Überhaupt, dieser Burgberg und insbesondere diese Fischerbastei (nach der wir immer suchten, bis wir mitbekamen, daß das die ulkigen, disneyhaften Türmchen sind). Die äußere Arkade, die den herrlichen Blick auf die Stadt hat, ist nun zu 80% abgesperrt und in ein Café verwandelt, mit stehgeigendem Zigeunerprimas und Latte-Macchiato-Karte. Es mag nur keiner reingehen, denn es zieht vom Fluß her wie Hechtsuppe. Auf den freien 20% drängeln sich fotografierende Touristen und schlecht gestickte Weihnachtsdecken feilbietende Frauen.
Am ersten Tag machten wir nur einen Orientierungslauf auf der Buda-Seite und nachdem der englische Freund angekommen war, mußten wir uns mit reichlich Nahrung gegenseitig aufs Laufende bringen. Zuerst im Ruszwurm. Vergeßt nach diesem Kuchen alle anderen Konditoreien der Stadt! Ich schlabberte die Creme aus einer Cremeschnitte und war selig, denn sie erinerte mich an etwas, was meine Urgroßtante fabrizierte, wenn wir in den Ferien zu Besuch waren: ein grob verrührtes Gemisch von Vanillepudding, Puderzucker und steifer Sahne. Und Mohnstrudel gab es! Mohnstrudel! Nicht grauschwarz gepunktete Puddingmasse, die man aus Deutschland kennt, sondern rabenschwarzer, bitter-aromatischer unverschnittener gemahlener Mohn in hauchdünnem Teig. Wir führten das Gespräch dann in einem fast ausschließlich von Ungarn frequentierten Restaurant weiter, das darauf spezialisiert war, Geschnipseltes – Huhn, Schwein, Wurst, Gemüse, Kartoffeln und jede Menge Paprika, sowohl als Pulver als auch roh – in kleine blecherne Pfannen zu werfen und knusprig anzubraten. Dazu gab es ein buntes Sammelsurium Wein, denn sie hatten nach einer großen Party nur noch Reste übrig. Also kosteten wir uns durch. Der englische Freund hat nach 10 Jahren Schwerstmaloche auf den oberen Stufen der Erfolgsleiter seinen Job hingeschmissen und besucht nun erst mal die auf der halben Welt verstreuten Freunde und Verwandten, um sich dann für eine Weile bei seinem Vater auf der anderen Seite der Erdkugel niederzulassen. Er hatte wunderbare Geschichten vom Landleben in Oregon zu erzählen, dort hatte er die letzten fünf Wochen verbracht.
Am nächsten Morgen ging alles schief. Es war kalt. Hundekalt. Usselig, wie der Rheinländer an meiner Seite sagt. Ich zog drei Pullover übereinander. Vor den Stiefeln, die ich mithatte, schreckte ich noch zurück, doch mit meinen leichten Turnschuhen loszulaufen war ein Fehler, wie ich später merkte. Auch der englische Freund verweigerte sich dem Regenmantel und fror erbärmlich in Hemd und Sommersakko. Wir zogen los in einen graufeuchten Tag, um die Pest-Seite zu erkunden. Ohne Stadtführer und ohne Karte, wie wir nach einer halben Stunde merkten. Uns stellte sich der Teil der Stadt, von der Kettenbrücke aus als verwirrend und unübersichtlich dar. Wir liefen durch Straßenzüge mit großen, repräsentativen, aber heruntergekommenen Häusern, Historismus und Jugendstil, es gab die eine oder andere liebevolle Sanierung, dann aber kamen wieder Baustellen über Baustellen und hundertmeterweise leerstehende Ladenarkaden. Vor fast 10 Jahren sah es in Prag auch so aus, erinnerte ich mich. Es muß in den Wohnungen der alten Prachtboulevards einen heftigen Mieterwechsel geben. Alle Nase lang lagen ganze Wohnungseinrichtungen auf der Straße, alt und fadenscheinig, aber scheinbar vor kurzem noch benutzt. Die Sperrmüllhaufen wiederum wurden von Zigeunern* zusammengestapelt, sortiert und bewacht (Am nächsten Tag waren sie weg, sie wurden scheinbar abtransportiert.) Nach einigem Herumirren fanden wir die Vaci Utca und hakten etwas leidenschaftslos die üblichen Nobelläden ab, aber auch hier gab es viel Leerstand.
