Alice Schwarzer – Risiken und Nebenwirkungen

Ich versuche ihr gerade beizukommen, indem ich ein paar Berufsinstrumente anwende. Ganz von außen, denn der westdeutsche Feminismus ist mir nun mal zutiefst fremd. Das, worüber diese Frauen geredet haben, haben wir Frauen im Osten einfach gelebt.

Eine ältere Freundin hat mir von ihrer Arbeit in der Frauenbewegung (ja, so hieß das früher) erzählt. In den Erzählungen taucht auch Schwarzer auf, als eine unter vielen. Es hat in den 70ern viele Aktivistinnen wie Schwarzer gegeben und nicht nur die Zeitschrift Emma, es gab zum Beispiel in Berlin Courage. Schwarzer ist die, die übrig geblieben ist aus dieser Ära, das bessere Händchen hatte, größere Aufmerksamkeit bekam und im Aktivistinnenberuf blieb. Nicht zuletzt, weil sie mit „Wir haben abgetrieben!“ den Nerv der Zeit traf, ein Anliegen von Frauen und Männern thematisierte – und das öffentlich artikulierte, was auszusprechen und zu ändern längst reif war, ist sie in die Rolle des Sprachrohres gekommen. Eine Rolle, die ihr nicht unrecht ist.
Das, was sie mit der Pro-Abtreibungs-Kampagne erfolgreich getan hat, versucht sie alle Jahre wieder. Es scheint mir nur immer mehr an der Lebensrealität derer, die sie sich vornimmt, vorbeizugehen und eher aus ihr selbst, ihrem Erleben und ihrer Weltsicht gespeist zu sein als aus einer Fähigkeit zur mitfühlenden Weltverbesserung.

Die Anti-Penetrations-Kampagne, deren Ausläufer mich auch in der DDR erreichten, fiel in eine Zeit in der Frauen hedonistisch wurden und hatte in meiner Umgebung ein Echo bei denen, für die Sex ein Problem war. Die Anti-Porno-Kampagne fiel absurderweise in die Zeit, in der Frauen Pornos für sich entdeckten und erweckte Zustimmung bei den sexuell konservativen Frauen meiner Umgebung.
In der Kampagne zur Kriminalisierung der Prostitution ist ihr nun jeder Partner recht. Die von bürgerlichen, gebildeten Mittelschichtfrauen, die mit Prostitution höchstens zu tun haben, wenn sie entdecken, dass ihr Partner diese Dienstleistung nutzt, aber auch die Bild-Zeitung (die die Artikel schön mit Frauen in Unterwäsche in rotem Licht garnieren kann), die Konservativen in der CDU und die Sicherheitsfanatiker* werden von ihr umarmt.

Alice Schwarzer geht es sicher nicht um Frauen. Es geht ihr um eine Frau, um Alice Schwarzer.

Und deren Affinität zu Rampenlicht, Aufmerksamkeit und Gedöns. Aber auch das wäre zu kurz gegriffen. Wenn Schwarzer in Talkshows sitzt, bin ich zutiefst fasziniert von ihrem Standing und ihrer rhetorischen Technik. Zeitgleich bin ich abgestoßen von dieser Egomaschine, die nicht zuhören kann (oder nur so weit, um die Lücke in den Argumenten des Gegners zu finden oder die Atempause), die auch gar kein Interesse an den Argumenten anderer hat.
Sie ist ein mittlerweile Katalysator. Indem sie mit ihren kruden Thesen in vielen Lagern Facepalm-Momente erzeugt, hilft sie eigentlich einer gesellschaftlichen Selbstvergewisserung, einem intensiven Dialog über ein Thema. Die Konsequenzen daraus sind aber ganz andere. Ihre Kampagnen haben ungewollt die Funktion einer paradoxen Intervention. Zusammengeklitterte Trennlinien platzen auf, es formt sich Neues.
„Der kleine Unterschied“ hatte eine Selbstvergewisserung weiblicher Lust zur Konsequenz, aber das Ergebnis stimmt mit der von Schwarzer entworfenen Utopie Gott sei Dank nicht überein. Die PorNo!-Kampagne hat Frauen sehr wahrscheinlich auf die Idee gebracht, sich Pornos anzusehen – und zwar die, die ihnen gefallen.
Die Kampagne zur Kriminalisierung der Prostitution hat die Nebenwirkung, sich des Unterschieds zwischen Beruf und Sklaverei bewusst zu werden – das Berufsbild der Hure wird eher geschärft und es wird außerdem darüber gesprochen, ob Frauen schadlos Sex ohne Liebe haben dürfen. Weiterer Nebeneffekt ist, dass sichtbar wird, wie viel paternalistisches Diktat existiert, um Frauen beizukommen, die mit Sexualität bewusst handeln.
Gut so.

