Es ist viele Jahre her, ich hatte mich gerade selbständig gemacht, war – wie das Leben so spielt – nach 6 Monaten meine Firmenpartnerin in heftigem Streit los und hatte dafür ein 90 qm-Büro am Bein.
Da es zwei große Zimmer waren, die durch Küche und Flur getrennt auseinander lagen, beschloß ich, einen Untermieter zu nehmen. Autoren riefen an, die in Ruhe schreiben wollten, die aber vor 30 qm mit 5 Meter Deckenhöhe kapitulierten. Leute meldeten sich, die als erstes mit mir die Miethöhe diskutierten. Ich war nach drei Annoncen in der Morgenpost etwas verzweifelt, bis ein Anruf von einer toughen Frau mit Doppelnamen kam, die meinte, sie wolle endlich aus ihrer Bürogemeinschaft raus und mit ihrer Werbeagentur allein weitermachen.
Ich dachte: „Hey, Werbeagentur, paßt doch!“ und machte mit ihr einen Mietvertrag. Recherche war damals noch kompliziert, ich mußte mich auf das verlassen, was sie mir erzählte. Eine Woche vor Einzug erschienen ihr Mann und ihr Vater und fertigten aus jeder Menge Holz aus dem Baumarkt Regale und einen riesigen Schreibtisch. Sie füllte die Regale mit vielen akkurat beschrifteten Ordnern und legte einen Stapel Fachzeitschriften dazu. Als Kaffeetisch diente ein Stück Baumstamm.
Nach einer Woche unseres Mietverhältnisses sah ich auf mein Konto. Die Miete war noch nicht da. Ich paßte sie ab, denn sie arbeitete nur halbe Tage, weil sie zwei kleine Kinder hatte.
„Ach ja Mensch , hab ich ganz vergessen! Mach ich morgen oder übermorgen.“
„Nein heute und du richtest einen Dauerauftrag ein!“, ich, die ich ansonsten sehr gelassen bin, muß nachdrücklich geklungen haben, denn sie vergaß nie wieder eine Mietzahlung.
Margit Greifzu-Schreiwall telefonierte den ganzen Tag für ihre Firma Sei Cool. Sie versuchte Kunden zu aquirieren, die keine Lust hatten, mit ihr über ihre Projektvorschläge zu reden, aber sie war unermüdlich. Nach gut zwei Wochen begann sie, freundschaftliche Kontakte zu mir aufzubauen. Ich gebe zu, daß ich es ihr nicht leicht machte, weil ich zu dieser Zeit extrem distanziert und außerdem mit einer 60-Stunden-Woche mehr als ausgefüllt war.
Sie rief mich öfter zum Kaffee in ihr gemütlich eingerichtetes Büro und wollte mit mir über gemeinsame Projekte reden. Sie könnte zum Beispiel die Leute, mit denen ich arbeite, in ihrer Persönlichkeit weiterbilden. (Das Wort Coach gab es damals noch nicht.) Die esoterischen Gedanken, die sie in diesem Zusammenhang äußerte, drehten mir die Zehennägel hoch. Ich war damals Puristin, die nur rein handwerkliche Ansätze akzeptierte.
Außerdem entdeckte ich, als ich vor ihren Regalen stand, daß die Ordner samt und sonders leer waren. Irgendwann verquatschte sich Frau Greifzu-Schreiwall auch. Sie war vorher in keiner Bürogemeinschaft sondern freie Mitarbeiterin in einer kleinen alternativen Werbeagentur. Als sie sie ein Verhältnis mit dem Kunden begann, den sie in Sachen jugendliches Direktmarketing betreute, machte sie sich auf dieser Basis selbständig.
Jetzt war Yuppietum angesagt. Drahtig stand sie in Businesskostüm und Kaschmirpullover vor mir, das Haar zum Pferdeschwanz gebunden, die Zigarette in der Hand. Vorher war sie alles: Sponti, Aussteigerin, Baghwan-Jüngerin, alternative Kioskbesitzerin in Kreuzberg inklusive Pleite mit Bürgschaften für den Lebensgefährten, Malerin und schamanistische Sängerin.
