Familienbande

HeMan, als Kneipenkind mit zwei Brüdern in D-dorfs zweitbester Geschäftsstraße aufgewachsen, nimmt mich mit in seine Heimat. Es soll der 65. Geburtstag des Ältesten gefeiert werden.
Ich habe Vorurteile. Assoziiere diese Stadt mit lederhäutigen, schmalgehungerten rich ladies in Goldknopfkostümen. Dazu den Nadelstreifenpatriarchen mit der S-Klasse. Und ihre Brut, blonde Pferdeschwanzträgerinnen mit Hermes-Tüchern und Reitstiefeln, verpickelte Söhne im Internatsjackett.
Und ich habe Manschetten. Als neue Freundin zu Familie und Bekanntenkreis mitgenommen zu werden, ist für eine Hobbyautistin wie mich schlicht angstauslösend.
Aber Vorurteile sind dazu da, revidiert zu werden. Es war eher angenehm, ein paar gutgekleidete und gepflegte Menschen zu sehen, als Kontrastprogramm zur hippen Berliner Schlampigkeit. Und was die Reichen betrifft: München ist schlimmer, weil affektierter. Die Mentalität wiegt vieles auf. Daß sich die Leute nicht zu schade sind, in der Altstadt auf der Straße zu stehen und dieses entsetzliche Bier zu trinken, auch wenn ihre Putzfrau neben ihnen steht und dasselbe tut. Das hat was handfestes, geerdetes.
Am Freitagabend gab es Feuerwerk auf der Kirmes und ich habe mich noch etwas unauffällig am Rande der Family herumgedrückt. Außer HeMan kannte ich nur den mittleren Bruder, passionierter Charmeur (sehr zur Freude seiner Ehefrau) und plautzentragender Harleyfahrer. Aber der ältere Bruder… Groß, streng, schmallippig. Vaterersatz für HeMan und so alt wie mein Vater. Hm.
Die Frauen waren nett und und freundlich, aber ich merkte, daß ich als die 20 Jahre jüngere taxiert wurde.
Am Samstag zeigte mir HeMan die Stadt. In einer ruhigen Minute, in einem kleinen Café meinte er: Ist dir klar, daß ich dir grade mein Leben zeige? Aber ich hatte schon verstanden.
Die Geburttagsfeier war eine unprätentiöse Gartenparty mit Bierfäßchen, Grillwürstchen und Kartoffelsalat. Vorwiegend Menschen, die grade in den Ruhestand getreten waren und nun von ihren Reisen erzählten und den Enkelkindern. Alles wohltemperiert. Obwohl heftigst getrunken wurde (dieses Bier muß man scheinbar in großen Mengen reinschütten), fiel niemand aus der Rolle. Leichtigkeit war angesagt und nicht profilneurotisches Aufmerksamkeit-Ziehen. (Angenehm für jemanden wie mich, die ich zu elterlichen Familienfeiern immer mit Befürchtungen hingehe, weil es zu achtig Prozent irgendwann Knatsch gibt. Entweder wird mein Vater von seiner Schwiegermutter gedizzt oder er betrinkt sich prophylaktisch, meine Mutter ist auch immer gern für ein Drama gut.)
HeMan hielt sich den ganzen Abend an einen pensionierten Botschafter, der lange in Nepal war, um Insiderinformationen für seine Reise zu bekommen. Ich schwirrte mal hier mal da rum. Wo kann man im Winter am besten Langlaufen? Welche Mentalitätsunterschiede gibt es zwischen Brasilianern und Ceylonesen? Was ist umsatzstärker: Die Kino- oder die Spieleindustrie? Ich hatte so wenig Mühe small talk zu machen, wie lange nicht mehr.
Wichtiges passiert immer in der Küche.
Beim Kaffeekochen und den Frauengesprächen ist wieder die Ehefrau präsent, obwohl die Scheidung lange her ist. Der Name fällt nicht ein einziges Mal, nie wird direkt von ihr gesprochen. Es heißt immer die beiden. Ich bewege mich auf streng monogamem Terrain. Hier gibt es nicht einmal serielle Monogamie.
Spätabends räume ich die Geschirrspülmaschine ein und der älteste Bruder spricht von seiner Angst, daß HeMan in Nepal etwas zustoßen könnte. Er wäre so risikofreudig und würde nicht merken, wann es gefährlich würde. Wir reden über HeMans Bergwanderung vor zwei Wochen. Über seine Todesangst beim Aufstieg durch eine steile Kluft. Davon, daß er danach weinend im Schnee lag. Ich entgegne, ich hätte den Eindruck, er wäre ruhiger geworden, würde zu sich selbst finden und viel unbewältigten Lebensschrott aufräumen.
Plötzlich nimmt mich der Mann ganz fest in den Arm. Sagt mir, daß er mich sehr mag und glücklich ist, daß HeMan mich gefunden hat, daß wir ein wunderbares Paar sind. Ich schniefe ziemlich und er auch.
Aber dieser Moment bleibt im Verborgenen und kurz darauf sitzen wir gackernd im Garten und malen uns aus, daß der Bruder mit der Harley demnächst ausgestopft im Vereinsheim der Hells Angels hängen wird, wenn er sich weiter so mit den Rockern anlegt.
Das Lachen und die Fröhlichkeit bleiben. Selbst als wir morgens im Hotel noch einmal kichernd im Bett verschwinden, obwohl sechs Leute am Frühstückstisch auf uns warten.
Der Abschied am Sonntag ist warm und herzlich. Auf der Rückfahrt bin ich erschöpft. Ich nehme das Rheintal nur noch mit halb heruntergelassenen Augenlidern wahr. Wen hast du mitgenommen, bevor wir uns kennengelernt haben?, plappere ich gegen die Müdigkeit an.
Niemand. Du bist die erste seit zwölf Jahren.
So langsam begreife ich.

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6 Gedanken zu „Familienbande

  1. ja, ich hab das sprichwort “gut ding will weile haben” begriffen. für mich ungeduldigen, brachialen menschen eher schwierig.

  2. und doch hat jeder ex seine berechtigung. wären die drei davor nicht gewesen, wäre ich nicht die, die ich bin.

  3. schön, wenn man sowas erleben darf. mich machen solche erfahrungen (auch gern made by someone else) glücklich. (und mal am rande meine erfahrung: ohne die vorausgegangenen tiefs hätte man wahrscheinlich nicht erkannt, wie glücklich man grade ist.)

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