Bleibt zu Hause, Jungs

Daß Krieg ein ziemlich dreckiges Geschäft ist, sollte nicht neu sein. Es scheint dabei letztlich egal zu sein, ob es sich um massives Menschenabschlachten mit hoher emotional-patriotischer Motivation wie in den Weltkriegen oder einen Guerilla-Stellvertreter-Krieg wie dem in Afghanistan handelt.

Nach Erkenntnissen amerikanischer und israelischer Militärpsychiater weisen bis zu 30 Prozent von Soldaten, die an Kampfhandlungen beteiligt waren, psychische Erkrankungen und Störungen auf. „Bei deutschen Soldaten ist mit vergleichbaren Raten zu rechnen“
Für die 4.500 in Afghanistan stationierten Soldaten steht nur ein Psychiater zur Verfügung.

Vielleicht sind die Zeiten anders geworden, Menschen/Männer dank Erziehung sanfter, empfindlicher. Bei einer drohenden psychischen Ausfallquote von 30% – da kommen die Toten und Verletzten noch dazu – sollte eine Regierung überlegen, ob sich das Kriegführen überhaupt noch lohnt.
(Als nächstes fragt man sich: Worum gehts da eigentlich? Aber das kann mittlerweile auch keiner mehr so richtig sagen.)
Die in Afghanistan stationierten Soldaten haben sich freiwillig gemeldet. Die jungen Männer, die ich kannte, die sich freiwillig zu Auslandseinsätzen meldeten, taten es wegen des Geldes und weil sie in Deutschland ohnehin nichts besseres erwartete. Von Abenteuer hatte da zunächst keiner gesprochen, vielleicht hatten sie ganz im Verborgenen gehofft, sich mit einem kleinen Zipfel vom Heldenmantel kleiden zu dürfen. Die Realität sieht sicher anders aus: Langeweile, hartes Klima, kein Komfort, keine Bewegungsfreiheit, Lagerkoller, absolute Befehlsabhängigkeit ohne die Spielräume, die deutsches Kasernendasein hat.
Der Ernst der Kampfhandlung jenseits vom Computerspiel scheint seelen-zerstörerisch zu sein. Hat ein Großteil nicht mit dieser Konsequenz dieser Entscheidung gerechnet?

Ganz unvermittelt fällt mit etwas anderes ein: Die Vorwürfe der 68er an ihre brutalen, schweigenden Väter. Sie haben sich mit mentalen Invaliden gestritten. Mit einer männlichen Gesellschaft, die – wenn diese Statistik hochzurechnen und die Bewertung von Kriegsauswirkungen zu übertragen ist – zu einem überwiegenden Teil schwerst traumatisiert war. Die Hilfe und Mitgefühl gebraucht hätte, statt Hohn und Kampfansagen. Doch da wurde höchstens den Überlebenden von Stalingrad an gewisses Maß an zu tolerierender „Verrücktheit“ zugebilligt.

Wo ist das Maß? Wir delegieren die Auswirkungen eines fragwürdigen Krieges an Seelenklempner und sind uns darüber hinaus einig, daß jeder deutsche Mitläufer in Uniform (nicht vergessen: da ging es nicht um Freiwilligkeit, das war Mobilmachung) vor 70 Jahren zutiefst schuldig war, weil er nicht Nein gesagt hat.
Vielleicht ist es an der Zeit, sich noch einmal jenseits von pazifistischen Verdrängungsriten klar zu machen, was Krieg bedeutet. Ob er noch zeitgemäß ist, ob er überhaupt vermieden werden kann und was die ernstzunehmenden Alternativen für die Auseinandersetzung zwischen Völkern sein können.

3 Gedanken zu „Bleibt zu Hause, Jungs

  1. Die Tragweite der Entscheidung, bei einem Auslandsaufenthalt mitzuspielen, dürfte in der Tat dem kleinsten Teil der Soldaten klar sein. Das mag am Alter, aber auch an der inzwischen immer „spezielleren“ personellen Besetzung der Bundeswehr liegen.

    Durch Krise, mangelnde Wehrgerechtigkeit und „kreative“ Werbemethoden hat die Bundeswehr einen Personalbestand, der zu einem großen Teil nicht mehr aus „berufenen“ Soldaten sondern aus reinen Lohnempfängern und Offizieren, die eigentlich nur günstig studieren möchten. Es mag (zu einfach) klingen, aber ohne die richtige idealistische Einstellung fehlt einem da eine wichtige Säule, um solches Leid ertragen zu können. Vergleiche mit Mutter Theresa etc. sind sicherlich nicht zu weit hergeholt.

    Ein anderer wichtiger Faktor ist aber sicherlich auch die Art des Konfliktes und die Rezeption in der Gesellschaft. Während in den Kriegen des letzten Jahrhunderts Soldaten einen greifbaren Gegner hatten („den Russen“ oder „den Kraut“ oder „den Vietcong“) der auf der anderen Seite der Hauptkampflinie stand ist der Gegner heute unsichtbar und überall. Die letzten Kameraden hat vielleicht eine Autobombe in einem Kinderwagen getötet oder verkrüppelt. Zum Rückhalt in der Gesellschaft muß man glaube ich wenig sagen.

  2. ja, es ist wirklich schwierig, das so jung abschätzen zu können, wenn man eigentlich nur eine chance mehr haben will. daß dajemand seine seele verkauft und in einen guerillakrieg zieht, weiß keiner.
    es wird ja auch kaum kommuniziert. über krieg zu reden, ohne soldaten zu verteufeln ist ja fast bäh oder feuilleton (und das liest kein soldat).

  3. Bis vor ein paar Jahren war mir jede Form von Militär zutiefst suspekt. 2003 war ich für zwei Monate in Kabul, um dort dabei zu helfen, eine Mädchenschule wieder aufzubauen. Das war mein erster Kontakt mit der Bundeswehr. Und auch, wenn ich durch meine frühe Kindheit in Israel mit Kriegssituationen im Entfernteren und der ständigen Präsenz von Militär vertraut war, so war die in Teilen vollkommen verwüstete Stadt, die Armut der Menschen und die Verzweifelung und Hilflosikeit eine schockierende und erdrückende Erfahrung, die man nur ertrug, indem man sie emotional banalisierte.
    Damals gab es für die Bundeswehr noch keinen Schießbefehl und es waren die Kanadier, die im S.W.A.T.-Look eines Computerspiels als Angstmacher durch die Strassen patrolierten. Unsere Soldaten waren Aufbauer, Perspektivenschaffer, Freunde der Bevölkerung. Die Anerkennung, die uns als Deutschen entgegenschlug war ergreifend. Die Bundeswehr hat dort wirklich viel Gutes erreicht. Es stimmt mich sehr traurig, dass diese wenigen Jahre der Hoffnunf heute wieder durch sinnlose Gewalt zerstört werden. Die Frauen, die damals aus Angst vor der Rückkehr der Taliban immer noch an den alten Gesetzen festhielten, waren vorausschauender und wenig naiv als wir. Was die Bundeswehr damals geleistet hat, war zweifellos etwas Gutes. Es stimmt, dass die meisten Jungs die Konsequenzen nicht richtig abschätzen konnten. Damals gab es aber auch wenig Traumatisches. Aber was heute geschieht, das scheint mir ein hoffnungsloses Unterfangen. Im Guerilla-Krieg werden wir scheitern.

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