Am Freitag beschlossen der Graf und ich, dass wir diesmal ein paar sehr faule Tage in Berlin brauchen. Der Abstand zwischen unseren Aufenthalten im Norden war recht eng geworden und die Arbeit ist dort immer noch anstrengend.
Aber ein Ende ist abzusehen. Wir sind jetzt in der Phase, in der wir alles im kleinen Haus einmal benutzt haben (und es meistens zerbröselt ist) und wissen, was hinter jeder verkleideten/tapezierten Wand und unter jedem Fußboden auf uns wartete. Bis auf die Isolierungsverschalung in einem Zimmer und einem Preßspanfußboden im Oberzimmer ist der meiste kaschierende/vergammelte Sch… raus. Im Hof türmen sich Schuttberge, im Stall stehen viele Müllsäcke voller Tapete.
Der Neuaufbau läuft. Das neue Bad braucht noch Zeit und Kraft für Rohre und Anschlüsse, die Küche Verputz und Schliff. Der Hof trocknet ab, seit die Dachentwässerung auf dieser Seite wieder funktioniert.
Es warten noch zwei Öfen auf den Abriss, aber das mit den neuen Öfen ist komplex. Ende letzten Jahres zündete die letzte Stufe des Immissionsschutzgesetzes, mit dem viele schöne alte Öfen ihre Betriebserlaubnis verloren. Die werden gerade billig vertickt, in der Hoffnung, es findet sich ein Dummer. Neue Öfen sind teuer, weil sich die Hersteller die Zertifizierung teuer bezahlen lassen. (Dass diese Zertifizierung so ungefähr abläuft, wie bei Autos, geschenkt. Man kann auch mit einem neuen Ofen mit der falschen Heiztechnik und nassem Holz extrem viel Dreck in die Luft blasen und mit einem alten immissionsarm heizen.) Darüber, dass Hersteller das Geschenk bekamen, alle paar Jahre Leuten neue Öfen und Heizungen zu verkaufen, will ich schweigen, sonst rege ich mich nur auf…
Letztlich hat der Luxus, im Winter durch ein ganzes Haus nur mit dem T-Shirt bekleidet zu laufen und auf Hahndreh warmes Wasser zu haben, seinen Preis. Ob wir nun Holz und Kohlen einzeln oder an zentraler Stelle verheizen, Erdgas aus tausende Kilometer langen Pipelines herschaffen oder um Öl Kriege führen. Und das ganze Bemühen um das, was sich Energiewende nennt (verbunden mit dem frommen Wunsch, daß wir trotzdem unser Verhalten und unsere Erwartungen nicht ändern müssen), ernährt Herden von Lobbyisten, Beratern und Zertifizierern mit ihrem Energievoodoo recht gut.
(Fun Fact: Das Verbot der Glühbirne und der Siegeszug der LED-Beleuchtung hat bisher keine großartige Energieeinsparung gebracht. Die Leute haben es jetzt überall viel heller. Lichtsmog heißt das.)
Themensprung. Ich habe während Entkleidung der Zimmer regelmäßig kopfschüttelnd dagestanden, weil der Wunsch, moderne Innendeko zu haben, eigentlich immer in Muff, Schimmel und Feuchtigkeit endete. Überhaupt hat da jemand in Küche, Bad und Fluren einen riesigen Posten plastikbeschichteter Tapete verklebt (und wenn ich mich recht erinnere, hat man das in der DDR mit Latex-Bindemittel getan), die sich beim Abpopeln sehr ziert und in den Außenwänden jede Menge Feuchtigkeit erzeugt hat.
Es hatte schon seinen Sinn, dass die Generationen vorher Kalkfarbe mit Schablonenmalerei an die Wände machten. Auch demnächst gibt es wieder Streichkalk für die Wände, mehr nicht.
Allerdings muss ich zugeben, dass die ganze moderne Bauchemie so ihren Reiz hat. Alles ist fertig angemischt, hat im Namen schon den Verwendungszweck (auch wenn in vielen Säcken dann das Gleiche ist), möglichst in Verbindung mit „Schnell“-, „Blitz-“ oder „Rapid“, man muss nicht mehr nachdenken.
