Tagebuchbloggen – 6. Oktober 2013

Der Tag begann trübe und mit Nieselregen. Wir räumten im Holzhäuschen unsere Sachen zusammen, frühstückten und fuhren in die Stadtwohnung, um ein letztes Mal die Katzen zu bespaßen, die sich schon sichtlich langweilten.
Dann machten wir noch eine große Runde durch die Innenstadt. An der Brücke zum Ziegenwerder, die gerade mal 10 Jahre alt ist, verdient sich irgendeine Holzbaufirma aus Niedersachsen eine goldene Nase bei der Sanierung von etwas völlig intaktem (wahrscheinlich subventioniert). Die Plattenbauten-Staße, die in meinen 20ern der heißeste und neueste Scheiß war, steht leer oder beherbergt Wende-Verlierer. Die Läden sind an gemeinnützige Vereine, die gequirltes Nichts veranstalten und Sozialträger vermietet. Ein  paar historische Gebäude sind sehr teuer saniert und dann mühselig gefüllt und doch halb leer, die Universität hat riesige Bauten bekommen. Zwischendurch immer wieder Lücken, wo vor 30 Jahren viel los war. Der Versuch, schrumpfenden Städten eine Restwürde zu bewahren, schlägt regelmäßig fehl. Überdimensioniertes Gedöns neben schwarzen Löchern, durch das Rentner mit Rollatoren schleichen.

Es ist folgerichtig, dass dieses aufgeblähte Soufflé sozialistischen Fortschritts nach der Wende in dich zusammen fiel. Das war keine gewachsene Struktur, sondern aufgepropft. Eine Stadt, die im späten Mittelalter mal wichtig war, als Hansestadt und Universitätsplatz hatte sich mit Militär, Handel und Verwaltung in die Neuzeit gerettet. In den 20ern saß hier die Reichsbahndirektion Ost und verwaltete alle Schienen, Züge und Bahnhöfe bis Königsberg. Das war 1945 vorbei. In einer Latenz- und Selbstvergewisserungsphase beschloß eine Bürgermeisterin das Alte mit Stumpf und Stiel auszurotten und so wie in Eisenhüttenstadt eine neue Stadt zu schaffen. Mit der neuen Stadt sollten das neue Leben und Denken und der Fortschritt kommen.* Die gesamte zentrale Innenstadt, nicht durch Bomben kriegszerstört (wie später gern behauptet wurde), sondern von jemandem aus einem durchziehenden Flüchtlings-Treck angezündet, lediglich ausgebrannt und in der soliden Bausubstanz erhalten, wurde abgerissen oder gesprengt. Neubaublocks wurden gebaut. Der Grundriß entstand am Reißbrett, in der Draufschau. Breite Straßen und riesige Plätze, durch die im Winter die der eiskalte Ostwind fegte und im Sommer brüllheiße Staubteufel tanzten.
Die Elektronik kam, saubere Arbeit für kluge, sorgfältige Menschen. 8000 junge Leute, die gerade eine Familie gegründet hatten, arbeiteten im Halbleiterwerk. Daran hingen Schulen, Kindergärten, Geschäfte, Krankenhäuser, Verkehrsbetriebe. Drei Vier große Neubausiedlungen wurden innerhalb von 20 Jahren gebaut, dafür riss man Einfamilienhäuser weg und benutzte zusätzlich die angrenzenden Äcker. Mitten in der Stadt, couvriert von den neuen Straßen und nur zugewuchert, standen noch die Reste alter Fabriken und Gebäude.
Ich erinnere mich als Kind immer an viel Gedöns. Mit großen Worten wurde eine neue Identität beschworen, Menschen mit weißen Kitteln auf Fotos. Jedes neue Haus mit genormten kleinen Wohnungen wurde als einzigartiger Bote der neuen Gesellschaft begrüßt. Nur komisch, dass meine Großeltern, die zu den Mächtigen des Landes gehörten, in einem großen Einfamilienhaus mit Garten am See lebten und meine Oma nichts mehr hasste, als sich mit anderen Leuten in die Straßenbahn zu quetschen…
1990 kollabierte diese Fortschritts-Blase mit einen mehrjährigen schlaffen Pupsgeräusch. Die Generation der Endvierziger, zu der meine Eltern gehörten bekamen mehrheitlich die Kurve nicht mehr. Sie versuchten noch halbherzig, nach außenhin Kapitalismus zu spielen, die glitzerbunte Warenwelt und die neuen Autos nahmen sie ganz gern mit, alles andere war Depression pur. Es ist nicht schön, wenn dir jemand sagt, dass die Werte, nach denen du gelebt hast, nur alberner Dreck waren und dich mit Almosen abspeist, damit du nicht aufmuckst. Aber es ist auch leider nicht zu ändern.
Ich kann dazu nicht viel sagen. Für mich war der Mauerfall lebens- und verstandrettend. Ich ging weg, wie ungefähr 70% der jungen Leute. Der Rest hatte einen Job im öffentlichen Dienst oder lebte von Aufträgen des öffentlichen Dienstes und Aufbau-Ost, später EU-Subventionen, oder kam ganz auf den Hund und wurde von den Leuten im öffentlichen Dienst gepampert. Man verpachtete den nahen Helenesee an irgendeinen Spacken, der riesige Einnahmen und Arbeitsplätze versprach und erhielt umzäunte Leere, man machte Geschäfte mit einem Scheich, um wieder eine Chipfabrik zu bekommen und musste sehen, dass die Subventionen in Dubai landeten, man gründete eine Uni und um Studenten zu ziehen gibt es nun auch eine Fakultät für Gesundbeter.
Jeder Marktplatz einer brandenburgischen Kleinstadt, in den 80ern verfallen und kleinbürgerlich erscheinend, hat heute mehr Charme als die Innenstadt von Frankfurt (Oder). Wer es sich leisten kann, baut am Stadtrand oder zieht gleich in ein hübsches altes Häuschen irgendwo im Schlaubetal.

