Sonntagsmäander unter Platzregen

Mittelprächtig müde und erschöpft. Es gibt immer noch mal einen Ruck und ich werde effizienter, auch wenn ich dachte, das wäre jetzt schon das Ende der Fahnenstange. Die Arbeitswoche endete mit der Nachricht, dass es wahrscheinlich noch eine weitere Arbeitskraft geben wird, die uns unterstützt. Gut so.
Ich bin mittlerweile so weit, dass ich den Zustand, dauerhaft 10 Bälle in der Luft zu haben, als normal betrachte und erst panisch werde, wenn man mir weitere 5 zuwirft. An den seltenen Tagen, an denen ich es schaffe, meinen Projektordner aufzuräumen und auch mal wieder strategisch zu denken, bekomme ich dann ein schlechtes Gewissen, nichts zu tun bzw. tue beschäftigt.* – Das wäre als Selbständige genau der Moment gewesen, mir mal einen fetten lauen Tag im Biergarten zu machen. Als Angestellte geht das nicht.
Was aber auch heißt, als Angestellte rechtzeitig Laut zu geben, wenn die Belastung in den Spitzen zu hoch ist. Denn schließlich gehe ich nicht mehr mit dem Satz „Tschakka drölfzigtausend Euro Umsatz gemacht!“ aus dem Büro, sondern habe mein Gehalt und die Boni bringen mir jetzt auch nicht die Euphorie, mit der ich mich um die Gesundheit bringen wöllte.
Das Team ist toll, die Chefs sind super, die Arbeit macht Spaß und trotzdem geht es mir immer wieder über die Grenze der Kraft.

* Dabei entsteht gerade in diesen Momenten, die faul aussehen bei mir sehr viel, was mich weiterbringt. Ich brauche diese Leere zum „inneren Arbeiten“. Ohne die verblöde ich.

Ich stehe immer wieder neben mir und frage mich, wie lange ich das noch hinkriege. Mein Privatleben besteht nur noch aus grundlegender Regeneration meiner Arbeitskraft, mehr nicht. Sich säubern, auf kleinstem Level Kleidung und Nahrung organisieren, die notwendigsten Worte zur Beziehungspflege sprechen (ich telefoniere so viel, ich mag abends nicht reden), essen, kurz entspannen, um schlafen zu können, schlafen. Sobald Wochenende oder Urlaub ist, droht Freizeitstreß und dabei will ich mich doch nur ausruhen und vor mich hinpusseln.
Vielleicht komme ich aber auch mit entfremdeter Arbeit nicht zurecht. Es ist halt nicht meine Firma, große Bereiche meiner Fähigkeiten – analysieren, lenken, entscheiden, Zusammenhänge erkennen, Schlußfolgerungen ziehen – liegen brach und ich mache Detailkram, den ich hasse, der mich anstrengt und für den ich zu unstrukturiert bin.

So. Genug gejammert. Schließlich liegt es an mir, das wieder zu ändern. Bis zum Herbst nächsten Jahres bleibt das erst mal so, es sei denn, ich komme an einen Abzweig, der vielversprechender ist.

Kleine Anekdote am Rande, wenn ich kurz vor sechs aufstehe, um das Büro frühmorgens zu besetzen – wir wechseln uns dabei ab – produziert mein noch nicht ganz waches Hirn üble Ohrwürmer, die den ganzen Tag in meinem Kopf musizieren.
Zum Beispiel das

oder das

oder noch schlimmer!

Ich weiß nicht, womit ich das verdient habe. (und bis vorhin wußte ich nicht mal, dass die meisten dieser Lieder von Tony Marshall gesungen werden.)

Gestern saß ich mit Nähnerds zusammen, ein schöner Abend mit gutem Essen und guten Gesprächen. Ein schöner Abend und ich bin froh, so wunderbare Menschen zu kennen.
Hier noch mal ein Link, des Vortrages von Frau Crafteln in Hamburg

