KKM, Katharina Käthe Meta, meine Oma, liegt seit den Weihnachtstagen im Krankenhaus. Zuerst hieß es, es wäre eine Infektion, vielleicht Noro-Viren. Wie viele aus der Kriegsgeneration hortete sie Essen in zahlreichen über das Haus verteilten Kühlschränken. Auf das Verfallsdatum sah sie nie. Sie leugnete, darauf angesprochen, daß es relavant sei. „Das sieht doch noch gut aus!“ war ihr Indikator. Daß dies im Zeitalter der Farbstabilisatoren, Konservierungs- und Aromastoffe gar nichts mehr bedeutet, hat sie nie eingesehen.
Doch es war keine Infektion. Noch heute kann sie nichts bei sich behalten. Die Computertomografie zeigt Krebs an der Bauchspeicheldrüse, der sich bereits vermehrt hat. Im Grunde genommen kaum heilbar, schon gar nicht für eine 85jährige.
Sie liegt auf den Tod.
Noch ist es friedlich. Wenn ich bei ihr sitze, hält sie meine Hand ganz fest und wir reden. Sie erzählt mir davon, daß sie in der letzten Zeit viel träumt, weil sie so oft einschläft. In ihren Träumen tauchen all die Menschen auf, mit denen sie früher gelebt hat. Ihre Urgroßmutter Wilhelmine, die im Keller eine Frischwasserquelle hatte und in der Quelle eine Forelle, um zu wissen, ob das Wasser gut ist. Ihre Eltern und ihre Tante. Ihr Mann, der nun schon 12 Jahre tot ist, der immer zu ihr gehalten hat „obwohl ich doch manchmal so ein Biest war“. Aktuelles vergißt sie schnell. Gut so, wenn ihr bewußt wäre, wie lange sie liegt – sie glaubt, 3 Tage, nicht 3 Wochen – müßte keiner mehr die Diagnose vor ihr verschweigen.
Unsere Familie, sonst so unemotional und pragmatisch, schüttelt die Angst. Die Söhne, Ende 50 und Mitte 60, werden zum ersten Mal gegenüber ihre Mutter als Erwachsene gefordert. Sind hilflos. Mit der Mutter über die Zukunft sprechen? – Das soll der Arzt machen. Wir können sie doch jetzt nicht nach Hause nehmen. Wer soll sich kümmern? Operieren, unbedingt, auch wenn sie es ablehnt. Vielleicht noch sechs Monate gewinnen, das Problem herausschieben.
Ich frage dagegen: Was sind diese sechs (hypothetischen) Monate nach einer schweren Bauchoperation wert?
Ich fühle mich auch hilflos. Ich bin die älteste Enkelin und lange bei ihr aufgewachsen. Und doch kann ich mir nicht anmaßen, meinen Vater und meinen Onkel zu belehren. Meine Ansichten über dieses Thema könnte man entweder als jugendlich-hypothetisch-distanziert bewerten oder aber tatsächlich als Ansicht einer anderen Generation. Ich bin bei dem morgen angesetzten Arztgespräch nicht dabei, wo Entscheidungen fallen werden. Ich mißtraue Ärzten prinzipiell. Eine langsam Sterbende rechnet sich vielleicht nicht. Eine aufwändige Operation auf jeden Fall.
Was bringt das? Ich sehe allerorten, wie moderne Medizin (ab einem bestimmten Zeitpunkt) das Sterben nur verlängert. Wo früher Körper und Geist nicht mehr wollten, haben alte Menschen gelegen, aufgehört, zu essen und zu trinken und irgendwann gab es dann die finale Infektion, den komplexen Organausfall, was immer. Und jetzt? Noch mal therapieren, nochmal. Künstlich ernähren, ruhigstellen, waschen, putzen, drehen. Wir produzieren lebende Leichen, statt das Sterben als eine ebenso schwere Arbeit zu begreifen wie die Geburt und es adäquat zu begleiten.
Während die anderen verdrängen, stürme ich nach vorn wie immer, mit dem Kopf durch die Wand: Macht schnell, laßt es vorbei sein, ich will endlich trauern.
Es ist das erste Mal für mich. Das Sterben meines Großvaters traf mich nicht so, obwohl wir uns sehr geliebt haben. Aber KKM hat sein Lebensende so wirkungsvoll zur Krankheit umgeredet und gleichzeitig auf ihre Situation (Witwe ohne Rente, die das Haus vielleicht nicht halten kann) aufmerksam gemacht, daß wir es erst realisierten, als er tot war.
In den letzten Tagen sagte ich irgendwann zu HeMan: Wenn sie stirbt, dann bin ich allein. Und das macht mir Angst.