Wir landeten bei unserem Gang in einem Café in einem alten Speicher, der Ausbildungsrestaurant ist. So eine Art Einstein für die Provinz mit selbstgetöpferten Kaffeetassen. Frequentiert von die „Zeit“ lesenden zugezogenen Wessis und Ureinwohnern, deren in Berlin lebende Kinder sie dort hin schleifen. Der Kaffee wird als Zugeständnis an die örtliche Tradition mit fett Sahne statt Milchschaum serviert und ist ansonsten ganz ok., unglaublich ambitionierte junge Männer fragten ständig, ob wir etwas brauchten und alles gut sei. Wir lasen eine ältere Ausgabe der Märkischen Oderzeitung. Aufmacher ist ein Nachruf auf Otto Sander, weitere Leitartikel befassen sich mit patentierten Arzneimitteln und Generika, der Woche der Notfallmedizin und nochmals mit Gesundheitsthemen. Am Rande geht es um den Sparkurs der Stadt und um einen Menschen, der im brandenburgischen ein kleines Tourismusunternehmen betreibt. Er wollte eine alte Eisenbahnstrecke und eine seit Jahren leerstehende Brücke mit Draisinen befahren. Das wurde ihm, als alles in Sack und Tüten war, kurzfristig verboten, weil auf der Brücke Eulen nisten. Nun sind die vier jungen Eulen weg und es wird lang und breit darüber debattiert, ob der Unternehmer die sie womöglich umgebracht hat, um skrupellos seinen Profitinteressen nachzugehen. In diesen Landstrich Geld zu investieren kann bedeuten, es ansatzlos aus dem Fenster zu schmeißen.

Nachdem ich diese Stadt noch einmal schonungslos mit offenen Augen gesehen habe, ist mir mehr als einmal klar, dass wir knapp hundert Kilometer weiter in Berlin nicht nur auf einem anderen Planeten, sondern in eine anderen Galaxis leben. Unser Leben hat nichts, aber auch nichts mit dem Leben in der Provinz zu tun (und das bezieht sich nicht nur auf Ostdeutschland). Es sind vielleicht 2000 Leute in meiner Filterblase, die andere Gedanken und Werte haben und sich auf dieser Basis hinstellen und allen Ernstes die 5%-Klausel anzweifeln. Die es zulassen würden, auch Rechtsextreme und die AfD ins Parlament zu bekommen, nur um sich vertreten zu fühlen. So ein Schwachsinn.
Es ist ok., daß Eliten von der Demokratie nur begrenzt abgebildet werden. Sind ihre Werte gesellschaftlich kompatibel, werden sie ohnehin vom Mainstream assimiliert. (Siehe die Themen Emanzipation, alternative Energien und Umweltschutz.)
Wer anders sein will, muss auch den Arsch in der Hose haben, exponiert zu stehen. Wer mit der Masse kuscheln will, muss massenkompatibel werden. Alles andere ist „ein bisschen schwanger“.

Nach Berlin zurückgekehrt, waren prompt auch meine bohrenden Kopfschmerzen wieder da. Ich weiß nicht, was das ist. Vielleicht die Luft.

