WMDEDGT April 2015

Frau Brüllen hat wieder gefragt, was wir den ganzen Tag so machen.
Dieser Ostersonntag war einer der Tage, an denen mir das Zeitgefühl gänzlich verloren ging. Weder der Graf noch ich sind Menschen, die auf festtägliche oder familiäre Rituale Wert legen. Manchmal ist das schade, weil Festtage das Jahr beleuchten, aber der starre, sinnentleerte Feierzwang in unseren Herkunftsfamilien, der mehr Stress als Freude brachte, hat uns wohl davon weggebracht.
Und gestern war es nur ein Segen, dass weder große Essen noch Besuche verabredet waren, denn mein absolut tödlicher Männerschnupfen war auf dem Zenith. Ich saß morgens auf dem Sofa, krächzend, schniefend, niesend, das Wasser lief mir aus Auge und Nase und meine Laune war auf dem Nullpunkt.
Ich kochte mir gegen halb 10 ein Seelentrösterfrühstück, Kascha. Ich koche den Vollkorn-Buchweizen auf und gieße das erste Wasser weg, dann ist er verträglicher. Wenn er weich ist, kippe ich etwas Sahne darauf und lasse ihn noch etwas ziehen. Dann gibt es Zimt und Zucker dazu.
Der Graf war noch einmal eingeschlafen und ich mochte ihn nicht wecken und so setzte ich mich nach der Zeitungsschau an eine Strickarbeit. Mein eigentlich schon fertiges Färöer-Tuch mit Spitzenmuster und aus dunkler Seide hat einen zu schmucklosen Rand und ist an der Unterkante zu leicht. Ich wollte das Muster geringfügig ändern und kleine Perlen einstricken. Doch zuerst musste ich dafür 20 Reihen wieder aufmachen. Was bei gestickter Spitze heißt, Masche für Masche zurückzugehen.
Dazu hatte ich ein Hörbuch auf den Ohren und dachte über Fluch und Segen gekürzter Bücher nach. (Ich hasse es ja, wenn die Handlung eines Romans komprimiert wird. Ich kann aber verstehen, dass ich nicht die Zielgruppe bin, sondern eher weniger leseaffine Menschen mit wenig Zeit und dass ungekürzte Lesungen Hörbücher ins Unverkäufliche verteuern.)
Dann war der Graf aufgestanden und wir verabredeten, am Nachmittag mal bei Kind und Mann im Garten vorbeizuschauen, wir waren freundlich eingeladen und der Himmel strahlte blau.
Ich machte ausgiebig von Nasenspray Gebrauch. Das tue ich sonst nicht, denn das Letzte, was ich ich wollte, wäre, mir damit die Nasenschleimhäute zu versauen. Aber ich hatte eine Heidenangst vor der einer Nebenhöhlenentzündung, die mich richtig krank machen würde. Und Nasenspülungen helfen bei mir nicht. Im Gegenteil, ich habe das Gefühl, ich appliziere damit die Erreger noch an die richtige Stelle.
Dazu trank ich kannenweise Ingwertee und der Graf diktierte derweil einen Blogeintrag und entwarf eine Osterkarte.
stempel
Dann war die Zeit gekommen, zu der wir in den Garten aufbrechen wollten. Aber ich war vollkommen zerlegt und das Letzte, wonach mir war, war, das Haus zu verlassen. Also sagte ich dem Kindlein ab und sah mir vergnatzt die schönen Wolken, die wie Schiffchen auf dem knallblauen Himmel trieben, durch mangelhaft geputzte Fenster an. Statt dessen fummelte ich die Perlen auf die Seidenmaschen und fragte mich recht bald, was mich zu diesem hirnverbrannten Entschluss gebracht hatte.
beads
Es sieht ja hinreißend schön aus, weil es eben eigentlich nicht zu sehen ist. Aber es ist ein haarsträubendes, zeitraubendes Gefummel. Slow Knitting eben, das sind die Stücke, die bei Tragen mit großem Respekt behandelt werden. (Ich mag es sehr, dass die transparenten Opalperlen die Farbe des Garns annehmen, das zwischen Silber-, Graphit- Kobalt- und Bleigrau-Tönen mit etwas mattem Gold changiert. Nicht unbedingt meine Farben, aber gut anzusehen.)
Als die Sonne am untergehen war, merkte ich, dass sich mein Zustand gebessert hatte. Der Graf machte mit mir eine Runde um den Block, damit ich etwas frische Luft bekam. Wir sahen, dass es in der Ackerstraße nun Wiener Schnitzel gibt und sich bei Ocelot etwas tut, nachdem man wochenlang wegen Grippe geschlossen hatte. Menschen scannten und sortierten Bücher. Man darf gespannt sein.
Ich ging früh ins Bett, las noch etwas und habe mich sicher ganz fürchterlich laut gesund geschnarcht.*

Die anderen Blogposts stehen wie immer hier.

PS: Dieser Text ist sehr schön.

 

*Luxuskrank, ich weiß. Einige Menschen in meiner Herzensumgebung sind viel viel kränker.

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