Der Abstieg passiert schnell und unerwartet. Mit Mitte Dreißig stehen Frauen im Zenit ihrer sexuellen Anziehungskraft. Ein paar Jahre später interessiert sich keiner mehr dafür, ob sie auf einer Party den Raum durchschreiten oder nicht. Die magische Grenze liegt ziemlich genau bei 40 Jahren.
Ein schöner Opener eines Artikels in der Zeit.
Mittlerweile haben sich damit in meinem Umkreis Journelle, die Kaltmamsell und Das Nuf beschäftigt.
Ich überlege da eher so allgemein rum. Ich habe lange in einer Branche gearbeitet, in der sich eine Frau sagen lassen musste, wenn sie sich die Schlupflider machen lässt, dann hätte sie vielleicht wieder eine Chance auf einen Job. Andererseits waren die Klagen immer wieder laut, wenn eine nette Oma besetzt werden musste und nur noch gestraffte, gut abgemergelte Damen mit erschrockenen Kinderaugen auf dem Markt waren oder auf 35jährig eingefrorene Botox-Zombies, die keine Emotion mehr darstellen konnten.
In meinem Job musste ich Menschen mehr als einmal sagen, dass sie das, was auf sie projiziert wird, nicht mit dem verwechseln sollten, was sie sind. Wer sexuelle Anziehungskraft als Hebel und Werkzeug einsetzt, um für sich etwas zu erreichen, ist sich sicher im Klaren darüber, dass diese Kraft irgendwann nachlässt.
Wer, wie die mittelmäßig begabte, einstmals schöne junge Frau – nun eine schöne Sechzigjährige – bei jeder Gelegenheit klagt, dass der X und der Y, die vor 30 Jahren ständig Projekte mit ihr machen wollten, nicht mal mehr zurückrufen, wenn sie nun auf ihre Angebote zurückkommen will, hat den Hintergrund des Spiels nicht verstanden.
Es gibt verschiedene Strategien, wahrgenommen zu werden. Normschönheit und die sexuelle Attraktivität (Frauen) und Status und Körperpräsenz (Männer) scheinen erfolgreich, aber nicht unbedingt nachhaltig.
Denn es geht da nicht allein um nachhaltige Wahrnehmungsveränderungen bei Frauen. Die unsichtbarsten Wesen in unserer Gesellschaft sind mittelalte Frauen und mittellose Männer. So wie Frauen irgendwann gern ihr Alter verschweigen, verschweigen Männer, dass sie aus dem Beruf ausgeschieden sind und mogeln sich notorisch größer.
Was mich an dem Thema beschäftigt: Warum verunsichert es manche Menschen, wenn sie nicht mehr als Sexobjekt oder wandelnde Brieftasche wahrgenommen werden? Steckt das so tief drin? Ist es so erfolgreich und idiotensicher gewesen, dass es nie Alternativstrategien von Außenwirkung geben musste?
Wahrscheinlich steckt es sehr tief in uns. Nicht umsonst wurde Angela Merkel selbst von Menschen, die sich ohne Zögern als fortschrittlich und tolerant bezeichnen würden, „das Merkel“ und später „Mutti“ tituliert, ihr also dezidiert die sexuelle Anziehungskraft abgesprochen. Erst Macht konnte das kompensieren.
Ich kenne viele Frauen, die ein Date mit einem wesentlich einkommensärmeren Mann schnell beendet haben, ebenso wie ich viele kenne, die keinen Mann unter 1,85m kennenlernen möchten.
Sichtbarkeit einfordern? Demonstrierende untersetzte Hans-Dieters im Feinrippunterhemd, die wahrgenommen werden möchten? Wütende Klimakterikerinnen, die Anschau-Proporz durchsetzen?
Bevor ich etwas fordere, nehme ich es mir.
Ich bin vor 10 Jahren nur in einem Umfeld unsichtbar geworden: Auf den Partys der Filmbranche. Es wuchsen halt immer wieder junge schöne Frauen für den Fleischmarkt nach, vor denen die Herren ihr Rad schlagen mussten. Ich griff nicht zu Botox, sondern änderte meine Strategie. Und attraktiv isse auch noch! funktionierte eben nicht mehr als Trick, dann machen wir was anderes.
Als übergewichtige Matrone bekam ich meinen Drink an der vollen Bar noch genauso schnell (ich trieb mich aber auch weniger an Bars herum). Ich führte mittlerweile sogar bessere Verhandlungen, weil ich plötzlich auf Augenhöhe war und nicht mehr der nette Käfer. Man unterschätze nicht, wieviel Respekt eine charmante, aber knallharte Frau bekommt, die kein nettes Mädchen mehr sein muss.
Ihr müsst mit über 40 weder nette Mädchen sein, noch so tun, als wäret ihr nicht müde, wütend und erfahren.
Wer Botox trotzdem braucht, seis drum. Kompetenz, Haltung, Stil, Charisma und Herzenswärme täten es auch.
Du sprichst mir – mal wieder – aus der Seele!
Was soll ich sagen: bei Schwulen beginnt das Thema gleich noch mal 10 Jahre früher. Ab 30 wird Mann unsichtbar (auch wenn diese Unsichtbarkeit durchaus mit Geld herausgeschoben werden kann). Erstaunlicherweise geht das Leben trotzdem weiter, die Unsichtbaren wachsen ja sozusagen nach und staunen das Mann auch jenseits der 30/40/50 leben kann – sogar gut und ohne Wettbewerb. Ich für meinen Teil fühle mich irgendwie so gar nicht unsichtbar.
Ach herrjeh. Was bin ich froh, dass ich sowieso nie zu den Sichtbaren gehört habe und insofern schon immer auf andere Arten gesetzt habe, wenn’s darum geht, meine Dinge durchzusetzen. Und je älter ich werde, desto unbeeindruckter lässt mich dieses ganze „Theater“. Ich seh mich und was ich sehe gefällt mir heute besser als noch vor 10 Jahren. Ganz ohne Botox.
Schöner Text.
Ja, Augenhöhe ist sehr sexy. Männer, die das nicht so sehen, sind ohnehin nicht die richtigen.
Mitte Dreißig? Wohl eher Mitte Zwanzig.
Kann ich so nicht bestätigen. Mein bestes Jahr in der Hinsicht war mit 35.
Wenn das Stammhirn im Manne spricht oder nur geschaut wird, ob Bildchen, Filmchen oder im RL, stimmt das sicher mit dem Mitte 20. Wenn darüber hinaus ein Minimum an sozialer Interaktion stattfindet, dehnt sich das aus. Man muß ja auch irgendwie über den Altersunterschied hinweg kommunizieren können.
Frauen geht es nicht anders im Hinblick auf Männer. Die „sei schön, mach einfach mit, aber halt den Mund und geh mir hinterher nicht auf die Nerven“-Phantasie ist nicht geschlechtsspezifisch.