Komisch, wenn sich die Internet-Entzugserscheinungen der ersten Urlaubstage in einen ganz und gar akzeptablen Zustand verwandeln. Kein „das muß ich mal schnell nachschlagen“ (Pflanzen, Spanischvokabeln, Wanderkarten), kein Jiepern nach Mails, plötzlich freiwillige Blogpause. Natürlich gab es ein paar Ausreden. Daß es anstrengend war, im Haus des Wirtes am altersschwachen PC zu hocken, denn irgend jemand verwickelte einen immer in ein Gespräch. Daß UMTS immer noch zu teuer ist und hinter meterdicken Steinmauern ohnehin nicht funktioniert. Daß offline-bloggen am Kamin keinen Spaß macht, weil die Flammen interessanter sind als der Bildschirm und zudem gefährlich für die fragile Technik, weil sich der immer hektischer laufende Lüfter jede Menge heißen Rauch reinzieht.
Geblieben sind Erinnerungsfragmente, die ich nach Belieben schüttele und in meinem inneren Kaleidoskop neu anordne.
Lola, der schwarze kleine Hund. Meinen Therapiehund habe ich ihn am zweiten Tag genannt. Sie folgte mir überall hin, sah mir mit großen Augen zu und wenn ich nichts tat, dann rollte sie sich zusammen und schnarchte leise. Unwahrscheinlich beruhigend. Gab keine Widerworte, diskutierte nicht und schenkte mir unendlich viel Aufmerksamkeit.
Das kalte, türkisblaue Meerwasser. Hinausschwimmen. Immer mit internen Berechnungen: Gibt es eine Strömung nach draußen? Gegenwind auf dem Rückweg? Wie kalt ist mir schon? Habe ich noch die Körperwärme, dieselbe Strecke zurückzuschwimmen? Das intensive Hallo-Wach-Gefühl noch Stunden danach. Last, but not least: Die bewundernden Blicke und Kommentare der Passanten, die natürlich eher meiner Unerschrockenheit galten, denn meinem Traumkörper im Natur-Neopren-Anzug (1A Weihnachtsspeck!)
Palma, allein, bei Nacht.
Wiedehopfe. Lämmer, springende Zicklein, Schafsglockengeläut. Leicht frustrierte Esel im Ruhestand. Ein Kreis von Hühnern, sich gegenseitig pickend. (Sehr leckere Eier! 15 ct das Stück.) Eine 20 Jahre alte Katze, eigentlich nur mehr ein Stück mißfarbenes Fell und Knochen. Und eine einzige Kakerlake.
Weißwein. Rotwein. Cava. Spanish Brandy. Gambas à la HeMan (Mit Messer und Gabel zu essen. Doch, das geht!) Ratatouille aus frischem Marktgemüse. Lammkoteletts. Lammfilet. Lammkeule. Rosmarinkartoffeln. Wintersalat. Risotto mit viel Weißwein. Tomaten. Crema Catalana. (Und eine ganze Versuchsreihe, die Karamelkruste richtig hinzukriegen.) Turron. Polvones. Mit Gas kochen.
Deutsche Residentials. Die großkopferten Immobilienbesitzer mit ihren gelifteten Ehefrauen. Die kleinen Abenteurer und Sonnensucher, immer klamm, immer pleite, für jeden Deal zu haben. Der Inseltratsch unter den Deutschen. Die All-Inclusive-Zombies, die einem Gott sei Dank nur im Flieger begegnen. Wir mittendrin. Zu niemandem gehörend. Zu sportiv, zu outdoorhaft für die haute volee, zu alt für die hängengebliebenen Technokinder, zu individuell für die Pauschaltouristen.
Wandern auf Mallorca. Ein Witz. Wenn Spanier auf einen Berg wollen, fahren sie mit dem Auto hoch. Beim mühsamen Suchen nach nicht bezeichneten Wegen und Pfaden kommt plötzlich Nationalstolz auf. Wald-, Berg- und Landbesitzer haben in Deutschland die Verpflichtung, ihr Gut öffentlich zugänglich zu machen.