Ich erwische mich dabei, auf die eine oder andere kalte oder schadhafte Stelle zu starren und zu denken „einfach Styropor drauf kleben/Rockwool drauf legen“ oder „ich fange da erstmal mit Bauschaum an und sehe weiter“. Der Graf erinnert mich dann immer gern, dass das nur eine Lösung für ein paar Jahre mit ungewissen Konsequenzen ist.
Ansonsten gehe ich durch den Baumarkt und denke leicht verzweifelt, dass ich doch nur Kalk, ggf. etwas Zement und Sand brauche. Lehmputz lassen wir in diesem Haus außen vor, weil es schon mit Kalk und Zement (innenaus)gebaut wurde.
Überhaupt Lehmputz. Der Graf hatte sich mit jemand unterhalten, der ihm sagte, in der Gegend um Helmstedt/Wolfsburg würden für den Quadratmeter Lehmputz 60€ aufgerufen. Gehts noch? Das billigste und am einfachsten zu verarbeitende Material? Das haben die Leute früher selbst gemacht und es hat in der Regel Jahrhunderte gehalten.
Wir haben so viel vergessen. Verputz bröckelig/uneben? Gipskarton kaufen und davor machen! (im Gutshaus erwarten uns Unmengen dieser Verschalungen) Ein Loch in der Socke/im Bettbezug/im Pullover? Wegwerfen! Neukaufen! Wundern, dass die Qualität der Fasern im Neugekauften immer schlechter wird. Wir sitzen oft auf einem Berg von verschlissenen Ressourcen und wissen nicht mehr, was wir tun sollen, um sie zu reparieren oder lange haltbar und verwendbar zu machen.
Und je wohlhabender Asien wird, je mehr diese Menschenmassen in unseren way of life einschwenken, desto knapper werden gute Materialien. Vielleicht ist es für uns an der Zeit, damit aufzuhören.
Deshalb wird gebraucht gekauft und den einen oder anderen Gegenstand, der schnell weg muss, weil er durch einen neuen ersetzt wird, holen wir geschenkt ab.
Nebenbei, für diese Philosophie des Aufräumens und Wegwerfens habe ich mich deshalb nie begeistern können. Zu DDR-Zeiten habe ich alles aufgehoben, jedes Stück Holz oder Fliese, jeden Einrichtungsgegentand, jedes alte technische Gerät, weil alles knapp war. Manchmal konnte man aus dem Material etwas Neues bauen, manchmal musste man nur reparieren.
Es mag sein, dass Aussortieren und Wegwerfen Befriedigung bringt. Ich finde es in erster Linie konsumistisch. Und diese Phase ist bei mir vorbei. Aus Gründen. Wenn mir mal wieder Zweifel kommen, schaue ich in Berlin aus dem Fenster auf die Balkons des Nebenhauses. 75% der Balkons werden nie genutzt. Die Eigentümer der Wohnungen müssen zu viel arbeiten, um sich die Wohnung mit Balkon leisten zu können, sie haben keine Zeit, auf dem Balkon zu sitzen.
In diesem Sinne. Heute sitze ich noch etwas auf dem Sofa und danach gehen wir auf den Flohmarkt am Arkonaplatz.
Ich werfe auch ungern weg, ich kaufe neue Dinge nur; wenn die alten irreparabel sind. Im Esszimmer stehen immer noch die Möbel von der Hochzeit, der Tisch war damals schon 60 Jahre alt. ..
Zumindest im gewissen Teil kann ich zustimmen. Leider muss man sich Erhalten und Reparieren leisten können. Baumärkte bieten im Regelfall das an was Heimwerker und kleine Handwerksbetriebe schnell und einfach verarbeiten können.
Wenn du es nicht selbst machen willst (oder kannst) bist du darauf angewiesen das du Leute findest die entweder mit alten Gebäuden umgehen können, wissen wo sie das entsprechende Material herbekommen und dann idealerweise noch sowas wie Handwerkerehre haben und wirklich nach den fachlichen Regeln der Kunst arbeiten.
