Die Elixiere des Mantelträgers

Im Bus vom Kudamm zum Hermannplatz. Auf der Bank übern Gang neben mir sitzt rotzend und krächzend ein erkälteter Mantelträger. Vatityp. Halbglatze, etwas dicklich, könnte 60 Jahre alt sein, ist aber wahrscheinlich 15 Jahre junger, spricht einen schlecht verborgenen Dialekt, schwäbisch, badisch oder aus Richtung Saarbrücken. Nachdem er seine Stimmbänder frei geschaufelt hat, beginnt er zu telefonieren. Ich lege irgendwann die Zeitung weg, weil ich einfach zuhören muss.
Zuerst geht es um eine Wohnung für eine Seele und deren Finanzierung. Ob 3 oder 4 %, da wäre man sich noch nicht so sicher, da soll auch keiner über Gebühr daran verdienen. Die Wohnung wäre schön, wenn die Seele Angst hätte, daß dort jemand einsteigen könnte, würde eine Feuertür aus Stahl Abhilfe schaffen.
Den Anfang des nächsten Gespräches verpasste ich leider. Ich spitze erst die Ohren, als ich höre: „Sie hat am Wochenende ihren Eisprung und außerdem ist sie gerade ziemlich gut drauf. Sie wissen ja wie das ist, wenn man eine Familie gründen will. Das ist nicht so einfach. Wenn das jetzt nicht klappt, dauert das wieder Monate.“
Dann begrüßte er einen Markus mit den Worten: „Na, mitten in der schweren Arbeit für die erste Million?“ Das Gespräch ging weiter und beschäftigte sich mit Rechtsformen für Gesellschaften, ob GmbH oder AG und was besser wäre, vor allem im Hinblick auf Kapitalbeschaffung und ob 2009 ein gutes Jahr werden würde. Dann ging es wieder um die Seele. Sie hätte kürzlich ein Gespräch gehabt, mit einem alten Herrn (den Namen habe ich vergessen), zusammen mit einem Mediator und Aufpassern. Sie hätte in diesem Falle eine ganz feste Meinung. Sie würde immer sagen: „Ich weiß nicht.“ Außerdem würde sie jedes Gespräch, wenn man der Meinung wäre, man hätte sie grade rum gekriegt, beenden und dann um Bedenkzeit bitten. Aber er wäre ja ein nachsichtiger, freundlicher und geduldiger Mensch. Dann gab es ein bisschen Telekom-Schelte, es wäre ja jeder unzufrieden mit der Telekom und dann kam der Satz: „Weißt Du schon? Engel ist raus.“ Sie wäre zum Hauptbahnhof gefahren und hätte auf dem Weg dorthin noch ein paar SMS geschrieben, ob sie nicht wieder zurückkommen könnte, dann wäre sie nach Paris gefahren. Von da hätte sich noch ein paarmal gemeldet. Doch seit ein paar Tagen ist Funkstille. Nichts mehr. Er hätte in ihr Mail Postfach geschaut, da hätte er noch Zugriff, aber nichts, keine Korrespondenz. Als ob sie tot wäre. Ja, nächste Woche hätte sie Geburtstag, das wusste er.
Dann packte der Mann sein Telefon in seinen Mantel, nahm seine Aktentasche und stieg am Springergebäude aus.
Hörner hatte er nicht.

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht in Leben von kitty. Setze ein Lesezeichen zum Permalink.

6 Gedanken zu „Die Elixiere des Mantelträgers

  1. Das war der Erzengel Gabriel, ganz bestimmt. So kurz vor Weihnachten sicher nichts besonderes. Sie haben die Flügel eingeklappt so kurz vor dem Fest, damit wir nicht erschrecken.

    Aber vielleicht war es bloß ein Mafioso,

  2. REPLY:
    Mit der M 29 ich jetzt einen Monat lang zweimal täglich gefahren. Wirklich der spannendste Bogenschlag zwischen Arm und Reich, den man sich vorstellen kann.

Kommentare sind geschlossen.