Witzigerweise sah ich irgendwann, Jahre später Sönke Wortmanns Debütfilm „Eine Wahnsinnsehe“ . „Woher kennen Sie diese Frau?“, hätte ich ihn fragen wollen.
Ihre Biografie erklärte mir auch ihre sonderbaren Besucher. Drogengegerbte Kreuzberger, die unangemeldet an der Schöneberger Bürotür klingelten. Zweimal in der Woche kam ein gutmütiger Ganove, der ewige Schmieresteher, bei dem man aufpassen mußte, daß er in der Kneipe nicht das nächste große Ding ausposaunt. Er blieb nie länger als eine halbe Stunde und trank einen Kaffee. Sie sagte immer zu mir, das wäre ihr Onkel, der zum Quatschen käme.
„Das ist ihr Dealer.“, vermutete mein Lebensgefährte. Ich schüttelte mit großen Augen den Kopf, einige Zeit später stellte sich heraus, daß er recht hatte. Erwin kam an jeden Stoff problemlos ran und dealte aus lauter Verbundenheit mit Kleinstmengen. (Und ich kann zumindest in einem Fall bestätigen, daß er an Margit Greifzu-Schreiwall beste Qualität lieferte.)
Dann frequentierte sie noch ein kleiner Italiener mit fettigem Zopf. Das schien ihr Liebhaber zu sein. Ihr Mann war ein netter, sensibler Typ, der viel arbeitete und ihren Laden scheinbar auch finanzierte, über dessen sexuelle Qualitäten sie sich aber bitter beklagte. Nicht daß er gar nicht konnte. Er bräuchte einfach zu lange, meinte sie und das wäre gestrig und ineffizient, sie hätte dafür keine Zeit. Der Italiener war im Hauptberuf Pizzabäcker und im Nebenberuf Schamane. – Wenn ich Bedarf hätte, würde sie mir den Kontakt vermitteln. Er hätte erst kürzlich jemanden geheilt, dessen verletzte Augenhornhaut immer wieder aufriss, indem er während einer Session einen grünleuchtenden Wurm aus dessen Auge kriechen ließ.
Ich winkte dankend ab, wie bei so vielen ihrer Ideen. Ich muß zugeben, ich war damals megavernagelt, vom Kreuzberger way of life zu Mauerzeiten wußte ich einfach nichts und Guerillamarketing und Esoterik waren nicht so mein Ding. Daher muß ich bei ihr mehr als einmal bis zu den Knien im Fettnapf gestanden haben, wenn sie mir wieder einmal eine alte Freundin bei einem Abendessen als potentielle Assistentin vorstellte und die Frau zeitgleich mit meinen gepfefferten Spruch über Kreuzberger Kifferinnen begann, sich die Pfeife mit purem Hasch zu stopfen.
Wir waren zwei verschiedene Welten. Ich war ignorant und autistisch, aber schwamm unter Aufbietung aller Kräfte auf der Erfolgswelle, sie hatte ganz andere Ideen und Antriebe und kannte in West-Berlin Gott und die Welt.
Der Textilbranchen-Typ, mit dessen Hilfe sie sich selbständig gemacht hatte, zog sich und seine Aufträge bald zurück – es hatte wohl Streß mit der Mutterfirma gegeben, aus der sie ausgeschieden war.
Sie war ehrgeizig und kreativ, das mußte man ihr lassen. Ihre Ideen hinterließen zwar jede Menge Kopfschütteln, aber sie produzierte immer neue. Weil sie keinerlei Hemmungen und ein wahnsinnig überzeugendes Auftreten hatte, war sie bald darauf spezialisiert, die verrücktesten Leute für ihre Auftraggeber auszugraben.