Das Kloster San Salvador zur Christmette, hier Hahnenmesse genannt. Die Kirche ist dunkel. Nur in der Bar mit dem blasphemischen Namen (ich glaube, die hieß zur Unbefleckten Empfängnis oder so) brennt Licht, aus der Tür taumelt eine Frau in Richtung Klo. Überhaupt sind nur noch alte Leute in den Kirchen. In Andalusien war das anders.
Spanisch sprechen. Eigentlich sinnlos. Hier redet alles Mallorquin, ein unverständlicher Ableger des Katalan. Meine paar Sätze Kastillian erregen eher Mitleid.
Schlafen. Sich am Tag einfach beim Lesen auf die Seite fallen lassen, das Buch weglegen und einschlummern. Nachts in tiefer Stille und Dunkelheit in den alten Gemäuern liegen. Die leicht defekte Klospülung imitiert ein plätscherndes Bächlein. Morgens weckt Lola mit Kratzen an der Tür.
Der Gastgeber, der uns das kleine Häuschen auf seiner Finca vermietete. Ein weiser alter Mann, Mitte 80. Bevor HeMan kurz vor Weihnachten nachkommt, flirtet er mich kräftig an, auch wenn er grade aus dem Krankenhaus kommt. Jeder seiner Sätze ist wichtig. Klugheit, Erfahrung, Bescheidenheit und messerscharfe Formulierungen lassen einen gern zuhören. Er ist Schriftsteller, einstmals ein wichtiger Mann fürs Fernsehen. Was ich über seine Werke weiß, habe ich aus dem Internet. Er redet nicht davon. Er redet vom Schreiben, vom Abliefern, von der Arbeit als Autor, Journalist und Verleger. Aber inhaltlich wärmt er die Sachen nicht mehr auf. Noch mehr redet er vom Leben. Von seinen zahlreichen Ehefrauen und Kindern. Von seiner Sehnsucht, im Ausland zu leben. In Spanien, dann in der Schweiz, dann wieder in Spanien. Wenn er seinen Haß auf das städtische Leben formuliert, wenn er beschreibt, wie gern er Menschen auf dem Land beobachtet, beneide ich ihn. Er war immer auf Distanz und trotzdem war er mittendrin.
HeMan findet in ihm so etwas wie einen Vater. Und der alte Mann liebt ihn.
In den Tagen, in denen wir zu Gast sind, erfährt er, daß er Krebs hat, nicht operabel. Die Kinder kommen, beraten mit ihm. Kluge, authentische Menschen. Mächtig zwar, aber bescheiden. Ich könnte mir eine Scheibe abschneiden von der Selbstverständlichkeit, mit der sie durchs Leben gehen.
Wir werden bald wiederkommen, haben wir uns vorgenommen.
schnittchen, das hat dochprima geklappt! da isse wieder!
und das hört sich wirklich nach einer fabulösen anders-zeit an, bin fast neidisch, frau koma.
und auf der nachbarinsel hatte ich auch einen gefährtenhund, hätte nie gedacht, daß das so beruhigend und beglückend sein kann.
REPLY:
:) der kleine stupser war wichtig…
REPLY:
das mit dem unterscheidenwollen ist mir im text auch aufgefallen.
aber ich wußte nicht recht, wie ich es thematisieren sollte. wir hatten tatsächlich stark emotionale diskussionen darüber. ich gehöre sowieso nicht auf diese insel. weder als vorstandvorsitzendengattin noch als künstlerin noch als etablierte. und heman paßt eher mit der kamera nach nepal.
REPLY:
A)
Gefühlsbeladene Debatten über Dazugehörigkeiten?! Da wär‘ ich gespannt…
B)
Ha!
Sollte uns das auf den Herren Grant* bringen, der in „About a Boy“ so poetisch sagt, jeder Mensch sei eine Insel und er sei Ibizza?!
Die Entgegnung klingt übrigens nach Affinität für Boavista, Capo Verde…
*(Herr Hornby mag uns nachsehen, dass wir zuerst an den Ausposauner und nicht den Schreiber denken…)
…und immer wieder der drängende Wunsch, sich zu unterscheiden.
Zu wichtig, nicht geschrieben zu sein.
Bei der Katze an Solér erinnert.
Hach.