Down and Out in Munic

Von den Existenzialisten und anderen Angehörigen der schreibenden Zunft wurde überliefert, daß sie in Hotelzimmern lebten, um jeglicher bürgerlicher Bindung zu entsagen. (Vielleicht auch, weil sie zu faul waren, ihre Betten selbst zu machen, wer weiß…) Ich glaube, es war Ivan Goll, der sogar in einem Hotelzimmer auf den Tod lag und starb.
Auch wenn mich glücklichere Umstände begleiteten, ich kann das nicht empfehlen.
Am Dienstag wurde ich krank und am Mittwoch bestieg ich diszipliniert am Vormittag den Flieger, um meinen Mitreisenden ein paar Grippeviren zu gönnen. Ein Presseempfang harrte meiner und dazu zwei Treffen mit zwei Freunden. Aus reinem Geiz hatte ich den billigsten Rückflug gebucht: am nächsten Tag mit dem letzten Flug, dem Lumpensammler München-Berlin, bevölkert von Kulturschickeria und Teilzeitvätern.
In München angekommen, strebte ich in Schneeregen und kaltem Wind sofort mein Hotel an. Da ich Stammgast bin, war man nett, ich bekam ein upgrade auf ein schöneres Zimmer, weil mein gebuchtes Standardzimmer noch nicht fertig war. Ich führte zwei Telefonate, trank eine Flasche Holundersaft und warf mich ins Bett, schlief bis zu meinen Terminen, malte etwas Farbe in mein Gesicht, zog das Kostümchen an und brach auf, um den Abend mit den Stationen Schumanns Tagesbar – 8Seasons – Brenner zu absolvieren. Die Nacht verbrachte ich mit wirren Fieberträumen und einer Flasche Preiselbeersaft. Mein einziger Gedanke, wenn ich mal wieder ins Wachsein auftauchte, war: wie kriege ich morgen die Zeit von 12 bis 21 Uhr rum? Ich konnte immerhin froh sein, daß einen dieses Hotel so sozialverträglich spät auschecken ließ.
Und dann? Im Büro eines Freundes einen Stuhl neben dem Kopierer (da ists warm) okkupieren, pennen und immer mal eine Tasse Tee in Empfang nehmen? Bei der Freundin unterkriechen und ihre vier Kinder anstecken? Extremshopping und Langzeitaufenthalte in Schönheitsfarmen, Massageinstituten und Kaffeehäusern verboten mein körperlicher Zustand und mein Kontostand in trauter Einigkeit. Das Umbuchen des Fluges kostete so viel, daß ich mich dafür auch nach Berlin hätte tragen lassen können. Also verlängerte ich das Zimmer (mit Mühe, denn der Laden war ausgebucht) um einen weiteren Tag, um diesen im Bett zu verbringen. Das „Bitte nicht stören!“-Schild dauerhaft an der Tür, damit niemand auf die Idee kam, mich aufzuscheuchen.
Gegen nachmittag wankte ich über die Straße, um mit den Asos vom Ostbahnhof (gute Klientel, ist doch das Sozialdezernat im Bahnhofsgebäude ansässig) einen Käsekrainer zu essen. Die Wurst explodierte/ejakulierte beim ersten Biß mit einem nachhaltigen Knall heiße, eitrige Suppe über meinen Mantel und schmeckte nach Schweißfüßen, die am rauchenden Kamin getrocknet wurden.
Ich schlich zurück und zog mir wieder die Decke über den Kopf.
Meine Herren und Damen Existenzialisten, sie da mit ihren vermuffelten Rollkragenpullovern und den ungeputzten Hornbrillen: Ihr existenzielles Geworfensein bar jeglicher bürgerlicher Bindung können sie in ihren berühmten Pfeifen rauchen. Es gibt nichts Schlimmeres, als in einer fremden Stadt in einem fremden Zimmer allein und krank zu sein. Ich brauche einen Sonderplatz in vertrauter Umgebung mit vielen Kissen und Decken und ich brauche viele Menschen, die nach mir schauen und mich mit Hühnersuppe, Tee, vorgelesenen Geschichten und Handauflegen verwöhnen. So werd ich auch wieder gesund.
(Und wenn ichs mir recht überlege, stelle ich mir so auch mein Ende vor. Ganz viel Hühnersuppe, lauwarmer Pudding und Märchen vorlesen.)

Am nächsten Tag hat der Arzt mit mir eine Radikalkur gemacht. (Ein Kudammarzt jaha, nicht so ein Kreuzberger Schamane mit seinen Kräuterglobuli.) Eine Vitamin-B12-Injektion und göttliche Tabletten: Paracetamol mit Codein. Ich bin so hackedicht davon, daß es mir gleich viel besser geht. Dazu Hühnersuppe. Nur das mit dem lauwarmen Pudding müssen wir noch üben.

Sardinien, ick komme und den Neoprenanzug habe ich im Gepäck!

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7 Gedanken zu „Down and Out in Munic

  1. Mich anrufen, ich brauche vom Tegernsee 35 Minuten zum Zentrum, und dank mütterlicher Tabletteneinrichtung könnte ich hier auch eine Elefantenherde zwischenzeitlich kurieren. Die allerdings müsste inm Garten bleiben, für Menschen gibt es Sofas und Decken.

  2. Ist schon tragisch, wenn Leiden sich so lustig liest. Danke für die Vermehrung meiner Lachfalten.

  3. REPLY:
    abgespeichert, für den nächsten notfall.
    wenn sich der nicht ereignet: spätestens zur heumahd werde ich am tegernsee sein.

  4. REPLY:
    es ist wichtig, über so etwas lachen zu können, wo kämen wir denn sonst hin?

  5. REPLY:
    au ja! auch heroin hat mal als hustensaft angefangen. diese grippetabletten haben 30 (!) mg. das ist für mich guten drogenverwerter schon ein ordentlicher schuß.
    3 tage high und ich bin wieder gesund.

  6. Interessanter Fakt über die Existenzialisten. Das wusste ich nicht.

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