Die ifs lädt mich zu einer Veranstaltung ein. Kes von Ken Loach.
Einer der ersten Filme, die von mir allein entdeckt wurden, irgendwann mit 12. Im DDR-Fernsehen natürlich, im Nachmittagsprogramm (Westen kucken war mir verboten). Da, wo auch die Neorealisten gezeigt wurden, Fellini und De Sica, als sie noch weniger unterhaltsam waren. Und Antonioni, als er immer gesellschaftskritischer wurde. Dazu auch auch einiges vom New Hollywood Cinema. Natürlich nicht „Easy Rider“. Gesellschaftskritschere Sachen, The Strawberry Statement zum Beispiel. The Last Picture Show gab dann schon einen kleinen Skandal. Zu viel Sex. Und das am Nachmittag im „Schülerfilmclub“. Der Film wurde nicht gezeigt, weil in der Woche vorher Ursula einen formidablen Skandal im Abendprogramm ausgelöst hatte.
Aber das war alles viel später. Vor kalifornischen Sommergefilden und Leuten mit mittellangen Haaren kamen die grauen, kalten englischen Filme, in denen die Leute immer schlechte und schiefe Zähne hatten. Als Identifikationspotential für ein intellektuell verkorkstes frühpubertierendes Mädchen kaum geeignet. Bei Kes hattte mich Bill Bradley interessiert. Er hatte nämlich fast einen Pilzkopf auf den Standfotos und das fand ich ja wieder cool.
Und dann hatte der Film genau die Wirkung auf mich, die Loach eigentlich für seine armen, ausgebeuteten Kapitalistenkinder beabsichtigt hatte.
Ein Junge, dessen Familie nur mit Arbeiten und Streiten beschäftigt ist, der in einer häßlichen Arbeitersiedlung wohnt, in der Schule mit stillschweigender Billigung der Lehrer von depperten Klassengenossen gehänselt wird, zähmt sich heimlich, am Rande der Stadt, einen Falken. Er bekommt etwas Edles. Gesten von Rittern. Die Folgsamkeit eines wilden Tieres. Freiheit. In Gedanken und Taten. Irgendwann wird auch er davonfliegen aus Muff, Beschränktheit und Enge.
Genauso fühlte ich mich. Auch wenn ich das als Kind einer wohlsituierten Familie im besseren Deutschland garnicht hätte dürfen sollen. Der Film ging übrigens nicht gut aus. Irgend jemand hat den Falken getötet.
ich (zonenrandgebietskind) habe mich ja im ddr-fernsehen gebildet, was den frühen deutschen tonfilm anbelangt. unvergesslich auch die ost-synchros von filmen wie „grand hotel“, wo dann die verweise auf den beweggrund des exils der russischen ballerina getilgt wurden oder die besonders schaurige ostfassung von „cabaret“ mit einer sally bowles, die direkt aus dem kombinat grüne gurke zu kommen schien. die nachmittagsschiene hab ich leider verpasst, aber ich bekam regelmäßig eine erkältung, um im vormittagsprogramm die wiederholung der filmklassiker anschauen zu können.
REPLY:
hups, da hatte ich doch schon einen kommentar geschrieben und dann wieder gelöscht wg. fortwährendem neustart des rechners.
montag abend. da erinnere ich mich immer gern dran. schrammel-filme mit hans moser und theo lingen. oder filme mit herrn hesters und lilian harvey.
ost-synchron war genauso schlimm wie ost-übersetzungen aus dem englischen. versuch mal einer updike in einer ost-übersetzung zu lesen, da kriegste das heulen.
west-übersetzungen aus dem russischen sind genauso die härte. es gibt so eine 60er-jahre ausgabe der „brüder karamasov“ vom bertelsmann-club, da haben sie immer davon geredet, daß tarakane die wände langkriechen. also schaben. ich habe mich sehr gewundert, denn wenigstens die bezeichnung für ungeziefer sollte einer, der wahrscheinlich in russischer kriegsgefangenschaft seine sprachkenntnisse erworden hat, kennen.
Oha…
Es gibt weißgott weniger dekadente Anlässe, weswegen man sich auf den Weg nach Köln macht…
Chapeau!
Zugleich lässt sich ein bemerkenswertes Selbstbewusstseinsgefälle zwischen Bildungsbürgern Ost und West erkennen:
Während es BB West durchaus tres chique findet, keinen Schimmer zu haben von allem, was sich östlich jenseits des ehemligen Reichsgebietes befindet, jedenfalls bis Wladiwostok, entdecken wir beim BB Ost gern eine Art Schuldbewusstsein und einen deutlich enrtwickelten Anpassungstrieb an die siegreiche Kultur. Putzig.
In dem Zusammenhang: Ich las mal [vergessen, bei wem] vor Jahren eine interessante – allerdings unleugbar marxistische – These über Zusammenhänge von wirtschaftlicher Bedeutung und kulturellem Einfluss am Beispiel Preußens und Sachsens. Danach war es zu Zeiten August d. S. durchaus nicht unüblich, herablassend auf das berlinische Geplapper, den Dialekt meine ich, zu schauen. Gespiegelt zu heute, sozusagen. Klar, Sachsen war stinkreich und hatte einen wirtschaftlichen Spitzenplatz unter den deutschen Ländern… Heute findet man den badischen oder den württembergischen Versuch, Deutsch zu sprechen, spaßig, das Sächsiche hingegen wird als dümmlich belächelt. Dabei ist es grammatikalisch auf deutlich höherem Niveau. Ganz abgesehen davon, dass unser heutiges Deutsch nunmal dem Meißner (sic!) Kanzleideutsch entspringt.