Tagbuchbloggen 4. Oktober 2013

Früh aufstehen und ab ins Oderkaff, zu den Eltern, die Katzen hüten. Was heißt, die Katzen waren in der Stadtwohnung und wir katzenhaarfrei im Sommerhäuschen. – Also, Datsche heeßt det hier.
Nach dem Katzenfüttern machten wir noch eine Runde durch die Stadt, es war zwei Uhr nachmittags, der Graf brauchte dringend etwas Frühstück. Wir strandeten in einem Gebäude, in dem wie ich mich erinnerte, früher mal die Monatskarten für die Straßenbahn verkauft wurden, nun gab es dort ein Café, das Eins Be.
Hübsch eingerichtet, also nicht Gastro-Plüsch und -Plünnen aus der Metro, sondern schlichter und farblich ausgewogener Style in Weiß, Grau und Braun mit ein paar netten romantischen Nippes. Dazu eine okaye Speisekarte und ordentlicher Kaffee. Und doch hatte ich innerhalb von Minuten wieder die Bestätigung, warum ich in dieser Stadt nicht mehr leben wollen würde. Diese etwas, nun ja, sehr rösche Art der Leute – auch im Dienstleistungsbereich.
Ich bestellte Papas Schmalzstulle und bekam – leider – kein Griebenschmalz, sondern ganz normales Schweinefett. Auf Nachfrage hieß es: „Nee, wir können nicht alles aufn Tisch bringen!“. Das mag hier wohl keiner. Ok., so schnell ist man im Sonderwunschbereich.

Dann kam ein richtiger Sonderwunsch reinmarschiert. Ein netter grauer Rentner näherte sich in der üblichen Haltung des gelernten DDR-Bürgers dem Tresen. leicht gebeugt, im Ton sehr sehr bittend:
DerMannso: „Sie haben schon mal für mich ein so ein schönes Sektfrühstück nach Hause geliefert, das war vor ein paar Jahren, ginge das wohl nochmals?“
Chefinso: „Nö, das mach ich mehr, lohnt nicht!“
DerMannso: „Meine Frau hat sich damals so gefreut, ich würde das gern noch mal für sie machen.“
Chefinso: „Nee, ich müßte das ganze Zeug hinschleppen, das ist Quatsch!“
DerMannso: „Aber Sie machen doch noch Catering?“
Chefinso: „Ja, aber so was mach ich nicht mehr! Gehse zu XY, die haben doch nen Lieferservice oder ich mache Ihnen ne Kalte Platte!“
Jedenfalls zog der alte Herr mit hängenden Ohren ab und wir tranken weiter unseren ziemlich guten Kaffee.

Die Chefin verhandelte währenddessen zwei Meter von uns entfernt mit zwei Leuten, die einen Brunch für 40 Leute buchten. „Aber eins muss klar sein, um drei machnwer Schluss, wenn wir das schon am Sonntag machen, da ist sonst zu!“
Wir signalisierten indessen, dass wir zahlen wollten. Räuspern, Sachen zusammenlegen, Portemonnaie auf den Tisch legen, rüber schauen, Blickkontakt suchen. Aufstehen und die Jacken anziehen, zum Tresen laufen, nach der anderen Bedienung schauen, die uns keines Blickes würdigt. (Wir überlegten beide unabhängig voneinander, was wohl passieren würde, wenn wir einfach gehen würden.) Ok., dann störten wir die Verhandlung und baten laut um die Rechnung. Irgendwann kam sie.
Wir sind einfach versaut in Berlin, hier sind zu viele Süddeutsche unterwegs. Vielleicht habe ich auch vom Aufwachsen im Oderkaff meinen Mangel an Socialising-Künsten. Übergroße Freundlichkeit und spontane Unterhaltungen gelten in diesem Landstrich als schleimig und aufdringlich. Für die Dame im Café war ihr Verhalten korrekte Nettigkeit für uns ist es eine Ungehobeltheit auf voller Linie.

Edit: Ich höre gerade per Mail, daß das Café, das wohl mal als Lichtblick am Gastro-Himmel im Oderkaff galt, es auch fertig bringt, ein Hochzeitsbüffet mit mehrstündiger Verspätung zu eröffnen.

Im Schuh- und Schlüsseldienst im Einkaufszentrum drei Straßen weiter gab es auch einen herzerwärmenden Dialog. Wir ließen uns einen Schlüssel nachmachen, den es in Berlin nicht mehr gab. Ein Security-Mann ließ sich die Schuhe besohlen und unterhielt sich derweil mit jemand anderem, der wartete:
„Eydu, ick brauch dat allet nicht mehr, ick hab jenuch hinter mir! Diese janze Scheiße!“, meinte er.
„Du ick ooch nich. Würklich!“, meinte der Andere.
Und dann kam die Ostdeutsche Rolle rückwärts: „Aba schön wart doch““, meinte der Security-Mann.
„Jenau! Geile Zeit!“, bestätigte der Andere. Versteh einer diese Leute. Ich versteh sie nicht mehr.

Am späten Nachmittag streunen wir noch etwas durch den Wald. Leider wagten sich nur noch ganz mutige Pilze heraus. Es ist derzeit nachts zu kalt.

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht in Leben von kitty. Setze ein Lesezeichen zum Permalink.

5 Gedanken zu „Tagbuchbloggen 4. Oktober 2013

  1. Das mit der Freundlichkeit im Service ist anscheinend wirklich eine landsmannschaftlich Sache.
    Aus dem Süden kommend, mit seinem lächelnden „Grüss Gott“ und dem freundlichen „Was hätten Sie gerne?“ bis zum „Hat es Ihnen geschmeckt?Dann kommen Sie doch wieder“ in den Norden geschmissen und jetzt im Rheinland, habe ich alles durch, was man im gastronomischen Bereich erleiden kann.
    Und ich bin mir sicher, manche Lokale wollen keine Gäste und fürchten sich davor, dass einer wieder kommt. Die übern extra Ruppichsein.
    Schade!

  2. Ich denke, dass die Kritik am Café und seiner Bedienung absolut berechtigt sind. Die sechzigtausend anderen Einwohner der Stadt über den gleichen Kamm zu scheren finde ich allerdings übertrieben.

    • Das Stilmittel der Überhöhung benutze ich sehr gern, wenn Sie aufmerksam lesen.

Kommentare sind geschlossen.