Am Wochenende in HH beherrschte die Gastgeberin nur ein Thema: Warum hat sich ihre 27jährige Tochter (die es immerhin mit 24 zur Volljuristin geschafft hatte, also nicht ganz faul und aufn Kopp gefallen ist), so einen Loser zum Dauerfreund ausgesucht?
Einen 38jährigen Schreiner, der zwischen widerwillig ertragenen Anstellungsverhältnissen und Arbeitslosigkeit pendelt. Der mitnimmt, was ihm angeboten wird, aber so recht keine Ambition hat, etwas über Atmen, Essen, Sch…, Vögeln und einen guten Tag haben hinaus zu tun und anzupacken.
Gegen eine solche gottgefällige Existenz wäre nichts zu sagen, wenn er sich nicht gern mit seiner Freundin bei deren Eltern ins Nestchen setzen würde. Sie haben ihn unfreiwillig adoptiert.
Er kommt mit ihr zu Besuch und läßt sich tagelang mit seinen Lieblingsgerichten durchfüttern. Für Arbeiten am Haus stellt er eine Rechnung mit Meistertarif (schließlich haben ihm die Schwiegereltern einen zinslosen Kredit für die Meisterschule gegeben), ist da aber nicht so mit Feuer dabei, meistens verschiebt er auch dringende Sachen auf „später“.
Wird im Urlaub eine Ferienwohnung gemietet, kommen die beiden gern für zwei Wochen mit aufs Sofa. Gehen abends mit den Eltern essen, machen gemeinsam Mietwagenausflüge und haben viel Spaß, der sie lediglich einen Flug kostet.
Die Eltern wissen nicht so recht, was sie tun sollen. Einerseits wollen sie ihre Tochter noch pampern, die derzeit mit Minimalgehalt darauf hinarbeitet, Partnerin in einer Kanzlei zu werden. (Wobei ich das recht albern finde. Das Mädel ist 27! Und ruft täglich noch bei Mama an.) Andererseits haben dann immer wieder diesen Nassauer mit an der Backe. Schießen sie ihr für eine neue Matratze Geld zu, so subventionieren sie zwei, denn der Süße muß ja auch irgendwo schlafen, wenn er bei ihr ist.
Am Wochenende war dann gerade das Fass am Überlaufen, weil das Töchterlein glücklich verkündet hatte, ihr Liebster hätte endlich in ihrer Stadt eine befristete Anstellung gefunden und zöge nun zu ihr.
Als ich um Rat gefragt wurde, was man denn nun tun sollte um der permanenten Subventionierung dieses sozialen Gefälles zu entgehen, konnte ich auch nur sagen: Loslassen, Hahn abdrehen und zwar allen beiden. Es gibt eine Schluß- bzw. Startzahlung für das neue Partnerschaftsglück und das wars. Mal sehen, was passiert.
Bei diesen Gesprächen fiel immer wieder das Wort: Entscheidung. Nicht entscheiden können oder müssen, scheint eine Volkskrankheit zu sein.
Mir egal.
Weiß ich nicht.
Will ich nicht.
Ich weiß ja auch nicht.
Kommt sicher noch was besseres.
Eigentlich will ich ja…
Geht schon irgendwie.
Mir gehts doch eigentlich gut.
Setzt mich nicht unter Druck.
Warum denn jetzt schon?
Später.
Wenn mir was angeboten wird, nehm ichs gern.
Bloß keine Fehler machen.
Was ich hab, das will ich nicht, was ich will, das krieg ich nicht.
So vegetieren sie, auch in meiner allernächsten Nähe, satt und warm eingepackt, halbwegs zufrieden durchs Leben und wälzen sich in ihren Tagträumen. Mentale Defizite können jederzeit mit Konsum und Spaßkultur kompensiert werden.
Es findet sich immer wieder jemand, der sich mit ihnen beschäftigt: Na los, stell dich mal auf beide Beine, lauf doch einfach! und sie lassen sich ängstlich oder unwillig wieder fallen.
Die sie umgebende Gesellschaft ist Big Mama, für alles ist gesorgt, hier verhungert und erfriert keiner, Sex ist umsonst und konsequenzenlos und die depressiven Reaktionen auf die Differenz zwischen Wunsch und Sein versorgt ein Heer von Seelenklempnern und Coaches.
