Das Kind hat mir vor Monaten schon eine wunderbares Geschenk gemacht, Konzertkarten für Calexico.
So stiefelte ich denn gestern Richtung Columbiahalle, holte mir einen Drink im Plastikbecher und harrte der Dinge, die da kommen sollen.
Die Begleitung stand im Stau und kam später und ich schlug die Zeit tot. Beobachtete die anderen Konzertgänger: alles da, vom Studienrat, über die Tangotänzerin in den besten Jahren mit zu rotem Lippenstift bis hin zu jeder Menge Jungvolk, nicht die Trainingsjackenträger mit den Koteletten, aber jede Menge bunte Motto-T-Shirts, zaghafte Vollbärte und schwarze Kassengestelle waren unterwegs.
Nachdem eine Stunde nichts passierte, ich aß inzwischen eine Bratwurst, kam eine Lady im Morgaine-Outfit mit E-Gitarre auf die Bühne. Sie begann zu singen, so wie sich die Cranberrries an den schlechteren Tagen anhören und wenn sie nicht sang, haute sie Death-Metal-mäßige Gitarrenbretter in den Raum. Nicht schlecht, aber auch ein bißchen schräg, vor allem erzählte sie zwischen den Songs immer wieder, wie schrecklich aufgeregt sie sei.
Ich dachte so bei mir, aha, das ist also die Vorband und wartete. Nach einer weiteren Stunde füllte sich die Bühne. Blasinstrumente. Oh, aha, die Herren reisen mit Mariachi? Wie Mexikaner sahen sie allerdings nicht aus. Es war waren Boban i Marko Markovic, eine Gipsy-Brass-Kapelle. Die Jungs fingen mit richtig viel Schmackes an zu spielen und die bunten Motto-T-Shirts gingen dazu ab. Neben mir hatte sich während der Wartezeit so ein Grüppchen aufgebaut. Ein dünnes blondes Mädchen, das mir ganz aufgeregt auf den Füßen herumhibbelte und den spitzen Ellbogen in die Rippen rammte. Ein Pärchen, von dem man nicht viel sah, weil sie ständig knutschten und ein Bierholer mit knatschgrünem Shirt, rotem Vollbart und – Kassenbrille. „Ey hier sind echt nur Idioten im Saal!“, schrie er dem bloden Mädchen zu und „Ich glaub wirklich, ich bin der Lockerste in unserer WG!“, hinterher sah er sie beifallheischend an. Aber Blondie war viel zu aufgeregt, um überhaupt zu reagieren.
Erstsemester. Kommen aus der Provinz und kennen die Berliner Clubs noch nicht. Calexico? Da war doch die Werbung auf Radio1, das ist doch so was Weltmusikmäßiges, da hat doch Mutti mal davon geredet. Und Calexico das ist also so ein Balkanbeat? Wußt ich garnicht, daß Mutti so coole Musik hört. Sie freuten sich, sprangen und wedelten mit den Armen. Der Vollbart im grünen Shirt war sehr bemüht, sich in der Nähe der aufgeregten Blonden aufzuhalten.
Ich amüsierte mich weniger. Die Musik der sozialistischen Bruderländer war allenthalben Ersatz für kapitalistische Westmusik. Ich kannte alle Titel, jeder russische Dorfbums lebte früher von drei Trompeten und einer Trommel und jedes rumänische oder bulgarische Urlaubsradio spielte Gipsy-Brass als Abwechslung zu inländischen Schlagern. Für mich fehlte der Reiz der Exotik. Ich fand es anarchisch, fröhlich, virtuos, aber das sind die Zillertaler Schürzenjäger, so rein kulturkritisch betrachtet, auch.
Also stand ich spaßbremsenmäßig mit verschränkten Armen herum und wenn ich hibbelte, dann nur, um nach drei Stunden Stehens meine schmerzenden Knie und den verspannten Rücken wieder einigermaßen hinzukriegen.
Dann endlich, weit nach 10 Uhr. Ich habe ja immer Schiß, daß sich Musik, die ich mag, live als Flop erweist. War aber nicht so. Synthetische Musik, aus Versatzstücken montiert und zugleich total lebendig, eine eigene Welt schaffend wie ein Roadmovie.
Die bunten T-Shirts zucken die Schultern und sahen sich ratlos an.
„Ich dachte, das waren sie schon!“, sagte die aufgeregte Blonde vorwurfsvoll. Der Typ im grünen Shirt gestikulierte: „Nee, ja, kann man nicht so genau sagen, irgendwie!“ Dann meinte sie: „Irgendwie stört meine Tasche hier.“ Ja, ich war schon ein paarmal fast draufgetreten. Hoffentlich war kein Laptop drin. Der Typ trug sie dann den Rest des Abends und dafür durfte er ihr sogar den Arm um die Schulter legen…
Fazit: Das lange Warten hat sich gelohnt und ich muß heute unbedingt noch die CD kaufen.
Ach und die schräge Braut mit der E-Gitarre wra die Geigerin der Band, die mal was neues ausprobieren wollte…
Und ich dachte, bei einer Band wie Calexico könnte publikumstechnisch nicht allzuviel schief gehen…
REPLY:
dachte ich auch. die heutige jugend eben…
Vor acht Jahren habe ich mir einmal erlaubt, meiner damaligen Lebensgefährtin gegenüber etwas Kritisches über Calexico zu erwähnen. Das hat viel Porzellan zerschlagen.
Ich würde nicht extra ein Konzert von ihnen besuchen, aber die Gruppe habe ich nie mehr vergessen;)
REPLY:
ach, gegenüber kritischen äußerungen meines derzeitigen lebenspartners zu meinem musikgeschmack bin ich resistent.
calexico war in dem fall mal „was ist denn das für ein depressiver blödsinn?“ und wurde zu „wow, geile musik!“.
(ich schreib jetzt mal nix davon, daß er versucht hat, mich mit enigma flachzulegen…)