Sonntagsmäander aus dem Plumeau

(tl;nr Alle krank hier.)

Das war alles ganz anders geplant. Es sollte heute ein Kaffeetrinken mit Kind und Mann geben, abends ein Diner in schönen Kleidern und anschließend Champagner.

Ist aber nicht. Am Mittwoch legte sich der Graf morgens nach dem Aufstehen wieder ins Bett. Ihm war nicht so. Ich darf ja da nie viel machen, nicht anfassen, kaum mit ihm reden, vielleicht mal Tee hinstellen. Ich schielte immer mal zu ihm ins Zimmer, wo ein zitterndes, hustendes Bündel unter den Decken lag und schlief, und schwankte zwischen „Nun übertreibt er aber wirklich!“ und „O-o! Vielleicht doch besser einen Arzt?“.
Am Donnerstag morgen ging es auch bei mir los. Nur hatte ich erst einmal einen Termin in Charlottenburg. Den wollte ich hinter mich bringen, danach etwas einkaufen und dann ab ins Bett. Aus einer Fahrt nach Charlottenburg wurden zwei, denn der Mensch von dem Termin hatte auf einem Formular ein ungeheuer wichtiges Kreuz vergessen.
Ich nahm am Hackeschen Markt, beim Umsteigen von der S-Bahn in die Straßenbahn, noch die Notwendigkeiten mit, die uns fehlten: Kaffee, Klopapier, eine Familienpackung Taschentücher für empfindliche Nasen und ein Großpack Hustentee.
Dann stellte ich mich noch 20 Minuten in der Post in der Torstraße an, um das Formular mit dem ungeheuer wichtigen Kreuz wegzuschicken.

BTW, die Post in der Torstraße ist noch eines der wenigen klassischen Postämter in Berlin. Außen graue preußische Repräsentationsarchitektur, innen die letzten Beamten, die sich dem goldenen Handschlag der Frühpensionierung verweigert haben. Ihre Kunden sind mittlerweile die internationalen Mitte-Menschen, die selten deutsch sprechen. Als ich hierher zog, gab es noch Genervtheiten, mittlerweile haben sich die vier oder fünf älteren Herrschaften, die dort arbeiten, darauf eingestellt und sprechen Post-Fachenglisch.

Zu Hause angekommen, warf ich die Einkäufe in die Küche, kochte auch für mich eine Thermoskanne Hustentee und legte mich hin. Dann drehte es mich durch den Wolf. Mit Schüttelfrost, Glühen und Schwitzen.
Am Abend wärmte ich etwas auf, der Graf hatte den zweiten Tag fast nichts gegessen. Wir saßen uns am Tisch gegenüber, stocherten im Essen, wollten lieber den Kopf auf den Tisch legen, ließen die fast vollen Teller stehen und gingen wieder ins Bett.
Ich hatte noch vor, mir die Haare zu waschen, weil ich am nächsten Tag ein Vorstellgespräch hatte, aber ich hatte kaum noch die Kraft aufs Klo zu gehen, an Kopf unter die Dusche und nasse Mähne striegeln war nicht zu denken. Ich verbrachte die Nacht zähneklappernd unter drei Decken, nebenan hatte der Graf Fieberträume.

Am Freitag Morgen nahm ich Aspirin Complex, das lässt einen ja für ein paar Stunden ganz normal in der Spur laufen, man muss nur hinterher Regenerationszeit haben, denn die Energie kommt vom inneren Dispokonto. Ich malte ich mir irgendwie ein Gesicht auf, machte mir so was wie eine Frisur, zog etwas Bürgerliches an, ging den Weinberg herunter und absolvierte vollkommen neben mir, aber halbwegs korrekt (unter Vermeidung von Klinken anfassen, Hände schütteln und Distanzunterschreitung) das Gespräch. Ich wollte es nicht absagen, die Firma hatte ohnehin viele Wochen gebraucht, um sich zu melden, dann wäre die Luft ganz raus gewesen. Ich sah es auch eher als Infogespräch, denn es ging nicht um eine Anstellung, sondern um eine freiberufliche Tätigkeit auf Provisionsbasis. Ich wollte wissen, ob das für mich mit dem Zeitrahmen, den ich mir gesetzt hatte, funktionieren könnte. Alle um mich herum sind ohnehin skeptisch, denn das würde mir die Möhre komplett erfolgsbasierte Bezahlung mit (wenn auch geringen) Betriebskosten vor die Nase hängen. Ich kann das, ich bin eine sehr gute Vermittlerin, aber das hatte ich 2010 nicht umsonst aufgegeben.
Wir verblieben so, dass ich mal einen Vormittag zuhöre, wie das Callcenter dort arbeitet.
Ich habe in dem Gespräch natürlich den Burnout und meine Einschränkungen, eine volle Arbeitszeit betreffend, nicht erwähnt. So mies wie es mir gerade ging und wie ich auch aussah, wäre ein Gespräch zum Thema allgemeine gesundheitliche Einschränkungen vollkommen in die Hose gegangen. Die Frau (sehr interessante Lady übrigens, diese Geschäftsführerin, man kann mit einem Soziologiestudium auch erfolgreiche Unternehmerin werden) hätte mich wahrscheinlich für eine lebende Leiche gehalten, so was verstärkt sich ja gegenseitig.
So ging sie durch die Biografie, die nun mal keine klassische Arbeitnehmerbiografie ist und pickte sich hier und da etwas raus. Was ich ihr nur sagen konnte war: Ich habe für alles, was ich mache, einen Grund. Kohle verdienen und von der Straße weg sein, ist in der Regel nicht der einzige. Ich will etwas mitnehmen und lernen. Da kam natürlich dann auch irgendwann der klassische „Und was machen Sie dann eigentlich hier?“-Ausdruck in ihr Gesicht.
Naja, egal.
Ich ging auf dem Rückweg nach Hause noch in die Bibliothek und holte mir drei fette Schmöker.