*Hat hier noch jemand Fragen dazu, warum ich Fassadenkosmetik, um Veränderungen herbeizuführen, wenig sinnvoll finde?

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21 Gedanken zu „Tagebuchbloggen – 6. Oktober 2013

  1. Ich habe ja manches Mal gedacht, nur ich leide an Wahrnehmungstäuschung vor Ort, bei allem Wissen um die eigenen Berliner Filterblase …

    Danke für den unverstellten Blick sowie für die historischen und subjektiven Ergänzungen.

    • Je länger ich darüber nachdenke, desto infantiler erscheint mir der Ansatz von Lucie Hein, auf diese Art und Weise mit dem historischen Erbe, dem Deutschsein und dem Faschismus umzugehen.
      Meine Mutter hat mich schon in den 80ern darauf hingewiesen. Sie meinte: „Lucie Hein? Die war verrückt! Die hat die Stadt plattgemacht.“ Sie erzählte mir, daß sie tatsächlich in einer feierlichen Veranstaltung mit Arbeitseinsatz die Stadtmauer mit der Spitzhacke abriß.
      Eine komische Biografie. Sekretärin, einen Pelzhändler geheiratet, wieder Sekretärin, Eintritt in die SED, plötzlich Instrukteurin, persönliche Mitarbeiterin für Kirchenfragen, Bürgermeisterin, früher Tod. Da hat jemand lichterloh gebrannt.
      Im politischen Machtvakuum nach 1945 gingen die Karrieren schnell, es wurde ja radikal entnazifiziert, aber an diesem Beispiel ist auch sichtbar, was und mit welcher Nachwirkung Radikalisten an der Macht anrichten können.

    • zu Lucie Hein und dem Abriss der Frankfurter Stadtmauer: Da hatten die übriggebliebenen Frankfurter nichts dagegen — „Das rattenverseuchte Drecksgemäuer kann ruhig weg“ war verbreitete Meinung – die Blödheit der Vielen

      zum abgebrannten Stadtkern: Es gibt mindestens einen Augenzeugenbericht, der von Brandkommandos der Roten Armee berichtet – allein ins alte Stadtmuseum mussten sie angeblich viermal rein, weil die Holztreppe so massiv war

    • Ah, das ist interessant. Meine Mutter hatte die Flüchtlings-Treck-Geschichte irgendwo aufgeschnappt, als sie als DSF-Kreisvorsitzende viel in der Stadt unterwegs war. Mir wurde im Heimatkunde-Unterricht das übliche „im Krieg bis auf den Boden zerstört“-Blabla serviert. (Was so nicht war, das hätte ohne größere Not wieder hergerichtet werden können.)
      Ich habe auch noch mal darüber nachgedacht. Plattgemachte historische Innenstädte sind ja kein rein ostdeutsches Phänomen – siehe Frankfurt am Main und Köln. Das Bedürfnis nach Autofreiheit und hellen Wohnungen in weitläufigen Straßen und alles in klarer Linienführung war ein Phänomen der Moderne. Ist ja auch richtig, es gab genug Rattenlöcher. Aber das Verrückte ist, daß sich Menschen in weiten Straßen und kästchenförmigen engen Wohnungen nicht wohl fühlen. Die Architekten, die sich das ausdachten, lebten meist in Häusern in netter Umgebung.

      Aber die Diskussion über Architektur der Moderne ist ein weites Feld… Holgi sagte mir mal, er hätte sich in keiner Wohnung so wohl gefühlt, wie im Corbusier-Haus, weil die die richtigen Proportionen hatte. Auch das Hansa-Viertel ist begehrt. Problematisch wird es dann bei den Mietskasernen der Neuzeit.

    • zur Befreiung Frankfurt (Oder)s: Frankfurt war ja zur Festung erklärt und im Prinzip menschenleer. Die Truppen sind jedoch meines Wissens nördlich (Seelow) und südlich vorbei gezogen – die Frankfurter Brücke war bereits gesprengt. Ich besitze jedoch eine Urkunde eines kasachischen Soldaten, dem die Teilnahme an der Befreiung Frankfurts bescheinigt wird. Dann gibt es noch das berühmte Foto, bei dem drei Sowjetsoldaten bei der Hauptpost um die Ecke gucken – das ist aber sicher Tage nach der Befreiung aufgenommen wurden, da Frankfurt ja erst hinterher zerstört wurde.

