Von Brosamen leben

Es darf nicht unerwähnt bleiben, dass wir alle furchtbar hungern müssen. Es gibt nur zwei warme Mahlzeiten am Tag und am Wochenende ist es besonders schlimm. Da finden im Convento jede Menge Parties statt: Kindergeburtstag, Kommunion, religiöse Sessions und praktischerweise kocht man für uns nicht noch mal extra. Böse Menschen sagen, dass wir die Reste von großem Getafel essen. Solange das so aussieht und schmeckt wie heute, ist das vollkommen ok.
Es gab nämlich heute Mittag Lasagne und als zweiten Gang kleine frittierte Flussfischlein und Scampi, dazu Salat. Am Abend standen Antipasti auf dem Tisch: Gegrilltes Gemüse, mit Auberginen umhüllter Ricotta, Berge von Artischockenherzen und kleine Fleischbällchen, dann gab es Braten – Schweinefilet und Lammkeule mit gebackenem Risotto Milanese, in dem Spargelspitzen steckten. Dann musste die Küche noch jede Menge Semifreddo loswerden und auch den guten Syrah und den Nero D’Avola, nicht nur den normalen Tischwein.
Ach und dann mussten wir vor lauter Hunger im Klostergarten einen Mispelbaum plündern. Eine kleine, nicht mehr ganz junge drahtige Griechin kletterte einfach hinauf und ernetete gut 3 Kilo.
Schlimm ist das, wirklich schlimm.
Mispel

In der letzten Nacht saß ich auf der Dachterrasse, wo sich der Blick über Palermo noch einmal weitet und ein fetter gelber Mond ging auf.
Es gibt aber auch weniger gute Dinge: heute hatte ich tatsächlich mal wieder eine klassische Data-Overload Situation und musste die Session verlassen. Ich habe dann zwei Stunden geschlafen, dann war es wieder ok.
Was mich mittlerweile richtig ärgert (nicht nur in dieser Runde), wenn ich erkläre, was mit mir los ist, warum ich Ausfälle habe – dass ich noch mit den Folgen eines schweren Burnouts zu tun habe, kommen Sprüche, da könnte ich kotzen.
„Ach was, nur einen Burnout? Den hab ich jede Woche!“
„Mir geht es noch viel schlechter!“
„Du musstest einfach nur schlafen, müde sind wir alle!“
Also so im Stil von „reiß dich mal zusammen“. Ich werde dann so was von aggressiv. Ich wünsche niemandem, durch so eine Hölle gehen und das halbe Leben aufgeben zu müssen. Ich suche noch nach dem richtigen Spruch für eine solche Gelegenheit.

Die Unterweisungen heute waren wieder rührend 60ies. Von Boal und dem Theater der Unterdrückten hatte ich schon vor dem Theaterwissenschaftsstudium gehört. Ich erinnere mich an eine wunderbare Mitmachinszenierung im Oderkaff-Theater, die tatsächlich mal von Freunden von mir durch Mitmachen gesprengt wurde – und der Rest war Publikumsbeschimpfung von der Bühne herab.
Und auch hier merke ich wieder: Die Strukturen haben sich massiv verändert. Den fetten Kapitalisten mit Zigarre und Zylinder mit seinen Schergen und den Antreiber mit der Peitsche gibt es so nicht mehr und Unterdrückung findet im wesentlichen in den Köpfen statt, in allen Spielarten von Selbstoptimierung, Selbstdisziplin und innerer Konditionierung – das ist outgesourct. Zumindest in meiner Umgebung.
Nün ja, kann ich da wiederum nur sagen.

So, nun gibt es noch ein Foto. Miz Kitty, komplett mental zerlegt:

Sizilianisches Selbstporträt

Sizilianisches Selbstporträt

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10 Gedanken zu „Von Brosamen leben

  1. Pingback: Results for week beginning 2014-05-12 | Iron Blogger Berlin

  2. Es ist unglaublich wie inflationär der Begriff burn-out benutzt wird.

    Das Muster “ Wenn Du glaubst, dass es Dir schlecht geht, dann höre, dass es mir mindestens so schlecht geht. Ich will so etwas nicht von Dir wissen.“ ist entsetzlich. Das dumme Gegenteil von Mitgefühl und Empathie. Aus dem Empfinden mit dem Leid des anderen nicht umgehen zu können oder zu wollen, wird Eine Abwertung des Gegenübers.

    Über einen Antwortvorschlag für Dich habe ich intensiv nachgedacht. In solchen Köpfen ist soviel emotionale und intellektuelle Ignoranz. Diese Herrschaften zu treffen wird schwer und eigentlich bist Du doch nicht verpflichtet aufklärerisch und erzieherisch zu wirken. Sag etwas um Dich zu entlasten,nicht sprachlos zu sein. Mehr würde ich nicht versuchen. Denk Dir Deinen Teil. Die Umstehenden werden Dich verstehen.