*Ganz nebenbei hilft sie noch Männern, ihr Weltbild wieder in Ordnung zu bringen und die Identität wieder sorgfältig in den sauberen Dr. Jekyll, den vorbildlichen Ehemann/Familienpapa und den geilen Mr. Hyde , den tollen Hirsch, der zu Huren geht zu spalten.

16 Gedanken zu „Alice Schwarzer – Risiken und Nebenwirkungen

  1. Der Gedanke, Schwarzers Initiativen als paradoxe Interventionen zu betrachten, gefällt mir sehr gut! Allerdings darf man nicht drüber nachdenken, was möglicherweise erreicht werden könnte, wenn sie ihre Energie und die Fähigkeit, die Öffentlichkeit zu erreichen, für differenzierte und zeitgemäße Forderungen einsetzen würde. Oder würde das Medienspiel ohne Holzhammer nicht funktionieren?

    • Ja, es wäre wirklich gut, diese Ein-Frau-Armee gezielt einsetzen zu können, vor allem jetzt, wo ihre Haltungen vollkommen reaktionär geworden sind. Aber ich bin mir ganz sicher, daß das nicht funktionieren wird. Das ist ja das faszinierende. Sie ist egoman, aber nicht auf sich bezogen, sondern agiert als Vertreterin von vielen (eine ganz spezielle Form von Größenwahn, diese „Ich bin Viele“) und ich fürchte, sie ist nicht manipulierbar.

  2. Pingback: Eine Ladung Links (7) | repp.cc

    • Danke. Ich beobachte deinen Kampf auf Twitter. Interessant, daß nur Frauen dich attackieren.
      Ich wünsche dir viel Kraft!

  3. Schwarzer spielt das Spiel der elitären Hosentragenden Masse. Sie macht sich die Dinge und Spiele der Macht zu eigen. Im Grund kann man ihr das selbst nicht einmal übel nehmen. Aber sie schadet damit natürlich dem Ansehen einer Bewegung, die einem großen Teil der heutigen Frauengeneration aus vielfältigen Gründen überhaupt nicht mehr geheuer ist.

    Und ich verstehe auch das. Wenn auch das nächste Problem heran wächst, die jüngere Generation von Frauen glaubt, sie bräuchte Schwarzer nicht mehr ernst nehmen, weil sie die komische Alte ist, die von der heutigen Welt keine Ahnung mehr hat – was natürlich ebenso fatal ist.

    Natürlich hat Schwarzer noch sehr viel Ahnung, das beweist ja gerade dieses Kunststück mit dem sie sich einer ganzen weiblichen Berufssparte bedient, um ihren eigenen Weg zu gehen. Nein, schwesterlich ist das nicht. Aber wir können uns in einem Punkt sicher sein: wie Schwestern untereinander agieren und sich demontieren, das weiß Schwarzer sehr genau. Aus den Erfahrungen heraus. Auch sie ist letztendlich nur ein, wenn auch ganz kluges, Produkt von Ursache und Wirkung.

    Schädigt sie sich mit der Aktion selbst? Ja. Kann Ihr das egal sein? Ja. Sie weiß, dass sie größtenteils nicht mehr ernst genommen wird. Sie weiß aber auch, dass sie für reaktionäre Schlagzeilen immer noch sehr gut ist, denn eine ernsthafte Nachfolgerin/Konkurrentin hat es nie geschafft, sich medial wirklich gut aufzubauen. Dazu gehört dann eben auch, dass Schwarzer Medien bemüht, die andere Frauen ihrer Kragengröße nie mit der Hand anrühren würden.

    Im übrigen machen wir in der Diskussion gerade den einen berühmten Fehler: ich habe noch keine Stellungnahme gelesen zu ihrer Person und ihrem Buch, die gesagt hat „Ich habe ihr Buch gelesen.” Das ist natürlich richtig fatal.

    • Vorletzter Satz: Da bin ich sonst immer für. Diesmal aber nicht. Ich habe nicht die Absicht für diesen Drrrrreck!!! (Reich-Ranickische-Aussprache) auch nur einen Cent zu bezahlen. Mit reichte das, was von ihr autorisiert ich in der Bildzeitung dazu lesen konnte.

