Vorgestern habe ich mit meinem Doc das Dreijährige gefeiert. Es geht mir so gut wie seit Jahren nicht mehr und nun habe ich es in der Hand: Das, was ich an Kraft zurückbekommen habe, behalten oder mit Anlauf in den Wind schießen. Ich habe in den letzten zwei Jahren zwei Startversuche jeweils im Spätsommer gemacht und die waren jedes Mal zu viel. Jetzt bekomme ich gerade wieder glänzende Augen und möchte ein wenig mehr unternehmen. Denn mich beschleicht mitunter das Gefühl der Langeweile.
Man muß wissen, Langeweile hatte ich seit gut 24 Jahren nicht mehr. In der Regel war mein Leben am Limit und ich haderte mit mir, warum nicht noch mehr geht. Wenn erfolgreiche Damen morgens um 5 Uhr aufstehen, zunächst ein zweieinhalbstündiges Fitnessprogramm absolvieren, dann eine Romanschreibsession einlegen, den mindestens 12-stündigen Arbeitstag durchpowern und anschließend feiern gehen und dazu noch Kinder aufziehen und berauschenden Sex haben, kann ich das doch auch…
Also meine Langeweile jetzt ist im Grunde ein menschlicher Normalzustand, scheints. Es ist gut, abends noch Zeit und Muße für ein Buch oder sogar die Glotze zu haben. – Das auch bewußt in der Leerzeit und nicht gestohlen und prokrastiniert, weil keinen Bock weiterzuarbeiten oder zu erschöpft dazu. Interessante Erfahrung.
Da fällt mir auch etwas ein. – Zum Thema Leistung. Ich bin mal einem Olympiasieger begegnet. Der hatte seine Goldmedaille in einer Sportart, die sehr anspruchsvoll war, weil sie zehn Einzeldisziplinen umfaßte. Er ist bipolar und wie so viele erfolgreiche und smarte Bipolare mit Mitte/Ende 40 am Limit seiner Kraft und damit suizidgefährdet gewesen. Der Rest ist Lithium. Und da bewahre mich Gott vor.
Aber mal was anderes. Ich feixe ja über die Beschneidungsdebatte. Da knockt nämlich eine politische Korrektheit die andere aus. Man darf kleinen Jungs in Deutschland nicht mehr grundlos am Zipfelchen rumschneiden. (Finde ich auch richtig, die Zipfelchen funktionieren dann nämlich nicht mehr so gut und zurück bleiben Blowjobfetischisten.) Angemessen für ein Land, in dem man auch einem Hund nicht mehr die Ohren kupieren darf. Wir solltne aber auch als gebildete Deutsche keine Traditionen anderer Kulturen kritisieren, mögen sie in den Augen mancher auch barbarisch sein. Und außerdem kann man nicht gegen weibliche Genitalverstümmelung sein, wenn man männliche toleriert, das ist nämlich dann nicht ordentlich gegendert. Prima verlaufen im Dschungel der Bewertungen oder? Und dann setzt der Oberrabbiner noch eins drauf, indem er ganz sorglos davon plaudert, natürlich beschneide man die Kinder ohne Betäubung, man gäbe ihnen vorher Wein und dann würden sie sowieso schlafen. Also im Klartext: man macht einen Säugling besoffen, damit er nicht merkt, wie ein medizinischer Laie ohne Betäubung an ihm rumschneidet. Dann setzten wir jetzt mal die betroffenen Berichte über arme afrikanische kleine Mädchen dagegen, die von einer medizinischen Laiin ohne Betäubung…, ach lassen wir das. Aber wie gesagt: Es ist sehr lustig.
Und dann hatte ich gestern zwei Begegnungen mit den 80er Jahren. Die Kriminalistin sah sich ein Visage-Video an:
Manchmal findet man Leute nur cool, so lange man sie nicht sieht. bit.ly/SorIUM —– Puff! Gehört? Das war eine Jugenderinnerung.