Ich habe hier „nur“ ein Haus von 1889, das halt bis in die 1990er Jahre mit den Mitteln der jeweiligen Zeit Instand gehalten wurde. Natürlich hätte ich gerne die alten Türen und Böden erhalten – dazu hätte aber in den 100 Jahren zuvor mehr gemacht werden müssen als immer nur neue Schichten Farben drüberzukleistern. Ich kann z.B. dankend auf diese hässlichen Kunstoff-Fenster verzichten – für die Oma waren das damals aber 25.000 DM die dafür sorgten das endlich Kälte und Nässe draussen blieben. Für mich werden das dann 30.000 € damit haustypgerechte Fenster eingebaut werden die dann dem Haus wieder ein würdiges Gesicht geben…
Es ist halt theoretisch einfach ein Gebäude zu erhalten – in der Praxis braucht es dann Wissen, Können, Geld (oder Zeit) und definitiv keinen Obi.
Wobei die Schnellreparatur des kleinen Hauses etwas anders ist, als ein ständig zu bewohnendes Haus zu sanieren. Wir wissen ja nicht einmal, wie die Auslastung sein wird, ob Sommer oder Winter. Außerdem macht es keinen Sinn, in einer bäuerliche Wohnung, die in einen Pferdestall gebaut wurde, glatte Luxusräume zu setzen, das darf rustikal bleiben. Aber die Sehnsucht nach Glätte und städtischem Ambiente ließ die Leute halt Plastiktapete aufkleben und Teppichboden an den Rändern mit Silikon abdichten.
Wir ersetzen die Böden nicht, die pro Zimmer gut 5 cm Gefälle haben. Die alten, kaputten DDR-Fenster sind jetzt mit sehr einfachen Tricks dicht. (Glaub mir, ich weiß, wie eklig undichte, kaputte Fenster sind.) ansonsten wird mit dem gearbeitet, was da ist.
Oh, ok. Silikon. Heimwerkers Allzweckwaffe. Mein Beileid.
Das Aufheben ist auch eine Platzfrage – meine Eltern heben seit Jahrzehnten jedes Fitzelchen auf. Das funktioniert natürlich gut, weil sie ein großes Haus mit großem Keller haben – und letztlich spart das dann auch Geld, weil sich für jede Eventualität dann doch im Keller irgendetwas Brauchbares findet – ob das ein Ballkleid ist, das in das Debütantenkleid der Tochter umgeschneidert werden kann oder genug Lego für eine ganze Enkelgeneration.
Ich wohne hingegen in einer Stadtwohnung. Mein Stauraum ist stark begrenzt, obwohl wir eine größere Wohnung mit mehr Stauraum haben als die meisten meiner Freunde und Bekannten. Aber ich kann schlicht nicht die gesamte Babygarderobe meiner Tochter aufheben für die nächste Generation, wir haben den Platz nicht.
Ja. Das ist in der Tat so. Wenn dann noch die Miete für die stadtwohnung irre hoch ist, kommt der Punkt, daß sich wohnen in der Stadt – auch wenn es dort gut bezahlte Arbeit gibt – nicht mehr lohnt, weil die Nebenkosten immens hoch sind.
Aber vor 15 Jahren habe ich darüber auch noch anders gedacht.
Ach, ganz mein Ding. Kalk, Sand, für Farbe und Putz. Zur Farbe etwas Magerquark zugeben, damit sie besser bindet und nicht kreidet, wenn die städtischen Gäste im schwarzen Tuch mit Spiel- und Standbein lässig angelehnt die Sommerfrische geniessen. In den letzten Jahrhunderten gab es stets eine warme Stube. Der Rest war Pullover. Und was die Immissionssachen angeht – erst vor 2 Wochen musste hier der funktionierende Brenn-Einsatz eines Klinkerofens von 1982 ausgetauscht werden. Selbst der Bezirksschornsteinfeger sprach von „Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für’s Handwerk. Kostenpunkt: 3000 Euro. 3,5 Stunden Arbeitszeit.
Wegen der Farben muß ich die Tage tatsächlich noch mal den Restaurator konsultieren. :) ich schicke dir nächste Woche mal eine Mail.