  4. Gestern Abend hörte ich Alice Schwarzer im Sender Phoenix eine Stunde lang zum Thema Prostitution zu. Von Seiten des Gesprächsleiters und des anderen Gesprächsteilnehmers, einem CSU-Abgeordneten, wurde ihr nicht ein einziges Mal widersprochen. So geriet die angekündigte Gesprächsrunde zu einem Monolog von Alice Schwarzer.

    Mein Eindruck? Eine alte Dame, welche es nicht fassen kann, dass Prostitution nicht mehr „sittenwidrig“ ist, für die es eine Unmöglichkeit ist, dass es Frauen gibt, die freiwillig ihren „Körper und ihre Seele“ verkaufen, um sich von Männern besudeln zu lassen.

    Sex ohne Liebe gegen Geld sind des Menschen unwürdig, dies gehört deswegen verboten und geächtet, so Alice Schwarzer.

    Dafür kämpft sie mit Manipulation, mit Begriffsverwirrung, mit falschen Statistiken, mit Beleidigungen. Kann man so die Herzen der Bürger und Bürgerinnen gewinnen? Doch wohl nicht.

    • Klingt hart, aber ist so: In einer gleichberechtigten Gesellschaft gibt es keine Veranlassung, FRauen vorzuschreiben, was sie mit ihrem Körper und ihrer Seele tun. Es sieht auch niemand eine Veranlassung, Männern zu verbieten, sich mit Alkohol, zuviel Arbeit und rumf… zu ruinieren.

  5. In vielen Dingen muss ich der Schwarzer zustimmen. Was mich an ihr stoert ist, dass sie die groesste Masse der Prostituierten, naemlich die Mehrzahl der Arbeitnehmer in Wirtschaft und Verwaltung offensichtlicht nicht in ihre Ueberlegungen/Forderungen mit einbezieht.
    Wer unterdrueckt und ausgebeutet wird, wie die Masse der „normalen“ Arbeitnehmer und dies auch noch in der zutiefst undemokratischen Arbeitswelt, darf sich nicht wundern, dass diese Opfer sich andere Opfer suchen – Arbeitsweltprostitution bedingt Sexprostitution und umgekehrt.
    Bei der Sexprostitution einschl. Pornoindustrie kommt noch die schleichend umsichgreifende Degenerierung von zwischenmenschlichen Beziehung zwischen den Geschlechtern hinzu, die mit Sicherheit auch negative Auswirkungen auf das Zusammenleben der Menschen ganz allgemein hat – eine grauenhafte Zukunft mit lauter Egomanen steht uns bevor.

    • „oh Gott es ist schrecklich und die Zukunft wird grauenhaft!“, das Spiel ist so alt wie die Menschheit. Ich glaube nicht, dass die zwischenmenschlichen Beziehungen degenerieren. Waren sie in einer Schwarzwälder Bauernfamilie vor 200 Jahren besser? Ich bezweifle das. Sie waren anders, mehr nicht.
      In einem gebe ich Ihnen sehr recht: Prostitution ist eine entfremdete Geldarbeit wie viele andere und wer nicht gut für sich sorgt, geht vor die Hunde. Ob sich jemand in einem Marketingjob in den Burnout arbeitet oder auf den Strich geht oder sich ein Profisportler für Geld den Körper ruiniert – ich sehe da keinen großen Unterschied als den der Zuständigkeit anderer moralischer Instanzen.

    • “oh Gott es ist schrecklich und die Zukunft wird grauenhaft!”, das Spiel ist so alt wie die Menschheit.
      .
      Das kann man wohl sagen, und nicht nur Gerhard Henschel hat das jahrtausend alte Spiel „es wird immer schlechter“ mal (rückwärts gesehen) zu Ende gedacht, im ersten Artikel in seinem „Menetekel“- Buch…
      …denn schon anno 1518 hat der schlaue Kopf Baldassare Castiglione postuliert: „…dass nämlich die Greise insgesamt die Vergangenheit loben und die Gegenward tadeln …und überhaupt alles verwerfen, was jetzt anders ist als in ihrer Jugend.“
      Und wieder Henschel: Wenn man das zu Ende denkt, müssten wir schon längst alle in der Hölle schmoren.

  6. Pingback: Sex, Brötchen und der Tisch unter den die Sachen fallen | staubtheater

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