…ich würde nicht ausschließen, dass die söhne auf dich hören würden, die klingen sehr hilflos… und: du solltest dem kind viele erinnerungen – wie die mit der forelle in der frischwasserquelle und die mit der kantigen urgroßmutter-selbsteinschätzung – weitererzählen, weil, als mein papa starb, fühlte ich auch diese angst und spürte bald, es ist die angst davor, mit niemandem mehr (kinds-)erinnerungen zu teilen…
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Dem kann ich mich nur anschließen.
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und es gibt vielleicht noch etwas, wenn auch sehr irreales: ich glaube, daß man die – wenn auch oft nur rein theoretische – möglichkeit verliert jemanden in einer wie auch immer gearteten lebenssituation um rat zu fragen, zu dem man mal aufgeblickt hat. aus welchem grund auch immer. und dieser gedanke läßt einsamer vorkommen.
kurz vor weihnachten erfuhr ich, daß mein „beruflicher vater“ recht plötzlich ein paar monate vorher verstorben ist. mit 57 durchaus unerwartet. seit diesem tag fühle ich mich etwas verlorener in meinem büro. ich allein, und draußen diese große böse welt, vor der mich keiner mehr schützen kann. total irre irgendwie …
Ich sah neulich einen Fernsehbeitrag (BBC-Reihe) zum Thema Gesundheit bei älteren Menschen bzw. wie der Körper eben langsam aufgibt. Da war ein Mann, der infolge eines inoperabelen Tumors in die Notaufnahme kam, der Darmverschluss drohte. Da war die Frage nach OP oder nicht mehr OP. Ersteres hätten dem Mann vielleicht drei Monate Koma gebracht bis zum Unabwendbaren. Letzteres hätte das Sterben innerhalb der nächsten 48 Stunden bedeutet, mit Schmerzmedikamentation begleitet.
Der Mann entschied sich sehr klar für letztere Variante mit der Aussage, er hätte ein schönes Leben gehabt. Es sei gut so für ihn. Er wüsste, dass er einfach auch mal gehen muss. Mich hatte das sehr berührt und mir hat es die Augen geöffnet. Der Tod ist für die Menschen in diesem Alter nur noch selten mit Angst besetzt – es ist allenfalls der Weg dorthin, der ihnen Sorge macht. Der Mann wollte den kurzen Weg gehen. Das war weise.
Ich fürchte, was unsere Generationen in Auseinandersetzung mit dem Tod unserer Großeltern oder auch Eltern gerne vergessen – oft aus Sorge und Angst vor unserem Zurückbleiben – dass Menschen in diesem hohen Alter üblicherweise mit dem Tod ausgesöhnt sind und ihm gerne begegnen. Oft sogar freuen sie sich darauf, weil sie auch müde sind und gerne Freunden, Liebespartnern endlich folgen möchten. Und sie sich einen würdevollen Tod wünschen.
Schlimm finde ich die Angehörigen, die «Oma» gerne mal die Wahrheit vorenthalten, weil sie sie «schützen» wollen vor dem was kommt. Was sie niemals können. Jeder Mensch hat das Recht darauf, seinen Abschied von dieser Welt bewusst zu leben. Es ist ihr Leben. Deine Oma hat das Recht auf ihre eigenen Entscheidungen für ihre weitere Behandlungen. Es ist ganz alleine ihr Tod. Und deswegen bist Du vielleicht gerade wichtig bei diesen Gesprächen mit den Ärzten – als Omas Vertreterin?
Zelebriere und lebe mit Deiner Oma den Abschied. Sage ihr alles, was Du ihr noch sagen willst. Höre ihr zu. Und wenn sie über den Tod und das Sterben reden will, dann höre ihr zu. Nimm ihre Wünsche zum Tod und zur Beerdigung ernst. Gib ihr das Glück nicht einen Tag länger leiden zu müssen als sie sollte. Man kann an Krebs lange sterben oder eben schnell. In diesem Alter ist es wohl angebracht in Respekt vor der Kranken, Ihr einen schnellen Tod zu gönnen. Zumal wenn eben bei Bauschspeicheldrüsenkrebs es kein zurück gibt.
Viel, viel Kraft. Ich weiß, das wird schwer. Aber wenn Du sie gut begleitest, wirst Du mit weniger Trauer zurück bleiben als Du vielleicht jetzt glauben magst.
an alle: herzlichen dank für die unterstützung. eine entscheidung über eine op ist heute nicht gefallen. ich bin froh darüber.
Ich kann leider gar nichts Tröstliches schreiben. Allenfalls Mitgefühl anführen. Den Kommentar von creezy finde ich ganz ausgezeichnet, besonders was die angenommene Aussöhnung mit dem Tod angeht. Wenn ältere Leute sterben, ist es nur dann traurig, wenn sie das unter beschwerlichen Krankheitsbildern tun.
Meine beiden Großväter starben ziemlich unvermittelt im hohen Alter über 93. Mein eigener Vater wurde 90. Er fehlt mir nicht, weil er so präsent ist. Je älter ich werde, desto gegenwärtiger kommt er mir vor, an immer mehr Gespräche erinnere ich mich.
