Frau Brüllen hat das schon am Dienstag gefragt, weil da der 5. war und ich muss meinen Tag nachtragen, weil ich trotz knapp gehaltener re:publica-Begegnungen noch nicht zum Schreiben kam.
Dienstag der 5. Mai war Seminartag. Ich hatte einen Tag Urlaub genommen und durfte eine Dreiviertelstunde länger schlafen. Gegen 8 Uhr frühstückte ich wie immer Joghurt mit Datteln und Banane, trank zwei Tassen Kaffee, malte mir ein Gesicht auf und schnappte meine Tasche. In die hatte ich schon am Abend vorher 3 gelbe Papierquadrate, 4 Skatspiele, Zettel mit Spielanweisungen, einen Märchentext und meinen Laptop samt Adapternupsi für den Beamer gepackt.
Mein Weg führte an den Stadtrand, dort ist eine Fachhochschule, die Erzieherinnen, Gesundheitsmanagerinnen, Sozialarbeiterinnen und so exotische Berufe wie Kindheitspädagoginnen ausbildet. Ich mache dort einmal im Semester ein ganztägiges Seminar zu Gehaltsverhandlungen. Aber erstmal fuhr ich zwei U-Bahnstationen zu weit. Ich war im Kopf eine Sache noch einmal durchgegangen, die immer die Tendenz hatte schief zu gehen und darüber verpasste ich das Aussteigen und stand plötzlich irgendwo an der Endstation am A… der Welt.
Aber die Zeit reichte noch, zurückzufahren und fünf Minuten vor Beginn einen großen Auftritt zu haben. Ich habe sonst immer gern Zeit für das Einrichten der Präsentation, aber das war eh für die Katz, der Beamer war zu dunkel, ich würde also alles rhetorisch rüberbringen müssen. Für Tafelbilder malen ist meine Schrift zu schlecht.
Trotz der Ankündigung, es wäre wie immer ausgebucht, saß diesmal wegen des Bahnstreiks ein sehr übersichtliches Häufchen vor mir. Nach fünf Minuten Einführung kamen dann die Wortmeldungen, wann denn Pause wäre, das bräuchte man für die persönliche Planung und man müsse dringend eher gehen, wegen Weil, worauf sich eilig noch vier Leute anschlossen. Interessant, wenn 16 Leute statt 8 vor mir saßen, hatte es das nicht gegeben. Aber das buche ich ich unter „geh du erstmal arbeiten“ ab und lasse solche gruppendynamischen Prozesse laufen, die dabei endeten, dass in der Evaluation die Bemerkung stand, man hätte zwar eher gehen müssen, aber ich hätte mich nicht ausreichend um ganz persönliche Fragestellungen gekümmert sondern die in die Fragerunde nach hinten terminiert. Kopf->Tisch
Es ist ein Phänomen der Bologna-Bildung, dass in Deutschland nun viele Leute auf einen Arbeitsmarkt kommen, dessen Stellen für Menschen mit Lehrberuf kalkuliert sind. Kaum ein Arbeitgeber legt Geld drauf für einen Bachelor- oder gar Masterabschluß, wenn er diese Expertise gar nicht braucht.
Irgendwann hatte auch mal jemand in der Politik die Milchmädchenrechnung aufgemacht, die lautete Akademiker=guter Verdienst+geringe Arbeitslosenquote und daraus geschlussfolgert, dass man mit einer höheren Akademikerquote das Einkommensniveau heben und die Arbeitslosenquote senken könne. Was für ein einfältiger Bullshit.
Das geht dann Hand in Hand mit der Auffassung von Menschen, dass man nach einem fleißig absolvierten Studium doch wieder nur in die klassischen sorgenden Berufe einsteigt und hofft, dass das gute Zeugnis wie ein Zauberamulett höhere Bezahlung bewirkt.* Viele kommen in mein Seminar und glauben, sie bekommen bei mir Zahlen gesagt, die sie nur auswendig lernen müssen und wenn sie die im Bewerbungsgespräch richtig aufsagen, geht das schon klar mit dem Geld. Und dann enttäusche ich sie, wenn ich ihnen sage, es ginge um Lebensplanung und Empowerment und richtige Zahlen gäbe es nicht.
Der nächste kleine Schock sind die Bedarfsrechnungen. Einmal für Berufsanfängerinnen, das kriegt man schon hin mit dem Gehalt eines sozialen Berufes. Aber der Bedarf für eine kleine Familie und ein Leben jenseits von WG, Elternzuschüssen und bescheidener Lebensführung ist aus so einem Gehalt selbst mit Steigerungsstufen nicht zu decken. In flachen Hierarchien gibt es kaum lukrative Aufstiege und wer sein Leben lang im gleichen Beruf arbeiten will, ist auf ein besser verdienende Partnerin angewiesen. Peng. Mit Mitte/Ende 20 ist das keine angenehme Erkenntnis. Da bin ich bei Stunde 2 des Seminars meist bei der Ernüchterung „das hätte ich vor dem Studium wissen müssen“ angekommen.
Dann gehen wir, neben dem Aufbau des Gefühls für den eigenen Wert und dem ersten Trainieren von sich etwas selbstverständlich erwarten bzw. nehmen statt darauf warten, dass einem gegeben wird**, auf den Parcours, der die Teilnehmer über den Tellerrand hinausblicken lässt. Muss es denn wirklich dieser Beruf für den Rest des Leben sein? Was ist so schlimm daran, Verantwortung für Budget und Personal zu übernehmen? Warum sich von einem freien Träger ausbeuten lassen, wenn man selbst Projekte verwirklichen kann? Wie lässt sich ein Leben mit weniger Geld gestalten?