Wenn demonstratives Nichthandeln noch als Tun gewertet werden kann, so ist die totale Ignoranz, die von diesen Menschen ausgeht weit mehr. Die Angebote anders agierender Menschen nehmen sie gern entgegen. Eine Gegenleistung betrachten sie aber als Zumutung und Erpressung.
Komische Leute. Autoritär gepolte Menschen sind in einer antiautoritär geprägten Gesellschaft ziemlich am Arsch.
„Nicht entscheiden können oder müssen, scheint eine Volkskrankheit zu sein.“
Scheint nicht nur eine zu sein, sondern ist es tatsächlich. Die Ursachen dafür erschließen sich mir bei jenen Menschen, die ich näher kenne, denn dort liegt es definitiv an der familiären Situation.
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ich bin ja da so ein dussel, der nix blickt. woran liegt es in diesen fällen?
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Das kommt von der Hitze, Frau Kitty, nur von der Hitze.
Es liegt daran, dass die Eltern ihren Kindern am liebsten auch noch das Essen vorkauen würden, so sehr betüddeln sie sie. Wenn mich jemand fragt: Für Kinder ist wichtig, zu wissen, dass es Menschen gibt, die für sie da sind, wenn es Probleme gibt; elterliche Zuneigung hat mit Geld allerdings nur marginal zu tun, denn das, worauf es in einer Beziehung ankommt, lässt sich mit Geld nicht kaufen. Klingt idealistisch und sozialromantisch, entspricht aber dennoch den Tatsachen.
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also maximal verwöhnt…
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… und genau deshalb zur Abhängigkeit erzogen.
Loslassen können heißt für die Eltern, eigene Entscheidungen zu treffen und sich nicht über die Kinder zu definieren.
Loslassen können heißt für die Kinder, sich nicht mehr an den elterlichen Geldbeutel zu klammern, sondern eigene Entscheidungen zu treffen.
Ein gar vortreffliches Fallbeispiel…
Leider ist diese Gesellschaft eine, die auch dem Rechtsextremismus Tür und Tor öffnet. Das Fehlen von vernünftigen Vorgaben führt entweder zur Verlockung religiösen Fanatismus oder zur politischen Recht-Vorgabe. Auf einmal wird die Fremdbestimmung zum Ideal.
Ich denke, es liegt daran, dass die beschriebene Altersgruppe (die der Tochter) bereits von Eltern aufgezogen wurde, denen es selbst vergleichsweise gut ging, die daher keine Ziele hatte, um ein Defizit (wie z.B. in der Wiederaufbauzeit) zu beheben.
Die materialistischen Ziele sind abhanden gekommen, die geistigen schon etwas früher.
Die umgebende Gesellschaft hat nur mehr die Aufgabe, für Plaisir zu sorgen. Das war das einzige Mittel, um die römische Plebs ruhig zu halten, falls nicht gerade Krieg war. Es bleibt auch heute das einzige Mittel.
Nach einem Urlaub, der mich auch nach Deutschland gebracht hat, gibt es für mich noch eine andere Unverständlichkeit. Man könnte den Rechtstrend und die Klage um Arbeitslosigkeit doch sehr einfach beheben. Ich fahre an Autobahnbaustellen vorbei, welche komplett verwaist sind.
Auch die Roten und die Schwarzen könnten wieder einmal einen Arbeitsdienst einführen. Man müsste nicht einmal Überstunden zahlen. Und jede Bezahlung wäre noch besser als Hartz-IV. Und die Kosten für die Baustelle selbst mit Unterbringung der Arbeitenden noch immer billiger als die normalen Kosten.
Aber so gibt es – wie mir von deutschen Urlaubern bestätigt wurde – ein Nadelöhr zwischen Frankfurt und Würzburg, welches als Dauerbaustelle ein Symptom für deutsche Unfähigkeit in der Verkehrspolitik ist. Obwohl ich selbst ja eh lieber Bahn fahre.
Oder dass es auf der Autobahn von Rothenburg nach Memmingen, sechs Baustellen gibt, – zur Erneuerung der Fahrbahn – obwohl Strecken davon in 1986, als ich öfters nach Oberkochen musste, noch gar nicht existiert haben.
Dass die Tochter versucht, sich mit Billigarbeit in die Partnerschaft einzubringen, halte ich persönlich durchaus für eine gangbare Strategie. Das funktioniert. Allerdings nur, wenn der Mensch auch in seinem Privatleben ähnliche Ziele hat, die aber hier zu fehlen scheinen.
Insgesamt ist der Beitrag viel zu gut zu lesen. Leider. Viel zu oft stellt sich da der Wunsch nach einem „Genau“ ein.