— Angela Temming (@kriminalistin) August 22, 2012
und ich folgte dem Link. Ja. Das sieht schon heftig nach Robert-Wilson-Gedächtnisveranstaltung aus. Inclusive dem Videoclip
den ich früher so hot fand (und der auch in meiner Seminargruppe hätte produziert sein können, so wie er aussieht) ein richtig fettes 80er Deja vu.
Und dann las ich ein Buch, das ich letztens in einer Kiste auf der Staße fand. Man muß wissen, Dijans „Betty Blue“ war auch als Film nach dem Mauerfall komplett an mir vorübergegangen, obwohl er noch durch die Programmkinos treidelte. Der Untertitel „37,5 Grad am Morgen“ ließ mich denken, das wäre ein Betroffenheitskrankheitsliebesdrama, so wie Love Story und was ich mit 14 so gemocht habe, war mir mit Mitte 20 peinlich. Also lag ich gestern auf dem Sofa und kam im Buch exakt bis Seite 30. Dann ging mir das Ganze gehörig auf die Nerven. Es ist einfach ein Unterschied, ob man eskapistische Dinge von Kunstfiguren goutiert, die man selbst nie tun würde oder ob einem das Tor zu diesem Land offen stand und man sich mitunter dort herumgetrieben hat und die Menschen mit denen man zu tu hatte, sowieso.
Insofern: Ich bin jetzt groß und werde Spießer. Das ist zwar langweilig, aber s.o.
Die drei Grundgesetze der Ignoranz: „… das hammwa schon immer so gemacht, das hammwa noch nie so gemacht, da könnte ja jeder kommen …“
Die Hauptargumentatoren der pro-Beschneidungsdebatte haben ja zwei Totschlagargumente: Erstens wird das seit 4.000 Jahren so gemacht [bei den Juden, aber die anderen Beschneider würden die in diesem Vergleich noch vor ihnen liegenden Jahre sicher auch gern für sich haben] und zweitens ist das ein religiöses Kernritual und von daher von vorn herein frei jeder moralischer Bewertung zu stellen.
Kann man mit solchen Positionen wirklich noch ernsthaft diskutieren? Ich las kürzlich bei einem viel gelesenen Kolumnisten zu diesem Thema sinngemäß, dass man solche Positionen halt tolerant hinnehmen müsse; sonst müsse man ja über die Daseinsberechtigung von Religion prinzipiell nachdenken. Ich finde: ja, sollte man.
P.S.: Der Ironie entbehrt ja auch das gelegentlich angefügte Argument nicht, es spräche auch aus hygienischer Sicht alles fürs Beschneiden … Mal abgesehen davon, welches Armutszeugnis man damit den männlichen Religionsgefährten ausstellt, wäre es doch aus solcher Sicht bloß konsequent, auch allen alle Zähne zu ziehen. Die zweiten natürlich. Und ohne Anästhesie versteht sich.
P.P.S.: Anders als Sie das meinen kenne ich nicht wenige Frauen, die beschnittene Schwänze übrigens aus ästhetischen Gesichtspunkten vorziehen … Zu den Funktionsstörungen habe ich allerdings sehr widersprüchliche Einschätzungen gehört.
Ach wissen Sie, aus religiösen Gründen können sich Leute meinetwegen auch einen Knopf an die Backe nähen und ein Klavier dranhängen.
Ich amüsiere mich vor allem über den Dschungel an Spitzfindigkeiten, durch den man sich im Namen von PC quälen muß.
Man könnte ja auch noch die Rassismuskeule auspacken. Warum ist es bei weißen Männern erlaubt und wird bei schwarzen Frauen verboten? oder so.
PS. Sie kommen mit dem Nameserver ihre Arbeitgebers. Wissen Sie das?
Knopf an die Backe: Korrekt, aber bitte nicht bei Minderjährigen …
Rassismus: Das hab ich nicht verstanden.
P.S.: Ja. Solange Sie die nicht veröffentlichen … Ich kann ja schließlich nicht alles erst abends daheim tippen …^^
och, also das argument „ästhetik“ in der schnippeldebatte kann ich wirklich gar nicht nachvollziehen: so ein pillemann sieht mMn weder mit noch ohne mützchen übermäßig dekorativ aus …