    Darum:
    Danke für Dein Mitgefühl.
    Jeder muss im Leben etwas lernen…
    So hat jeder sein Päckchen zu tragen…
    (ganz souverän und locker im Ton ;-)

    Du bist viel zu cool, um Dir solche Ungehörigkeiten zu Herzen zu nehmen!

  3. Seien Sie ihnen nicht böse.
    Seelenzustände nachzuempfinden ist nicht allen gegeben.
    Da reicht ein simples „Kopfschmerzen“ völlig aus.
    Erst wenn einer nachfragt, kann kann man erklären, was los ist.

    Hab übrigens noch nie Mispel gegessen. Ich glaub, ich weiß, wo ein Baum steht. Ich werde es nachholen. Danke für die Anregung.
    Ich habe übrigens drei Maulbeerbäumchen im Garten. Mal sehen, ob sie blühen dieses Jahr.

  4. Mamma mia!!!
    Dio mio!!!
    was für ein wunderbares Programm (*wackelt mit den Händen*)

    was die Ignoranten angeht, weiß ich auch nichts gescheites. Ich persönlich tendiere ja dazu meine sizilianischen Cousins mit dem Betonmischer herbeizusehnen. Blöderweise habe ich keine sizilianische Cousins.
    Meine Freundin D. aus Ö. hat eine sehr böse Variante: sie setzt ihr herzigstes Lächeln auf und wünscht ihrem Gegenüber ein sehr sehr langes und vor allem sehr sehr interessantes Leben.
    Dann dreht sie sich schnell um und schämt sich bissi :-)

  5. Bacchantische Gelage! Völlerei! Schamlos!
    Und ganz wunderbar, wie Sie uns das beschreiben.

    Wenn Ihnen ein knackiger Satz einfällt, lassen Sie ihn mich bitte wissen.
    Ich könnte den auch gebrauchen.
    Schon einige Zeit her, kommt es mir vor als würde nicht mehr alles so werden wie’s mal war, vorher.

  6. ihr Selbstporträt ist sehr großartig. Vielleicht Mispelkerne aufsammeln und via Mispelkernschleuder denjenigen die alles schon immer besser wussten, vor die Füße schleudern, spucken schickt sich ja nicht…

  7. tolles bild mit richtig sizilianischem blick, glückwunsch!

    die bemerkungen sind bitter in ihrer gedankenlosigkeit, so eine chinesische antwort wie die mit dem interessanten leben finde ich da am besten, oder: mögen ihre wünsche in erfüllung gehen, das ist fûr einen nichtemphatiker so unverständlich wie unheimlich, hört sich in sizilien aber schon eher wie ein freundlicher letzter hinweis der mafia an.

  8. «In der letzten Nacht saß ich auf der Dachterrasse, wo sich der Blick über Palermo noch einmal weitet und ein fetter gelber Mond ging auf.»

    Da muss ich fast weinen, so schön ist der Satz.

    Ich bin bei „Reiß Dich mal zusammen”-Sätzen mittlerweile aggressiv konstruktiv, das geht hin bis zur höflichen Empfehlung einfach ruhig zu sein, wenn zur persönlichen Situation und Diagnose keine Ahnung vorliegt – und dass ich lieber auf die Vorschläge meiner Ärztin höre. (Komischerweise ist beim Wort „Arzt” meist das vorherrschende Bewusstsein für „die will doch bloss spielen/angeben/sich wichtig machen” schnell beim Gegenüber eingetütet.)

    Egal. Was ich wichtig und toll finde ist, dass Du solche Momente erkennst, akzeptierst und Dich raus nimmst aus der Situation und Dich um Dich kümmerst. Das ist so was von der richtige Weg. Alle Achtung! ;-)

  9. Danke an euch für die Hilfestellung.
    Ich tendiere nun auch zu „Tja, jeder muß in seinem Leben halt etwas lernen und dir noch nen schönen Tag…“
    und in besonders krassen Fällen „Ich glaube nicht, daß du dir das vorstellen kannst und ich wünsche das auch keinem.“

    Und Frau @casino das mit de sizilianischen Aussehen kommt hier fast von allein. :)

  10. „Was mich mittlerweile richtig ärgert (nicht nur in dieser Runde), wenn ich erkläre, was mit mir los ist, warum ich Ausfälle habe – dass ich noch mit den Folgen eines schweren Burnouts zu tun habe, kommen Sprüche, da könnte ich kotzen.“

    Ich habe eine ganz simple Erkenntnis gewonnen: Die meisten Menschen können nur Mitgefühl, Anteilnahme, Verständnis oder jetzt eben Empathie aufbringen, wenn sie wenigstens einmal in ihrem Leben selbst BETROFFEN sind oder waren. Und das beste Argument ist immer noch die Nichtbeachtung, warum erklären und rechtfertigen? Ein Spruch wird eventuell gar nicht intellektuell erfasst, aber auf die Nichtbeachtung, da verstummt das Menschlein in seiner Eitelkeit gekränkt schon.

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