Der Spiegel berichtet über eine Frau, die nach 14 Jahren Haft bzw. Sicherheitsverwahrung entlassen werden soll. Von Frauen hört man so etwas selten, deshalb war ich neugierig, was sie angestellt hat, um so bestraft zu werden.
Das, was ich im Artikel lese, erstaunt mich: Sie war mehrfache Brandstifterin, hat Schüler abgezogen und Leute (unter anderem Gefängnisangestellte) mit dem Messer und anderen Waffen bedroht und ihnen angekündigt, sie wolle sie umbringen. Sie konnte irgendwann auf alles, was sie störte nur noch mit extremer Gewalt reagieren.
Für einen Mann ein nicht seltener Aggro-Lebenslauf, wie wir ihn in den Zeitungen lesen. Rumgeprügelt, gezündelt, im Knast bei den anderen das richtige Prügeln gelernt, draußen weitergemacht, um zu Geld zu kommen. Solche Leute gründen sogar Familien und verprügeln Frau und Kinder. Über die sagt man dann ganz gern noch: „Naja, vielleicht ist er ein bißchen sehr impulsiv, aber er hatte eine schwere Kindheit.“
Eine Frau bekommt dafür einen 125.000 € teuren Hochsicherheitstrakt und sieht – wenn man vom Willen des Gerichts ausgeht – den Rest des Lebens keine Sonne mehr.
Was bitte soll das? Frauen werden gern milder bestraft. Scheinbar zumindest dann, wenn sie passiv, defensiv oder als Opfer von irgendwas rüberkommen, selbst wenn sie Täterinnen sind. Eine Frau, die das selbe Aggressionspotential wie eine Menge Männer hat, wird für mein Gefühl unangemessen hart bestraft.
Hieße sie Lisbeth Salander, wäre sie eine Heldin.
Ich sehe hier eine Parallele zur Emma-Kampagne gegen Prostitution. (Ich weiß nicht, ob ich das verlinken kann wg. LSR, ich machs besser nicht.)
Eine Menge Sexworkerinnen sind ungeheuer dankbar, daß sie endlich von weißen, bürgerlichen, westeuropäischen Frauen gerettet werden. /*Ironie off
Vielleicht sollte sich das in Hirnen auch mal festsetzen, daß die Gleichung Frau = Opfer + Fremdbestimmt nur in seltenen Fällen und auch immer weniger in der Gesellschaft, in der wir leben, aufgeht.
Ich habe massiv etwas dagegen, dass Frauen ständig und pauschal für verführbar, schwach, ausnutzbar, naiv und unselbständig angesehen und behandelt werden.
Ich teile Ihre Eindrücke nur ansatzweise und ich habe den Text gelesen mit dem Namen „Karl E.“; er funktioniert auf diese Weise ebenso.
1) Ich finde, dass die faktische Lage [immer noch] Ihren Empfindungen widerspricht: Wenn drei Frauen sich die ähnliche Lebenssituation in einer Sicherungsverwahrung mit etwa 110 Männern [http://bit.ly/j5YTbx] teilen, liegt das vermutllich nicht allein daran, dass Gerichte die Frauen für schwach halten; Männer schaffen offenbar – 30mal – häufiger Anlässe für derartige Verurteilungen. Sie sind der Meinung, dass das eher von der milderen resp. härteren Bestrafung herrührt?
2) Diese ganze Sicherungsverwahrung ist doch ein einziges Dilemma: Weil innerhalb des Rechtsraums offenbar keine Lösung dafür gefunden wird, wie man mit anhaltender Gefährdung der Gesellschaft juristisch und sozialpsychologisch umgeht, schafft man Lösungen, die definitiv außerhalb des Rechtsraumes und neben der sozialpsychologischen Spur liegen …
3) So, wie sie sich wehren gegen die von Ihnen genannten Stigmata, halte ich es bis auf Widerruf für gleichmacherisch, [deutlich in der Mehrheit] zur Prostitution gezwungene aus östlichen und südöstlichen Gebieten mit selbstbestimmten Frankfurter, Berliner oder Hamburger Huren auf ein und dasselbe Tapet zu heben. Prostitution als Folge von Erpressung, Verschleppung und/oder Menschenhandel gehört m. E. nicht in die Kategorie Sexarbeit.