Meine Mutter, die aufgrund einer TBC immer Angst vor einem frühen Tod hatte, ist 75 geworden. Da lagen noch erfolgreiche Krebsoperationen davor. Eine meiner Großmütter starb, als ich drei war. An die kann ich mich nicht mehr erinnern. Die andere spielte eine große Rolle in unserem Familienleben. es war die Mutter meiner Mutter. Sie starb letztendlich an einer Langzeitfolge eines Oberschenkelhalsbruches.
Jetzt, wo ich mit 56 Jahren der „Opa“ der Familie bin, denke ich manchmal ans Abtreten. Für die Angehörigen wäre es schlimm. Doch ich wäre aufgrund meines sehr intensiv gelebten Lebens nicht unglücklich. Selbstverständlich möchte ich noch gerne länger leben, tunlichst bis 87. Aber niemand müsste mich bedauern, wenn ich vorher sterbe.
Es ist ein großer Kreislauf so wie der kleine Kreislauf der Jahreszeiten.
Das alles gesagt habend, kann ich jetzt doch noch etwas hoffentlich Tröstliches anmerken. Personen, die hinüber gegangen sind, müssen uns damit nicht unbedingt verlassen haben. Es liegt ganz bei uns, wieviel von ihnen wir im Herzen behalten und auch im Hirn. „Was hätte sie jetzt dazu gesagt?“ Im Grunde können wir uns solche Fragen ja beantworten. Mit der möglichen Beantwortung einer solchen Frage, bleibt der/die Betroffene ewig lebendig…
Das war bei meiner Oma ähnlich, allerdings vor 30 Jahren. Schwere Krebsoperation, der Arzt meinte, wir sollen Sie zuhause pflegen für die letzten drei Monate.
Nur: sie hat dann noch vierzehn Jahre gelebt, gebrochene Hüften und Oberschenkelhälse und mehr überstanden.
Gestorben ist sie erst, als nicht mehr wollte. Man hat das am Ende förmlich gespürt, dass sie keine Kraft mehr hatte oder keine mehr aufbringen wollte.
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das ist imo eine wunderbare, sehr humane einstellung.
kitty, ich wünsche ihnen kraft und mut und ihrer oma ebensolches und dazu eine effiziente schmerzmedikation.
friede sei mit ihnen beiden!
Loslassen lernen ist wohl eine der schwersten Aufgaben im Leben, liebe Kitty, denn es bedeutet, auch ein Stück von sich selbst zu verlieren.
Vielleicht ist die Erinnerung Deiner Oma an längst Verstorbene schon ein Zeichen, dass sie langsam losläßt. Unsere ach so moderne Medizin vermag nichts mehr auszurichten, wenn derjenige keinen Lebenswillen und keine Kraft mehr aufbringen kann/möchte.
Es gibt keinen Rat und auch kaum einen Trost in solch schweren Zeiten und jeder hat seine ganz eigene Art, mit solch einer Situation umzugehen. Aber ich weiß aus eigener Erfahrung und aus vielen Gesprächen mit Anderen, dass das Abschiednehmen wichtig ist. Also nutze die noch verbleibende Zeit, noch das zu tun und das zu sagen, was Dir wichtig ist, denn es wird auch Deiner Oma helfen, in Frieden zu gehen.
Meine guten Wünsche und Gedanken begleiten Dich / Euch.
jetzt ist die entscheidung über die op gefallen. es wird lediglich einen kleinen eingriff geben, der meiner oma die künstliche ernährung erspart. der rest ist absehbar. tragisch, sehr traurig, aber unabwendbar.
sie hat ein gutes leben gehabt. sie ist – auch jetzt noch – eine sehr starke frau, der ich verdanke, daß ich so bin, wie ich bin.
es erstaunt mich immer wieder, wieviel kraft sie mir selbst bei diesen krankenbesuchen gibt.
ich bin glücklich, so viel seelische unterstützung zu bekommen. hier im blog, fundierte, persönlich, lange kommentare, von heman, von freunden. jeder hat plötzlich seine geschichte dazu, seine erfahrung, seine haltung. es ist wie wenn man kurz vor der entbindung ist, plötzlich reden ältere frauen mit einem über das kinderkriegen. darüber wird im alltag sonst nie geredet.
Es sollte immer der belehren, der über mehr von dem verfügt, was gerade gebraucht wird. Es sollte immer der führen, der den Weg klar vor sich sieht. Es sollte immer der voran gehen der sieht, dass Stillstand Rückschritt ist. Wer für das Werk bereit ist, ist auch dafür berufen. Oft wird Großes durch etwas Kleines bewirkt. Ein riesiges Scheunentor dreht sich in einer kleinen Angel. So, genug gepredigt.