Aber statt die Leute einfach abzuliefern und den nächsten Auftrag anzunehmen, träumte sie von Höherem und scheiterte. Dreimal wollte sie Managerin werden. Zuerst für einen schwulen Radiomoderator, der gerade begann, Erfolg zu haben. Der Typ war beeindruckt von ihr. Als sie aber für den ersten Deal für ihn bei einem Kunden vorstellig wurde, rutschte sie Stunden vorher zusammen, kriegte kein substanzielles Detail mehr zusammen, konnte auf konkrete Fragen nur Wortblasen antworten und wurde entsprechend eiskalt abserviert. Auch das gruppenformende Waldübernachtungstraining für eine Berliner Boyband, das sie den Jungs, die damals noch recht jung waren, ungefragt angedeihen ließ, erfreute deren Eltern nicht. Fünf stylische junge Männer, die eines Tages vor ihrer Tür standen, sie trugen alte Addidas-Trainingsjacken, Koteletten und längere Haare, lange bevor das die Uniform der Kastanienallee wurde, wollte sie ebenfalls unter ihre Fittiche nehmen, sie wußte nur nicht, wofür (einer wurde erst Film- und ist jetzt Theaterschauspieler).
Sie war eine hervorragende Talentsucherin und eine gute Erstkontakterin. Alles andere ging gar nicht, sobald jemand hinter die Fassade sah, atomisierte sich die Frau selbst. Mitunter übernahm ich die Leute, bevor sie wieder stiften gingen, zunächst zum beiderseitigen Vorteil. Was aber irgendwann Grundlage für einen saftigen Rechtsstreit wurde.
Ich war immer wieder baff, wie sie reagierte, wenn ein potentieller Kunde in ihrem Büronirvana anrief. Sie sagte dann, sie hätten so wahnsinnig viele Projekte, aber sie würde die Anfrage gern mit ihrem Team besprechen, das derzeit für Projekte unterwegs sei. Wir witzelten schon: Das Team. Klar. Es bestand aus Margit, Greifzu, Willschrei, Sei und Cool und die waren alle unterwegs.
Nach einem Jahr gab es Ärger mit dem Vermieter, der saß eigentlich in Spanien in der Sonne und zählte die Mieteinnahmen, aber einer der Eigentümer aus dem Haus hatte uns verpfiffen. Plötzlich kamen bei mir zweimal täglich Faxe an, die er handschriftlich auf kariertem Papier verfaßt hatte. Erst bittere Beschwerden, dann eine Kündigung. Mir war das ganz recht. Ich hatte ohnehin das Problem, daß ich mich mehr im geräumigen Altbau-Büro als bei meiner Familie in unserem 50er-Jahre-Schuhkarton aufhielt. Wir suchten schon seit Wochen eine geräumige Wohnung mit Büro im Grünen und fanden sie auch bald.
Ihr letztes Projekt, das ich in den gemeinsamen Räumen erlebte, war ein monströses ökologisches Erlebnismuseum, dessen Ort irgendwo im Süden sie durch eine Eingebung erfahren haben wollte. Sie war mit ihrer Familie auf einem magischen Berg unterwegs, als es in Form von Gesang über sie kam und danach schrieb sie wochenlang an der Projektpräsentation. Sie bat mich und ihre bürgerlicheren Bekannten auch immer wieder darum, die Unterlagen an unsere maßgeblichen Kontakte zu schicken. Wir bestanden dann darauf, die Sachen selbst in die Hand zu nehmen, denn sie war Legasthenikerin und nahm es mit den Korrekturen nicht so genau.
Normalerweise hätte unser Kontakt bald auseinandergehen müssen, denn uns verband keine Freundschaft und für die Leute, die ich übernommen hatte, tat sie nichts weiter, als Rechnungen schreiben. Aber sie meldete sich immer wieder.
