Heute mache ich mich noch auf den Weg ins Oderkaff zum Klassentreffen.
Es findet bezeichnenderweise nicht mehr im Städtchen selbst statt, sondern im landschaftlich schöneren Nebenort. Die, die geblieben sind, haben ohnehin alle außerhalb der Stadt Häuser gebaut.
Ich bin gespannt und neugierig. Vor 10 Jahren waren sie alle auf den Höhepunkt ihrer Karriere, vor 5 Jahren gab es die fiesen Scheidungen und jede Menge stille oder laute Midlifecrisis (in der Fraktion befand ich mich), dazu dicke Bäuche und erste graue Haare. Mal schauen, was mich dieses Jahr erwartet.
Das Niveau der Gastronomie ist mitgewachsen. Bei ersten Treffen (da war ich nicht dabei, weil ich mich zu dick fühlte, Weiber eben) waren wir noch in einer Ost-Style-Kneipe mit Tanzsaal und die Leute wurden um 12 rausgeschmissen, weil das Personal Schluß machen wollte und das Buffet war um 8 abgeräumt und wurde zu Soljanka verarbeitet, wer dann noch was essen wollte, mußte a la carte bestellen. Beim zweiten dann in einer Kantine der Wirtschaftsförderungsgesellschaft, in the middle of nowhere gelegen, das mit Aufbau-Ost und EU-Subventionen errichtet wurde. Beim dritten trafen wir uns in einem denkmalgeschützten Speicher, der mitten in der Stadt eine Art Szenekneipe beherbergt. Nun also der gediegene Italiener am See.
Ansonsten rast die Zeit sehr unangenehm. Ich bin brav und arbeite nicht mehr als 3 Stunden am Tag, aber es schafft sich nicht viel, meist ist es Papierkram.
Die Stadt ist, wie immer kurz vor Mittsommer, nachts zum Heulen schön und summt wie ein Bienenstock. An der Barnimkante sind von sechs Uhr abends bis zwei Uhr nachts mehr Menschen unterwegs als am Tag.
Ach und Fußball: Der Graf hat eine „damit könnse auch mitreden“-WebApp geschrieben. Falls sie kurz vor einem Spiel gerade entdeckt haben, daß Ihre Freundin kein Höschen trägt und sie daher etwas abgelenkt sind… (Der Konflikt hat doch die Dimension einer antiken Tragödie, oder? Nicht poppen=kein Mann. Kein Fußball schauen=kein Mann.)
Und, wie hat dir der Laden am See gefallen?
Sehr gut! Vor allem der Blick von der Terrasse auf den See. Das Essen ist ok. (mit den üblichen Tributen an den ostdeutschen Provinzgeschmack, Sahnesoße, Kartoffelbeilage und so), die Bedienung fit, ich war angetan.
Das Örtchen läuft in Sachen Service und Attraktivität dem Oderkaff ohnehin längst den Rang ab. Wollte ich in der Gegend bleiben, würde ich an den See umziehen.