Erfrischend, jemanden auf einer Internetkonferenz zu sehen, der tatsächlich einen Vortrag halten kann.
Btw. ich habe es auf Twitter bereits herumgesendet, hier ist noch zwei Links, die zum einen dazu dienen können mit den Vorurteilen über handarbeitende Frauen aufzuräumen, denn er stammt einer der Nähnerd-Damen, die Volkswirtschaftlerin mit Universitätskarriere ist und zum anderen keine leichtverdaulichen aber komplexe Fakten darüber bietet, warum das mit Griechenland so ist wie es ist.
EIN PAAR GEDANKEN ZU GRIECHENLAND – WIE KAM ES ZU DER JETZIGEN SITUATION?
DER GRIECHENLAND-GEDANKEN ZWEITER TEIL: UND WAS HAT DAS GANZE MIT DEM EURO ZU TUN?
von Frau Siebenhundertsachen
Das ist für mich der Punkt. Klar kann man sich laut Schäubele als bösen alten Mann aufregen und Fotos von weinenden alten Männern teilen, die vor einer griechischen Bank sitzen und kein Geld bekommen. Mich lässt das nicht kalt, ich bin da emotional genauso drin. Aber ich erhoffe von mir und von den Menschen in meiner Umgebung, die qua Bildung und Reife mehr als eindimensionale Weltsicht haben sollten, die Mühe, sich der Komplexität dieser Dinge zu stellen. Es gibt keine einfache Wahrheit. Was wir lokal erleben und uns zu Handlungsimpulsen oder Erkenntnissen bringt, kann global zu völlig anderen Ergebnissen führen, als wir glauben. (im übrigen wird im zweiten Text auch mit der oft nachgeplapperten Behauptung aufgeräumt, dass deutsche Banken von Entscheidungen betr. Griechenland profitieren würden)

Damit bin ich beim nächsten Thema. Am Donnerstag Abend machte ich Twitter auf und eine Kakophonie, gebündelt in #merkelstreichelt schwallte mir entgegen. Sensen, Dreschflegel, Mistgabeln, Teerfässer und Federbetten waren bereit. Denn Kanzlerin Angela Merkel hatte ein weinendes Flüchtlingskind gestreichelt und ein paar unbeholfene Sätze jenseits des Protokolls gesagt.
Warum das nun erwachsene Menschen dazu bringt, sich in sozialen Medien so aufzuführen, als übten sie für die Schlagzeilenredaktion der Bildzeitung, weiß ich nicht. (Nebenher, man sollte eigentlich alle, die, die in der Nacht der letzten Bundestagswahl laut herausposaunten, sie wollten auswandern, denn Deutschland sei als Heimat nicht mehr akzeptabel, mal fragen, wo sie heute wohnen.)
Für mich ist diese Szene ein Stück lebendige Geschichte. Es kracht und knirscht plötzlich und wird offensichtlich, dass es eine riesige Diskrepanz zwischen politischen Leitlinien (hilflose, gestenreiche Asylgesetze, keine Einwanderungspolitik) und der Realität gibt (die Menschen sind einfach da und auf der Suche nach Lebensglück und Sicherheit). Plötzlich platzten alle Flicken weg, Politik trifft wahres Leben. Man denke an die legendäre Pressekonferenz am 2. November 1989. Nur dass da keine wütenden Herden den Schabowski beschimpften, sondern eine Flüchtlingswelle ohnegleichen losgetreten wurde.
Das wird immer vergessen. BRD hat vor 25 Jahren mit dem Einigungsvertrag ein sehr spezielles Einwanderungsgesetz beschlossen. Es ging zwar nicht um territoriale Migration, aber um die schlagartige Vermischung zweier Kulturen (sehr wahrscheinlich auch, um extremer territorialer Migration vorzubeugen), von denen man geglaubt hatte, sie würden sich völlig ähneln. Wie reibungsintensiv das war und was das gekostet hat, den einzelnen wie auch die Gesellschaft, sollte jedem über 30 in Erinnerung sein. Auch, welche Veränderung in diesem Land passiert ist.
Ich schreibe das ohne jegliche Bewertung.

Ich stehe seit Wochen stumm vor dem, was passiert. Haben die Leute im Osten wirklich vergessen, was es heißt, ins bessere Leben aufzubrechen, weg von armseligem Leben, Restriktionen und oft auch Verfolgung, hin zu idealisierter Freiheit und Wohlstand? Haben sie vergessen, was es bedeutete, aus seiner kleinen gesellschaftlichen Position rauszufallen und plötzlich Almosenempfänger ohne gesicherte Lebensperspektive zu sein? Nicht geachtet zu werden, weil für den hochindustrialisierten Arbeitsmarkt unbrauchbar? Mit plötzlich komischen Sitten und dummen Worten, mit lächerlicher Kleidung und inakzeptablen Werten.
Aber zumindest anerkannt und mit gesicherter Staatsbürgerschaft. Vielleicht ist es das. Ein scheeler Blick in den Spiegel – da ist jemand nun noch weiter unten und sitzt nicht fest im Sattel, da kann man draufhauen, denn man ist wieder wer, mit Eigenheim, Auto und Bausparvertrag.
Es hat scheinbar Ähnlichkeit mit der Ablehnung der Leute, die nach 1945 in kleiner gewordene Land kamen. Man nannte sie Flüchtlinge und feige, sie nannten sich Vertriebene und fühlten sich verraten. Wie viel Hass und Brutalität da an der Tagesordnung waren, wie viel Arroganz und Überhebung – von Menschen die gerade die Nazizeit verdrängten.

