goodman so eine schwache Figur geschrieben haben, ist ein Jammer.
Schöne Szene, wie der Protagonist am Ende versteht, daß er der ewige Loser sein wird, weil da auf einmal ein Bob Dylan mit seinem Charisma auftaucht.
Insgesamt etwas viel Folk-und Katzencontent und für mich zum erstenmal ein enttäuschender Coen Film.
Zitat:
Früher habe ich einmal im Jahr etwas völlig Neues gemacht. Damit sollte ich wieder beginnen.
Zitat Ende
Wow – das ist ja eine Steilvorlage für den guten Vorsatz 2014. Ist wirklich eine Überlegung wert….