Aus dem Hypochondertagebuch

Nachdem ich vor einer Woche lauthals im Gespräch verkündet hatte, ich sei seit 14 Monaten nicht krank gewesen, erwischte es mich 24 Stunden später präzise und knallhart. Danke, lieber Gott, genau das brauchte ich jetzt noch.
Erst zwei Tage „ich werde bestimmt an meinen Gliederschmerzen sterben“, dann „oh Gott ist mir schlecht“ und zuletzt „orrr, ich bin grade eingeschafen, ich kann doch nicht schon wieder aufs Klo rennen!“.
Meine medikamentös bedingte leichte Entgleisung des Insulinstoffwechsels addierte zu üblen Magenkrämpfen absurderweise brüllenden Hunger. Ich halluzinierte aus Elektrolytmangel von herzhaft salzigen Fleischspeisen und aus Unterzuckerung von süßen Desserts.
Das Seelchen setzte noch eins drauf. Klagte in hohen, langgezogenen Tönen davon, wie viele Liter Hühnersuppe wir nahestehenden Menschen gekocht hätten und nun, was wär der Dank? Eitel wäre die Welt und vergeßlich.
Real schmeckte alles, jede Scheibe salzige Salami und jedes Stück cremige Vollmilchschokolade, nach Pappe und ich war überhaupt nicht in der Lage, einen Hühnersuppenkoch zu ertragen.
Überhaupt war in diesen Vorfrühlingstagen mein bevorzugter Aufenthalt das fensterlose Bad, in dem ich begann, ernsthaft über die Qualität, sprich Weichheit, von Klopapier nachzudenken. Aus Gründen. Ansonsten lag ich, nach einer aktiven Morgenstunde, die mir vorgaukelte, nun endlich wieder gesund zu sein, im Bett und las täglich einen Krimi. Ich suhlte mich in Leichenbergen und psychopathischen Abgründen und knurrte vor Wut, wenn der Autor mal wieder seitenweise die intakte romantische Beziehung des Hero zu seiner Freundin thematisierte.
Der Schlaf war eine unzuverlässige Schlampe. Entweder ich legte das Buch zur Seite, um zehn Minuten die Augen zuzumachen und wachte drei Stunden später wieder auf oder ich lag zu den unmöglichsten Nacht- und Morgenzeiten wach und hatte Gelegenheit, darüber nachzugrübeln, was für ein unmöglicher, unliebenswerter und verkorkster Mensch ich denn sei, daß ich das hier und so mitmachen müßte.
Volle Breitseite also und ich bin noch nicht durch. Ich kenne es nur, Krankheiten zu ignorieren oder kurzzuhalten, weil in zwei oder drei Tagen dieser oder jener wichtige Termin ist oder aber nebenbei ohnehin das runtergefahrene Programm läuft. Einfach nur krank sein, das ist Horror in Tüten, endlos.
An diesem Wochenende werde ich die sporadischen Versuche mit fester Nahrung endgültig aufgeben und zwei Tage von Tee leben. Mal sehen, ob sich die innere Raffinierie dann wieder beruhigt hat.
Ansonsten muß ich wohl am Montag mal zum Arzt.

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9 Gedanken zu „Aus dem Hypochondertagebuch

  1. Am Klopapier zu sparen heisst am falschen Ende zu sparen ;-) Gute Besserung.

  2. REPLY:
    Wie recht Sie haben! Aber jetzt hab ich mich mit erster Qualität versorgt. Schade, daß der nette Bär auf der Verpackung wegrationalisiert wurde.

  3. Wunderbarer Text, das.
    Man wünscht sich, der Anlass dafür sei möglichst sehr frei erfunden.

  4. Ich hab das Elend „GOTT SEI DANK“ überstanden, das sagt ein Ungläubiger ;-) und ich wünsch es dir auch so schnell wie möglich.
    Bei mir hat Mucofalk geholfen, das ist ein Granulat was man in Wasser auflöst und dann trinkt. Versuchs mal.
    Gute Besserung

  5. REPLY:
    vielen dank für das kompliment. leider reicht meine phantasie nicht so weit :)

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