zu 1. Da habe ich mich nicht klar genug ausgedrückt, scheints. Ich habe das Gefühl, Gerichte haben so sehr das Klischee der schwachen, harmlosen Frau internalisiert, dass eine Frau mit (bei Männern öfter vorkommenden) extrem hohem Aggressivitätspotential extrem abstoßend wirkt, so dass sie diabolisiert und damit wesentlich härter bestraft wird, als ein Mann mit ähnlichen Straftaten auf der Uhr.
zu 2. ja, absolut d’accord
zu 3. Verschleppung und Sklaverei (nichts anderes ist es, wenn Menschen eine Arbeit wider ihren Willen verrichten müssen und sich nicht frei bewegen dürfen) gehört bestraft und hat nichts mit Sexarbeit zu tun. Menschenhandel ist eine diffizile Angelegenheit. Dafür lohnt es sich, noch mal auf die Seite der Humboldt-Uni zu schauen, die ich verlinkt habe.
Die wenigsten Menschen aus Ländern mit niedrigerem Lebensniveau werden gegen ihren Willen nach Deutschland verschleppt.
Die Geschichte „Lass dir von keinem Mann erzählen, er bringe dich als Sängerin/Model/Tänzerin im Ausland groß raus oder er hätte anderweitig gut bezahlte Arbeit für dich, du landest dort nur im Puff.“ war Bestandteil meiner (ansonsten eigentlich nicht stattgefundenen) sexuellen Erziehung.
Das wird auch heute in der Ukraine, Weißrussland etc. nicht anders sein. Ich hatte einige Freundinnen, die um ihr Leben zu verbessern, zu einer Menge bereit waren (und die wussten, was sie taten), zu einer Zeit, als wir alle noch unter das Klischee „armes Ostblockmädchen“ fielen. Der gesamte Ostblock ist voll von Frauen, die seit mehreren Generationen für sich selbst entscheiden können und müssen, weil die Männer im Kopf nicht hinterhergekommen sind. Das wird im Westen immer gern vergessen.
Aber siehe oben. Eine Frau kommt besser weg, wenn sie in der Öffentlichkeit nicht allzu offensiv auftritt.
PS Emma differenziert leider nicht. Dort geht es pauschal um Prostitution und die Behauptung, die wäre nie freiwillig.
3) Ok., das Terrain ist offenbar voller Klischeenäpfchen und, ja, die selbstbewussten osteuropäischen Frauen … Aitmatows Djamila [ich hab in der DDR Russisch gelernt] und so weiter …
Ich war Mitte der 80er mal ein bisschen in Moskau studieren und sah auf allen Baustellen, groß oder klein, Frauen arbeiten und kaum Männer. Die aus Kriegsgründen fehlende männliche Teilpopulation war längst aufgefüllt und konnte als Argument nicht mehr taugen und doch saßen die Kerle nun in den Bauwagen und kommandierten [sic!] und die Frauen ließen sich kommandieren. Sie hatten sich wieder untergeordnet als hätten sie sich ohne Übergeordnete nicht wohlgefühlt und konnten jetzt allerdings das Gefühl haben, wenigstens die gleichen Handwerksverrichtungen zu beherrschen, wie die Männer. Und dem Selbstbewusstsein der Männer tat es keinen Abbruch, dass sie jetzt mehrheitlich die quasi leichtere Administrations- und Büroarbeit verrichteten.
Darüber legt bei mir seit Monaten ein Artikel im Entwurfsordner. Über Frauen, die schwere Handarbeit verrichten und Männer, die Maschinen bedienen. So selbst erlebt in den 80ern auf dem Land in der DDR.
Ja, es ist wiedermal so, es gibt keine einfache Wahrheit.
Sagt Emma was zu männlichen Prostituierten?? Toyboys? *(Auch) Das ist ein weites Feld!*
Nicht so richtig. Die männlichen Prostituierten (die in 99% der Fälle Sex mit Männern haben) werden subsummiert, aber es geht wie immer im Feminismus, um Frauen und die pöhse männerbestimmte Gesellschaft. Und Toyboys gibt es in einer Welt, in der Frauen Opfer sind, nicht.