Aber zu angenehmeren Themen. Ich habe mein Strohwitwenwochenende zum Schlafen und zur Fellpflege genutzt und ich war beim Kind im Garten, bis mich ein heftiger Regenguss vertrieb. Vorher raufte ich noch etwas Mangold aus und erbarmte mich eines der vegetativ explodierten Riesenkohlrabis und wurde noch von den Nachbarn mit Unmengen Zucchini beschenkt.
Danach fand ein denkwürdiges Gespräch statt:

Ich hatte wohl der Roten Bete eine Glatze gerupft. Die Kaltmamsell klärte uns schließlich darüber auf:

Das mit dem Kohlrabi war komplizierter. Was ich glaubte, vorm holzigwerden zu retten, ist die Sorte Superschmelz, die bei Kindskopfgröße noch lange nicht aufhört zu wachsen.
Ja nun, die gab es zu einer Zeit, als ich Gärtnerin gelernt hatte, noch nicht. (War mir das peinlich!)

Zum Abschluß einen Link zu Journelle.
google
Sie schreibt über Essen und darüber, daß sie keine Diäten mehr macht und sich damit gut fühlt und wird in den Kommentaren – wie fast immer bei dem Thema – mit Diättipps belohnt.

Kannste dir nicht ausdenken.

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8 Gedanken zu „Sonntagsmäander unter Platzregen

  1. In dem Eintrag steht ja so manches, was einen zurecht beschäftigen kann, aber diese Sache mit den Liedern von Severine u.s.w. gibt mir mehr zu denken als alles andere. Der Name war mir noch dunkel in Erinnerung, aber kein einziges Lied, obwohl ich zu der Zeit fleißig Hitparade geschaut habe. „Olala l’amour“ war gerade beim youtube-Gucken das einzige mit Erinnerungspotenzial. Aber wie kommt das 2015 in einen Kopf, ohne äußere Provokation? Muss ich jetzt auch Angst haben? Früher war einem natürlich so mancher Schlager recht und billig, im Alter von sechs bis neun ist man da ja noch sehr aufgeschlossen und experimentierfreudig, aber das waren nicht die Highlights. Mir kommt da eher „Butterfly“ von Daniel Gérard in den Sinn oder „Die Maschen der Mädchen“ von Chris Roberts – aber das war glaube ich früher. Und natürlich alles von Mireille Matheu – „Martin“, „Hinter den Kulissen von Paris“ etc. pp. Na ja. Ein weites Feld. Leider war mir die Ost-Hitparade nicht gleichermaßen zugänglich, deswegen die etwas einseitige Aufzählung!

  2. Pingback: Results for week beginning 2015-07-13 | Iron Blogger Berlin

  3. „Man nannte sie Flüchtlinge und feige, sie nannten sich Vertriebene und fühlten sich verraten.“

    Flüchtlinge waren doch die, die es noch vor Kriegsende schafften, sich weiter westwärts zu retten – meine schlesische Großmutter mütterlicherseits, zum Beispiel, ging im Januar 1945 mit ihren drei älteren Kindern auf die Flucht (http://arboretum.blogger.de/stories/1062613). Die endete zunächst in Bayern, als die siebenköpfige Familie zwei Jahre später wieder komplett war, zogen sie nach Hessen (mein Großvater, der zu den wenigen Richtern gehörte, die nicht der NSDAP beigetreten waren, bekam in Bayern keine Stelle, weil er evangelisch war, die nahmen lieber alte Nazis).

    Vertriebene waren die, die nach Kriegsende gewaltsam aus ihrer Heimat vertrieben wurden – wie meine schlesische Urgroßmutter mütterlicherseits, die landete dann erst einmal in Bautzen bei ihrem ältesten Sohn. Vertriebene nannte sich aber auch sie nicht, das tat keiner aus der Familie, und mit Landsmannschaften hatten die alle auch nichts am Hut.