Wieder im Bett und nach einigen Stunden Schlaf kurz aufgewacht, googelte ich. So schlecht ging es mir zum letzten Mal vor 12 Jahren, als ich mir etwas im Flieger aufgeschnappt hatte. So, wie sich diese Erkältung anfühlte, mit dem komischen Husten, den starken migräneartigen Kopfschmerzen und dem sehr hohen Fieber war das wohl eine klassische Virusgrippe. Was man halt so beim U-Bahn fahren aufschnappt. Hrmpf. Hoffentlich hatte ich niemanden angesteckt.
Dem Grafen ging es an Tag drei wieder besser und er saß zumindest für ein paar Stunden im Sessel, sah allerdings immer noch sehr elend aus. Ich konnte nichts essen und nicht lesen, sondern schlief nur, das ist ein Zeichen, dass es wirklich ziemlich ernst ist.

Am Freitag nachmittag rief mein Vater an. Leider konnte ich ihm nur begrenzt die Ohren volljammern, um bemitleidet zu werden, denn er berichtete mir, dass er die Mutter vor ein paar Stunden ins Krankenhaus gebracht hatte.
Mist. Ihr ging es schon seit Wochen nicht gut, sie fühlte sich schwach und elend und brachte das mit den Betablockern in Zusammenhang, die man ihr verschrieben hatte.
Nun muss man wissen, dass meine Mutter aus irgendeinem Grund von Ärzten nie ernst genommen wird. Sie hat nicht das sehr präsente Krankheitsdrama-Auftreten ihrer Mutter Charlotte, sondern wird, je schlechter es ihr geht, immer leiser. In der Regel bekommt sie ein beherztes „Ham sie sich nicht so und nehmse ihre Tabletten, wir fühlen uns alle mal nicht gut!“ zu hören.
In den letzten Jahren wurden ihr zweimal sofort nach dem Messen des Blutdrucks Betablocker verschrieben. Ältere Frau, hoher Blutdruck, Standardtherapie, kann nicht schaden. Nur hat meine Mutter bis auf einige wenige Ausnahmen, wenn sie beim Arzt aufgeregt ist, wenn es zu heiß ist oder so, gar keinen hohen Blutdruck. Von den Betablockern geht es ihr scheinbar nur extrem Scheiße. Es gab weder eine 24-Stunden-Blutdruck-Kontrolle noch irgendeine andere Maßnahme, mal zu schauen, was ihr Körper da überhaupt macht.
Nachdem sie in den letzten zwei Wochen dreimal beim Arzt war, wegen extremer Schwäche und Schmerzen in der linken Schulter, wurde beim dritten Mal(!) ein Blutbild gemacht . Mit dem Ergebnis, dass sie am nächsten Tag morgens um 7 Uhr angerufen und dringend einbestellt wurde und drei Stunden später im Krankenhaus war. Sie ist schwer anämisch und bisher weiß man nicht, warum.
Verdammter Mist.

Hier ging das Krankenlager weiter. Zumindest konnte ich gestern wieder etwas essen. Der Graf hatte Chicken Madras vom Inder an der Ecke geholt. Aber einfach so rausgehen ist noch tierisch anstrengend.
Ich verbrachte den Tag mit Lesen und mal kurz die Augen zumachen, worauf meist wieder drei Stunden vergangen waren. Auch der Graf schlief fast den ganzen Tag.
Man kann sich dem einfach nur ergeben, vor sich hin jammern und warten, dass es wieder aufwärts geht.
Frühstück mit den Kindern, Diner und Champagner sind nur verschoben, aber nicht aufgehoben.

7 Gedanken zu „Sonntagsmäander aus dem Plumeau

  1. Oh Frau (ach ja und oh Graf und oh Grafenschwiegermutter auch natürlich)!! Wenn es dir wieder besser geht melde dich doch mal (wegen des Zirkusrocks). Gute Besserung an alle
    Mema

  2. Ohjeh!
    Zum Ablenken lohnt vielleicht ein Blick in die „Brandenburgschau“ aus dem „Oderkaff“ von Rainald Grebe?. Z.Z. in der Mediathek des RBB. Viel Spaß – mit lachendem, aber sicher auch weinendem Auge!
    Gute Besserung!

  3. Pingback: Results for week beginning 2016-01-25 | Iron Blogger Berlin

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