Das Bild des lebenslang nährenden Arbeitgebers, der Vater und Mutter zugleich ist, steckt scheinbar in Ost wie West tief in den Köpfen der Menschen und die Realität sieht ganz anders aus.
Schöner Gag am Rande: Ein junger Mann, der sich bitter darüber beschwerte, wie er denn ein berufliches Netzwerk aufbauen solle, wenn alle, die er kennt und kennenlernt, über Facebook netzwerken und er doch aber Facebook vehement ablehnt. Da war ich dann kurz vor dem Satz „Tja, keine Ärmchen, keine Kekschen.“
Ich war dann schon anderthalb Stunden eher fertig, denn die Studierenden zog es nach draußen und ich war darüber nicht böse. Schließlich erwartete mich am nächsten Tag wieder meine Arbeit in der Elektrobranche. Die Mittagspause hatte ich mit einer lieben Freundin in einer Einkaufspassage bei Tchibo verbracht und in diese zog es mich nach getaner Arbeit auch zurück. Ich brauchte Strümpfe, Strumpfhosen und Unterwäsche. Da ich keinen Bock habe, für so etwas extra loszugehen, machte ich die Runde bei Läden, für deren Publikum H&M ein teurer Designerladen ist. Das Schöne ist, dass ich in solchen Geschäften nie Angst haben muss, dass es meine Größe nicht gibt, mein Volumen zählte dort als mittlere Größenklasse. Zu meiner großen Freunde konnte ich einen ganzen Schwung T-Shirts mit V-Ausschnitt erstehen, die weder einen schwachsinnigen Aufdruck hatten, noch in die Kategorie „farbenfrohes Oberteil für starke Frauen mit Pfiff“ fielen.
Dann ging es heim. Fun fact: Berlin-Hellersdorf riecht nach Bier und Zigaretten. Neukölln erinnere ich olfaktorisch als eine Mischung aus Kotze und Dope-Schwaden. Charlottenburg riecht nach zu viel Parfüm. Wonach riecht eigentlich Berlin Mitte?
In der U-Bahn verabredete ich mit dem Grafen, dass ich bei Rosenburger etwas zu essen mitbringen würde. Bio-Chili-Cheese-Burger mit Pommes, wie immer.
Wir aßen und der Graf zog gegen 18:30 Uhr noch einmal los, zu irgendeiner Veranstaltung am Rande der re:publica. Ich beschäftigte mich damit, die Waschmaschine zu überwachen und ein paar Reihen an einem Spitzentuch aus eisvogelblauer Seide zu stricken. Gegen 21:30 Uhr tränten mir vor Müdigkeit die Augen und ich fiel ins Bett.
Das war mein 5. Mai und hier sind die anderen Texte.
* Ich wehre mich auch gegen das Mantra „Sozialberufe müssen höher bezahlt werden“, wenn nicht klar ist, wo das Geld herkommen soll. Vom Staat? In Deutschland werden schon Unsummen Geldes vom Gehalt abgezogen, damit der Staat das irgendwie verteilt.
In den Köpfen der Nutzer von Leistungen sorgender Berufe (und damit von uns allen) sitzt, dass es eine Kaste Menschen gibt, die sich ohne Wenn und Aber um uns und unsere Angehörigen kümmern muss, wenn es den Bedarf gibt und das möglichst für umsonst oder ganz wenig Geld für den Nutzer oder die Angehörigen.
Mafiöse Strukturen in Pflege und sozialer Fürsorge, wo das Geld nicht bei denen ankommt, die die unmittelbare Arbeit machen, entstehen meiner Meinung nach auch dadurch, dass die Nutzer von Leistungen oft weder wissen was sie kosten, noch Einfluss auf ihre Kalkulation und Struktur nehmen können. Aber das ist ein sehr weites Feld.
**schwierige Sache für diese Berufsgruppe
Ich habe Dir zu lange nicht gesagt, wie gern ich Deine Texte lese. Dank vielmals für diesen. Ich habe mich in einigen Stellen wiedererkannt.
„Keine Ärmchen, keine Kekse.“
Ach … Du, mal wieder! ;-)
Sie tun mit Ihrem Seminar wirklich ein gutes Werk. Schade nur, dass diese acht Studis das nicht so richtig erkannt haben und zu würdigen wussten.
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Wo man hinschaut keine Kekse, aber Arme. (Sogar im Süden.) Es wird ja immer schwieriger, zwischen berechtigtem und unberechtigtem Jammern die richtigen Antworttrampelpfade zu finden.
Ja, das ist wirklich ein weites Feld. Zudem ich von jemand hörte, die bei Personalgesprächen in einet Kita dabei war, dass in dieser ambitionierten Einrichtung zwei Quotenmänner selbstverständlich zum höheren Preis eingestellt wurden.
Da gibt es dann plötzlich Geld.
Deshalb stelle ich das Seminar auch unter das Motto „wir sind hier bei so isses“, damit wir schauen, was man mit vorgefundenen Bedingungen anfangen kann. Das große Weltverbessern überlasse ich dem Rest der Schule.
wieder mal ein nick-text von Ihnen liebe mizzkitty…. und während ich so vor mich hin nicke denke ich, dass mir unsere telefonate fehlen. aber selbst zu den ausgedehnten spaziergängen fehlt mir auch grad die zeit.
da fällt mir ein, dass man ja keine zeit hat – sondern sie sich nimmt.