    Meiner Erfahrung nach zeigen Menschen, die entweder selbst nach dem Krieg flüchten mussten oder vertrieben wurden oder aus solchen Familien stammen, Empathie für die Flüchtlinge von heute. Und mich packt angesichts der ganzen -gidas oft die kalte Wut. Ich erinnere mich nämlich auch noch sehr gut, wie das war, als im Sommer 89 der ungarische Grenzzaun zerschnitten wurde und all die DDR-Flüchtlinge in den Westen strömten. Das war für die Einheimischen auch nicht immer lustig und brachte etliche Probleme mit sich. Gerade in den Ballungsgebieten, wo Wohnraum eh schon knapp war, und das Sozialamt für DDR-Flüchtlinge jede Miete zahlte, so dass alle anderen in die Röhre guckten.

    Was das palästinensiche Mädchen namens reem aus dem Libanon betrifft, so fand sie Merkels Antwort laut Presseberichten übrigens fair und ehrlich. Abgesehen davon wird sie eh nicht abgeschoben, weil sie unter die neue Regel fällt.

    • Ich bin da tatsächlich nicht sattelfest. In der DDR waren das laut offizieller Sprachregelung alles „Umsiedler“.
      Das mit den Vertriebenen und den Flüchtlingen habe ich erst im Westen mitbekommen. Und da war „Flüchtling“ in der Regel Mensch dritter Klasse, als Nachbar, als Bräutigam, als Bürgermeister.

    • Ja, da gab es oft sehr bittere Erlebnisse mit bösen Einheimischen – nicht immer waren das nur die, die im eigenen Haus zusammenrücken und Flüchtlinge aufnehmen mussten. Aber es gab zum Glück auch andere. Meine Großmutter und ihre Kinder begegneten beiden Sorten Mensch.

  4. liebe kitty,

    hmh……….wenns dir jetzt schon über die grenze der kraft geht……………..meinst du, du gewöhnst dich an noch mehr? oder ist es nicht so, daß der körper dir signalisiert……huhu…..spür mal ganz genau rein. eigentlich schaffe ich das ganze nicht mehr sooooo dolle.

    und abends + die wochenenden immer nur platt zu sein und rumhängen?

    weiß nicht – hört sich für mich nach einfach zu vielen stunden mit jeder menge action an.

    ich werde jetzt bald fuffzig und muß sagen – plage mich im moment ganz sehr dolle mit den wechseljahren rum…………………..und bin sowas von teilweise richtig unfit – das kenne ich gar nicht. war früher immer mehr die powerfrau – was für ein albernes wort – aber ja, streß, hektik, fußpilz – das war genau mein ding. genauso bescheuert. nun habe ich mir in den letzten 15 jahren einen finanzplan zurechtgelegt, der es mir erlaubt nicht mehr erwerbstätig zu sein. und eine 40 plus stunden woche möchte ich überhaupt nicht mehr. dafür verzichte ich luxus- und konsummäßig auf sehr viel, habe kein auto und die letzten jahre war ich immer im urlaub als working guest für kost und logis.

    es geht alles – auch mit wenig geld.
    ist ne frage der sichtweise und was einem wirklich, wirklich wichtig ist.

    habe glück, im eigenen haus zu wohnen……………..billig erworben, viel selber umgebaut und kann auch noch eine etage vermieten.

    was mir wichtig ist, ist vor allem den druck aus meinem leben rauszunehmen. ruhiger zu werden und eine gewisse gelassenheit zu entwickeln.

    in den jahren wo ich – außer kind großziehen – nicht berufstätig war, war die beste zeit um viel zu lernen, mich weiterzubilden (innerlich, seelisch) und einfach auch mal wieder genießen zu lernen. spüren, fühlen, nix tun, kreativ werden……………

    und ausgehen tu ich fast nie………………ich habe endlich die zeit und muße zum kochen.

    so bin ich also die perfekt nur-hausfrau. herrlich. selbstbestimmt und unabhängig. es stört mich nicht mehr, dass ich putzen muß. gehe alles langsam und enstpannt an. karriere ist mir nicht mehr wichtig.
    meine seele gehört endlich mir!

    bin gespannt wo deine reise hingehen wird……………………..

    herzlichst
    tilly

    • Das, was ich gerade mache, ist eine Übergangsphase. Dauerhaft geht das nicht. Nicht umsonst habe ich 5 Jahre vorher nicht oder nur 15 Stunden in der Woche gearbeitet.
      Meine Erkrankung hat meine Finanzplanung über den Haufen geworfen und deshalb war meine Rückkehr ins soziale Netz dringend nötig. Bis ich wieder respektabel drin bin, dauert noch ein paar Monate. Ich suche noch nach dem Ansatz, jenseits von „alles oder nichts“. Ich finde es nicht schlecht, rauszukommen und auf Trab gehalten zu werden. Aber bitte nicht 40+ Stunden in der Woche!

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