  2. Passende [sozusagen entgegengesetzte] Referenz dazu: In der Verfilmung von „Wege übers Land“ gibt es den Satz eines alten Kommunisten [H. Hardt-Hardtloff?] auf die Beschwerde einer besorgten Mutter, dass die „Neulehrerin“ die Rechtschreibung nicht recht beherrscht, dass der alte Nazi-Lehrer halt getürmt sei und „So lange wird Blume mit h geschrieben.“ Mein Vater hat auf der ABF das Abi gemacht und meinte immer, er habe am besten bei den alten entnazifizierten Studienräten gelernt, die wollten es den Jungkommunisten noch mal so richtig zeigen … Gegenüber den Jungen hatte man allerdings Respekt vor dem Mut, sich mit zuweilen grade mal drei, vier Stunden Unterrichtsinhalt Vorsprung vor eine Klasse zu stellen.

    • Wie das Leben so ist, es gibt solche und solche. Meine Familie, zu 80% Arbeiter, hat nach 1945 durch das per Entnazifizierung entstandene Führungskräftevakuum einen rasanten Aufstieg gemacht. Da ging es wirklich um Entscheidungen, ob der Großvater Chef der Defa oder doch besser führender Militär wird. (Er wurde zu meiner Erleichterung nicht Chef der Defa.)
      Das ist einerseits gut, frisches Blut eben, Chancen für die, die vorher wenig Chancen hatten. (Vergleicht man dagegen die verhärteten Strukturen heute, bei denen eben ein Aufstieg ungleich schwerer wird, wer einmal in seine Klasse geboren wird, bleibt meist dort.) Andererseits sind solche Umbruchzeiten auch immer die Stunden der Phantasten, Borderliner und Narzissten (Ibrahim Böhme fällt mir da ein), die auf den ersten Blick faszinieren und schnelle Lösungen anbieten, die aber nachhaltig Schäden anrichten können.

  3. Kitty, mir hat ja immer die disparate Stadtstruktur seltsam berührt: An der einen Stelle guckst du auf ein aufgehübschtes altes Gebäude, dann drehst du dich um und schaust auf eine unerlöste Platte. Ich sag mal: Anfang Gubener Straße. Bin ich ja mehrere Jahre lang täglich durchgelaufen. Das krieg ich mit meiner inneren Ästhetikwasserwaage nicht ausbalanciert. Zum Beispiel. Ich denke, dass ist so ein Indikator dafür, wie selbst ich als Neuling „damals“, anno 2006, merkte, dass die Stadt „nicht stimmt“. Über die ganze Stadt-Um-Erneuerungs-Baupolitik könnte man nun z.B. lange und trefflich diskutieren, das will ich an dieser Stelle nicht.

    Ich wusste z.B., dass die Stadt nach dem Brand 1945 parallel zur Oder nicht zum Wasser hin wiederaufgebaut und ausgerichtet wurde. Eben mit so einer viel zu breiten, windigen Magistrale, auf der man sich immer – und wahrscheinlich auch mit tausenden, heute nicht mehr vorhandenen, Mitmenschen – immer völlig verlassen vorkommt. Ohne menschliches Maß, sozusagen.

    Der Wegzug der Menschen, der Bevölkerungsrückgang insgesamt und genau diese Melange aus tristen Orten wie dem Brunnenplatz und hübsch gemachter Historie (die ich allemal mehr schätze als Ödnis) hat mich immer etwas schaudern lassen. Und ich habe es redlich versucht! Ich habe immerhin sieben Jahre dort die Mehrzahl der Tage im Jahr mitten in der Stadt wohnend und arbeitend verbracht. Das reicht dann bekanntermaßen auch.

    • Ich bin in den Neubauten dort groß geworden. Mir wurde erzählt, das sei die Zukunft und die alten Häuser kämen sowieso weg. Der Prozess des Erwachsenwerdens, als ich begann, die Werte meiner Großeltern und Eltern zu hinterfragen, ist bei mir sehr eng mit dem Entdecken der alten Architektur in dieser Stadt verbunden. Ich legte für mich die Schichten frei. Die Fischerhäuser ohne Klo und Abfluß, wo ein Dissidentenfreund wohnte (Dissident war man schon, wenn man als Kind von Genossen Baptist wurde), die alten Riesenwohnungen der Oderallee, die von Freunden instandbesetzt wurden, wo das Parkett in der Mitte der Salons bedrohlich durchhing, die Frühmoderne-Architektur von Kießling im der die Eisenbahner wohnten, die SED-Bezirksleitung, ein Gebäude Bauhausstil, in dem erst eine Handelsschule und dann die NSDAP saßen…

    • Die städtebauliche Dämlichkeit nimmt kein Ende – die monströsen Plattenfassaden an der Nordseite des Rathauses waren mir bei erster Sichtung wie ein Schlag in die Fresse. Ob es daran liegt, dass die Stadt von Lehrern und Pfaffen regiert wird, wie manche Frankfurter bitter scherzen?