Es zog sich als Leitmotiv durch die nächsten Tage: Was ist das, daß wir mit dieser Stadt nicht warm werden? Der brutale innerstädtische Umbruch? Die sehr freundlichen, aber verständlicherweise mit sich selbst und dem täglichen Überleben beschäftigten Menschen? Das graue, kalte Wetter (auch die Ungarn froren sich den A… ab)? Unsere Gruppendynamik? Ich erkunde Städte am liebsten, in dem ich in die größte Gemäldesammlung gehe und danach die Menschen beobachte, vorzugsweise an einem gemütlichen Plätzchen. HeMan baut sich ein Sightseeingprogramm, um es einzustampfen, sobald er gute Fotomotive findet, was meistens schnell passiert. Der englische Freund wollte vor allem viel über Tokaierwein wissen und eine größere Menge guter Flaschen kaufen. Wir bremste uns regelmäßig gegenseitig aus. Zwei Kopfmenschen versackten in Diskursen, während der Augenmensch in Raserei verfiel, weil es nicht vorwärts ging oder aber wir vorwärts gingen und nicht merkten, daß er fotografieren wollte.
Die Situation spitzte sich zu, als wir das gerade laufende Jazzfestival besuchen wollten. Ein Fest, das zu einem guten Teil im Freien stattfindet. Das ist besonders schön, wenn es von der Donau her eiskalten Wind gibt, in Strömen regnet, der Glühwein lauwarmes rotes Zuckerwasser ist und es sich beim gerade laufenden Act um deutschen Free Jazz handelt. Mir taten beide Knie weh (das tun sie seit einigen Monaten erschreckend oft), den englischen Freund schmerzte die Hüfte und wir froren beide. Es gab auch nix ordentliches zu essen, das dortige studentische Publikum kann es sich kaum leisten, aushäusig üppig zu essen. Wir zogen weiter, in eine Kneipenmeile, wo weitere Konzerte stattfinden sollten. Doch die Kneipen waren brechend voll und der englische Freund weigerte sich, zu stehen (insgeheim glaube ich, er mag keinen Jazz, ich fand die Musik aber auch nicht soooo klasse), außerdem hatte er im Fenster eines sehr gemütlich aussehenden persischen Restaurants eine hübsche Bauchtänzerin entdeckt. Das war der Moment, wo sich die beiden Jungs fast Haue angeboten hätten. Wir landeten dann doch dort, weil wir in keine andere Kneipe mehr reinkamen. Die Bauchtänzerinnen waren leider zu mager, um die Sache richtig gut zu können (die Männer fanden sie natürlich zu dick) und mit uns saßen ein paar Budapester Paris Hiltons (mangels Chihuahua hatte sie einen Yorkshire Terrier) und eine Gesellschaft hinreißend schöner orientalischer Twens, die viel Glitzer auf nackter Haut und den schwarzen Klamotten trugen.
Fortsetzung folgt …
*Warum ich nicht politisch korrekt Roma schreibe? Weil sich für mich mit dem Wort Roma nichts verbindet. Das könnte auch die Bezeichnung für die Einwohner von Rom sein. Mit dem Anderen Böse-Böse-Wort verbindet sich für mich eine ganze fremdartige Kultur. Mit ihrer Faszination und ihren Reibungspunkten.
…bin ich gespannt, ob die Stadt dann doch noch etwas Wärme aushauchen konnte… ?!
REPLY:
abwarten ;)
glauben Sie, wie kalt es hier in Wien war ? Ich habe mich ebenso wie Sie geweigert, diese Tatsache zur Kenntnis zu nehmen und zahle jetzt die Rechnung dafür in Form eines bombastischen Schnupfens.
„Zigeuner“ war für mich ebenfalls nie negativ belegt, deshalb habe ich ebenso Schwierigkeiten, auf „Roma“ (Was ist dann eigentlich mit „Sinti“ ?) umzusteigen. Und: Soll man den „Zigeunerbaron“ jetzt in „Romabaron“ umbenennen ?
REPLY:
Mohnknödel! Hach! Noch so eine Sache, die auf jeder Speisekarte stand und die ich nicht essen kann.
Daß wir Knie und Hüfte hatten, das fand ich wirklich erschreckend. Vor allem ist der englische Freund noch jünger als ich…
REPLY:
romabaron an borstenvieh und schweinespeck, wers mag und braucht…
ich habe auch halskratzen und trinke ingwertee.
Danke, Sie erinnern mich gerade an das neulich entdeckte Rezept «Mohnknödel mit weißem Zimteis», das mit den Knien und der Hüfte überlese ich mal höfflichst. Sooo alt sind Sie doch alle noch gar nicht! ,-)
ich lebe in Budapest, deshalb nur: die gesammelten Müllberge gehörten zum Sperrmüll, es hat nichts mit kürzlichen Mieterwechseln zu tun, es ist einfach der Tag an dem der Müll herausgebracht wird. und danach weiter verteilt wird, nicht nur in Ungarn.
Es gibt hier viele, im Vergleich mit dem Deutschen System ärmere, jedoch sind die, die man sieht oft Rumänen oder nicht ursprüngliche Budapester/Ungarn
Viele Läden stehen auch leer, wegen der Konstruktion der neuen Metro, welche überall in der Stadt grosse Baustellen verursacht