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Am besten, wir machen einen Sitzkreis!
Mal nur zu der Sache mit den Entscheidungen: Ich kenne viele Leute, gerade unter so Hängern, die gar nicht merken, wie viele Entscheidungen sie treffen. Gerade mit ihrem Hängen. Die reden oft viel davon wie ihnen was aufgedrückt wird oder ihnen was wiederfährt und wieviel sie dabei selber entschieden haben, sehen sie gar nicht. Ist wohl eine Kultur/Erziehungssache….
PS: Miss Kitty, ich habe dieses schöne Blog vor kurzem erst entdeckt, gefällt mir sehr gut. Werde weiter reinschauen….
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oh, da haben sie verdammt recht! das sind die leute, die auch ständig über fremdbestimmung klagen.
danke für das kompliment, das freut mich sehr!
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das mit der arbeitsverpflichtung ist zumindest in berlin gründlich schiefgegangen. dort sollten leute kastanienlaub zusammenharken wegen der miniermotte und waren eins, zwei fix krank.
aber mir ging es in diesem fall garnicht um den sozialhilfeadel, sondern um die generation, die unter besten lebensbedingungen aufgewachsen und gut ausgebildet ist, aber partout nicht erwachsen werden will.
als mich die frau fragte, ob ich nicht einen netten, unkomplizierten und leistungsorientierten mann anfang 30 kennen würde, den sie ihrer tochter vorstellen könnte (mütter! gnaaaa!). da mußte ich herzhaft lachen. mit anfang 30? das ist doch postpubertät. einen kannte ich, der war ende 40 und erzählte mir vor ein paar tagen, daß er es so langsam kapiert hätte…
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Was soll ich sagen? Mit dreißig war ich verheiratet, wir hatten zwei süße Kinder, und ich bin als Spezialist weltweit herumgekommen. Und habe genau das gemacht, wovon ich als 20-Jähriger geträumt hatte.
Dafür werde ich heute von manchen Bloggern als oberg’scheit tituliert:)
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ich bin mit 30 in meinen zweiten beruf gestartet, war geschieden und hatte ein kind.
„Nicht entscheiden können oder müssen, scheint eine Volkskrankheit zu sein.“
Hmm, aber was ist denn der Gesundzustand? Dass einem nichts egal ist (krank: „Ja, da können wir hingehen, mir ist der Ort heute mal egal.“)? Dass man alles weiss (krank: „Ich weiss nicht, wie gefährlich es ist, den LHC einzuschalten und damit schwarze Löcher zu riskieren.“)? Dass man zu allem eine Meinung hat? Alles unrealistisch zu finden (krank: „Komm, lass uns einfach da hinfahren, ein Hotel findet sich schon“)? Immer alles machen (krank: „Nein, ich werde diese Zahnpastatube nicht mopsen während die ganzen Journalisten hier rumstehen. Ich bin Polizeipräsident!“)?
Das war jetzt albern, aber die Frage ist mir ernst: ist das nicht sehr einfach, nicht-entscheiden-können zu unterstellen? Kann das nicht jeder mal nicht? Sind die Wahlmöglichkeiten vielleicht einfach explodiert? Zwischen wievielen Telefonanbietern konnte man vor 30 Jahren wählen? Ist Entscheiden nicht auch rasend schwer? Ist nicht-entscheiden (müssen) von daher nicht eigentlich erstrebenswert?
Das scheint ein JuristinnenLos zu sein, der Hang zum derben Handwerker. Ebensolcher Fall, allerdings mit einem Herrn, dem „Gas,Wasser, Scheisse“ also Klempner als Berufsbild gegeben ist. Das Nest, in das er sich gesetzt hat, ist allerdings ein sehr goldenes…deshalb halte ich das für „nicht ganz auf den Kopp gefallen“ bei Juristinnen, für eher nicht haltbar! Jetzt fallen mir noch mindestens drei Fälle, vergleichbar ein…stets Juristinnen…
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es gibt dinge, die lassen sich nicht entscheiden, weil sie nicht in der hand des einzelnen leigen. aber position beziehen und verantwortung für das eigene handeln zu übernehmen, ist das mindeste. und gerade das wird mit rumeiern, ausweichen und verzögern vermieden.
handeln und sich für eine der angebotenen optionen klar können, das macht menschen stark für wirklich schwierige situationen.
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interessant, das wußte ich nciht.