Sie hatte eine kostspielige Weiterbildung ihrer Persönlichkeit begonnen. Als erstes forderte ihr Meister sie auf, das Dope sein zu lassen und zwar jetzt und auf der Stelle. Sie tat, was er sagte. Bei unserer ersten Begegnung danach schwitzte sie endlos und agitierte mich, diesen Workshop auch zu absolvieren, er wäre absolut wichtig für meine schwache Persönlichkeit. Als wir uns drei Monate später wiedersahen, hatte sie zehn Kilo zugenommen und wirkte depressiv. Wir saßen in meiner Küche und tranken Kaffee. Da sie kurzfristig mit zwei Begleiterinnen vorbeikam, hatte ich nichts, was ich anbieten konnte. Nach einer Stunde Gespräch, in dem sie mich wiederum bewegen wollte, diesen Workshop zu belegen, weil ich in meinem Leben sonst nie Glück erleben würde, bat sie mich dringend um irgend etwas zu essen, vielleicht ein Stück Käse, denn Käse mache glücklich. In ihrem Streß hatte sie sich übrigens verplaudert. Eigentlich mußte sie für jede Stufe ihrer Ausbildung zum neuen, erleuchteten Menschen jemanden werben, sonst war der Preis für ihre Workshops sehr hoch. Aber ich war so blöd, nicht einmal zu merken, was sie von mir wollte. Außerdem hatte ich für so etwas keine Zeit.
Als sie den Meistergrad erreichte, was wohl irgendwie mit einem längeren Aussetzen im brasilianischen Urwald zu tun hatte, fing sie übrigens sofort wieder an zu kiffen. Sie fand bald wieder zu ihrer alten Form zurück und betrieb daraufhin vehement ihre Scheidung von ihrem zu langsamen Mann, der ihr natürlich sofort den Geldhahn zudrehte.
Dann klärte sie mit mir vor Gericht, wie viel und wie lange sie an den Leuten, die sie mir vorstellte, verdienen konnte. Der Prozeß ging für sie nicht sehr erfolgreich aus. In den Jahren darauf hatten wir naturgemäß keinen Kontakt mehr.
Ich hörte immer mal von ihr. Sie hatte die Scheidungspläne aufgegeben und sich mit ihren Mann vertragen.
Dann arbeitete sie als Profilerin für das Arbeitsamt, als dieser Hype vorbei war, herrschte einige Jahre Stille um sie.
Nun ist sie zurück. Als Wellnesscoach. Allein die Berufsbezeichung muß man sich auf der Zunge zergehen lassen.
REPLY:
ich habe wirklich noch nie so einen potemkinschen menschen gesehen.
Das kommt mir so bekannt vor, viel Talent für den Erstkontakt, danach bricht alles zusammen – und schuld sind die anderen. Glücklicherweise gab es da nicht noch einen Prozeß zum Ende hin…
REPLY:
ich wußte garnicht, da das so frauentypisch ist. vielleicht ist das auch eine bestimmte generation, bei denen selbstverwirklichung wichtiger war als erfolg.
Es gibt Menschen, die können nur Anfänge.
Es ist nicht frauentypisch, denke ich. Bei Männern kenne ich das auch.
Sie verlagern sich aber eher auf Beziehungen zu Frauen.
Irgendwas anfangen und dann war sie doch nicht so toll, dann die nächste, und wieder ne neue.
Aber im Aufreißen sind die Klasse. Das sitzt jedes Wort, jeder Blick.
der von mir gerade ganz zufällig assoziierte bekannte kiffende handauflegende
geistheilerleider-gerade-nicht-mehr-sonnenstudiomanager wär allerdings männlich und redet ein wenig zu viel. ab dem zweitkontakt;-)ich danke ganz inbrünstig für den gesegneten bauchmuskelkater, den sie mir gerade beschert haben und gehe jetzt den grünen wurm suchen, denn ich glaube, der ist hier im garten gelandet und versucht sich in würmlichen schamanengesängen, weil doch heute der mond bombardiert wurde.
REPLY:
:))) danke, das kicherbauchweh ist ganz meinerseits. grüßen sie den wurm.
uuuuh. … eine ausgiebige seelenmassage für alle meine gesellschaftlichen und jobbedingten vorurteile*. zwischen den zeilen wurde mir klar, warum ich eine 15 jährige, oberflächlich sehr gute beziehung fast ohne anlass beendet habe. ab einem gewissen alter sollte man wissen, was man ist und was man will.
* und deren gibt es auf meiner autistischen seite viele
immerhin wellness. und nicht life. und nicht couch.
REPLY:
eigentlich will sie life, das hat ihr vielleicht ein guter freund ausgeredet.
Hallo Kitty Koma
Ihr Text ist für die Blogbibliothek vorgeschlagen worden.
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Freundliche Grüsse
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