Wir blieben noch eine weiteren Tag in Görlitz. Die reizenden älteren Wirtsleute hatten in ihrem großbürgerlichen Haus eine Ferienwohnung von der Größe eines Tanzsaals für uns reserviert. Der Graf kehrt dort seit 10 Jahren immer mal ein und wie das so ist, älter werdende Leute werden … nun ja, spezieller. Die Wirtsfrau hatte nunmehr alles mit kleinen beschriebenen Zetteln bepflastert. Wo die Feuerschutzdecken sind, falls der Fernseher brennt, daß die Fenster beim Verlassen der Wohnung zu schließen sind, wie der Müll zu trennen ist und im Bad stand ein Schrank, dessen Fächer mit „Lack, Zähne, Make up, Haare“ beschriftet waren. Morgens hingen frische Brötchen an der Klinke und kopierte Kulturtipps mit Markierungen.
Unser Frühstück nahmen wir gestern in einer großen Konditorei ein. Mit uns saßen und aßen viele postklimakterische Damen in Beige. Alle unter 35jährigen Frauen – die Bedienung, Passantinnen – trugen ganz, ganz grausame Bicolorfrisuren.
(Was hier und in anderen Cafés auffiel: Massen von Stühlen um ganz normale Tische, viel zu viele, gemessen an der Zahl der Gäste, man kam kaum durch.)
Dann fuhren wir übers Land nach Oppach, dem Geburtort meiner Großmutter. Während es morgens noch Strippen regnete, klarte es mittags auf und gingen in die Berge, hinauf auf den Bieleboh. Das muß man wissen: In dieser wendischen Gegend ist alles voller Geister und Magie und die Chefs sind die zwei Berge Czernebo und Bieleboh – schwarzer Gott und weißer Gott. Wir stiegen auf den Aussichts-Turm, ich fluchend, weil immer noch mit dem Tempo eines gestrandeten Walrosses unterwegs. Aber die Mühe lohnte, wir wurden mit dem Anblick eines Regenbogens belohnt. In der Bergschänke am Fuß des Turms feierte derweil ein Bus fröhlicher beigefarbener Rentner. Eine der Omis, mit 80er-Jahre Tweedjackett von Quelle und Spuckelöckchen-Dauerwelle, nahm immer mal ihr Piccolöchen aus der Handtasche und trank einen Schluck, das spart ungemein Geld.
Wir fuhren im Abendlicht nach Bautzen und sahen uns etwas um. Bautzen ist zwar nur 40 Kilometer entfernt, aber ganz ganz anders als Görlitz. Beherrschender Stil ist trutziger Barock und die Subventionen fließen nur im normalen ostdeutschen Modus. – Ergebnis: Die Leute sind fitter. Moderner und städtischer wirken sie auch. Oder sind das die 50km näher zu Dresden?
Ich hatte ja mal den Traum, in einem der Häuser an der Spreekante zu wohnen…
Heute ging es weiter nach Jonsdorf, nächste Wurzel. Hier schaffte es tatsächlich der größte Nazi meiner Familie – nachdem er als fetter Kriegsgewinnler und an der Heimatfront unabkömmlicher Unternehmer wegen Abhören von Feindsendern im Knast gelandet war – Bürgermeister von russischen Gnaden zu werden. Allerdings nur für kurze Zeit.
Auch hier stiegen wir den ganzen Tag in den Bergen herum. Mir schmerzen so was von die Füße. Aber Spaß machts. Und das Örtchen ist schön, mit Schmalspurbahn, hübschen Umgebindehäusern und fast schweizerischer Sauberkeit und Akkuratesse.
Fragt sich nur, warum man in Gegenden, wo man um jeden Touristen froh ist, alles mit Parkuhren zupflastert. Selbst autoleere Parkplätze am Waldesrand kosten was. Idiotisch.
Gerne gelesen, Frau Kitty !
PS: Wie muss man sich den Bicolorlook vorstellen ?
Danke! Bicolorfrisur ist so etwas: http://img218.imageshack.us/img218/8674/frisur004kd8.jpg
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