    • Ach, ich glaube, es ist schlichtweg egal, von wem die Stadt regiert wird. Selbst wenn der Boss der Sozialmafia, der seit Jahren Ambitionen zum Bürgermeister hat, es schafft (bisher legt man ihm ja noch Steine in Form von Subventions-Zweckentfremdungsvorwürfen in den Weg), er verwaltest da doch nur noch eine Melange an Überalterung, mildem Größenwahn und spätpreussischer Bürokratie.

      Kommst du auch von da?

  4. Pardon, ich kaufe ein „mich“ statt ein „mir“ im ersten Satz nach.

    Was ich eigentlich auch sagen wollte: Ich kannte die ganze Geschichte um Lucie Hein gar nicht, nur den Namen. Ja, auch das ist alles völlig disparat – und hat dann u.a. die mir auffallenden baulichen Spuren hinterlassen.

    • Nein, Winzerring. Das sind die ersten als abgeschlossenes Viertel projektierten Neubauten der Stadt. Nicht groß, aber nicht als Ersatz für alte Häuser gedacht.

  5. „Plattgemachte historische Innenstädte sind ja kein rein ostdeutsches Phänomen – siehe Frankfurt am Main und Köln.“

    Gerade diese beiden Städte waren tatsächlich zerbombt, Köln meines Wissens zu 80 Prozent, Frankfurt am Main sah auch nicht besser aus (der Frankfurter Römer ist nachgebaut). Deshalb verlegten die Amerikaner sehr bald nach Kriegsende ihr Hauptquartier nach Wiesbaden, in Frankfurt war zu viel kaputt (die Amis mussten schließlich auch irgendwo wohnen). Später gab es den legendären „Häuserkampf“ in Frankfurt, als vom verbliebenen Rest historischer Bausubstanz auch noch das meiste weggerissen werden sollte. Auch im relativ unzerstörten Wiesbaden regte sich zum Glück Widerstand, als man dort Gründerzeithäuser im großen Stile abreißen wollte, um eine U-Bahn zu bauen. Die hässliche und unnötige Hochbrücke konnte man nicht verhindern, die ist vor ein paar Jahren wieder abgerissen worden. In Mainz, das nach dem Krieg ziemlich platt war, wurde später ein erhalten gebliebenes Bischofspalais abgerissen, um Platz für eine Stadtautobahn zu machen. Die wurde durch die Bürger zwar verhindert, aber das Palais war weg. Übrig blieb nur das Portal, das ein hässliches Parkhaus ziert.

  6. @arboretum Ja, ich weiß (und ichweiß auch, da ich auf dem Gebiet nur dilettiere), ich miente auch eher den Wiederaufbau mit autofreundlichen Straßenführungen, den riesigen Magistralen, die Fußgänger nur unterirdisch unterqueren konnten etc.

  7. In Köln kenne ich mich zu wenig aus. In Frankfurt dürften diese Fußgängerunterführungen zum großen Teil auch einfach der U-Bahn geschuldet sein, die ja auch lange Strecken überirdisch fährt.

    Rüsselsheim hat diese riesigen Magistralen, aber dass diese Stadt autofreundlich ist, verwundert nun nicht so sehr. Was ich so hörte, soll es auch in Wolfsburg so sein. Beide Städte sind auch nicht gerade für ihre Schönheit bekannt. Frankfurt am Main soll einmal eine der schönsten und größten mittelalterlichen Altstädte gehabt haben. Aber schon im 19. Jahrhundert hat man dort Straßendurchbrüche gemacht und 1925 wurde Ernst May dort Stadtbaurat (ich glaube, der war es auch, der später in Wiesbaden viel für diese U-Bahnidee abreißen wollte). Der Frankfurter Alleenring stammt übrigens schon vom Anfang des 20. Jahrhunderts. Im Bahnhofsviertel und im Westend wurde dann in den 1960er und 1970er Jahren viel abgerissen. Ignatz Bubis hatte seinerzeit dort viele Immobilien gekauft und leer stehen lassen, um sie abreißen zu können, dagegen wehrten sich dann die Spontis. Und Fassbinder schrieb ein Theaterstück.

    • Oh danke! Ja, das war der Geist der Zeit. In Brasilia möchte ich nicht mal begraben sein.

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