„… ,das ist ein Leben im Überwachungsstaat, in einer Diktatur des Guten.“
Vor drei Jahren saß eine Runde Menschen von 30 und 40 um einen großen Tisch und feierte. Einige hatte an diesem Abend einen Babysitter bestellt, andere laborierten immer noch an der Suche nach dem idealen Partner.
Dann begann S. von seinem gesundheitlichen Problem zu erzählen. Er war auf der Straße umgekippt, einfach so, als er auf dem Weg von einem zum anderen Termin war und anschließend noch zum Training gehen wollte.
Da er alleinernährender Familienvater ist (seine Frau hat ein Medienstudium nach dem 4. Studienjahr wegen der ersten Schwangerschaft aufgegeben) und sich in seiner beruflichen Position langes Kranksein überhaupt nicht erlauben kann, blieb er zwei Tage im Krankenhaus und ließ sich mit allen technischen Hilfsmitteln durchleuchten. Man fand nichts. S. machte dazu die launige Bemerkung, er hätte sich endlich mal ausschlafen können und der größte Genuß wäre es gewesen, daß seine Frau ihn ohne die Kinder besucht hätte. Sie hätten endlich ein paar Stunden allein füreinander gehabt.
Ich war erstaunt und fragte nach. Die Kinder waren damals 1 und 3, da kann man sich zumindest morgens mal eine Stunde reservieren und die Kinder noch etwas allein spielen lassen, wenn sie bei ersten Aufwachen trockengelegt wurden.
S. verneinte. Das ginge garnicht. Er könne die Kinder auf keinen Fall ohne Aufsicht lassen. Letztens hätte der Große versucht, das Baby am Kopf zu tragen. Wenn er wüßte, daß die Kinder ohne Aufsicht wären, hätte er keine ruhige Minute. Und da sich seine Frau auch einmal ausruhen wolle, stehe er am Wochenende eben zwischen 5:30 und 6 Uhr auf, um mit den Kindern zu spielen und sie zu beaufsichtigen.
Ich fragte ihn, wie er es gefunden hätte, wenn seine Eltern in seiner Kindheit jeden seiner Schritte beaufsichtigt und moderiert hätten.
S. antwortete spontan: „Grauenvoll!“, er wäre froh gewesen, wenn er allein Sache ausprobieren konnte, die ihm ansonsten wahrscheinlich schon beim ersten Handgriff untersagt worden wären.
Aber heute wäre das eben anders. Die Kinder wären das Wichtigste, sie könnten es sich garnicht erlauben, bei ihrer Erziehung Fehler zu machen.
Im Hintergrund lächelt milde seine Frau…
da gibts grad nen schönen artikel zu im spiegel…
die armen kids!
Oh, zu diesem Thema könnte ich auch Romane schreiben … Allein schon die Vorstellungen von meiner Ex und mir gingen da weit auseinander. Dann die großen Sorgen durch die Geburtskomplikationen usw. usw. Zweisamkeit? Nich bei uns …
zum thema:
http://schussel.wordpress.com/2009/07/30/alles-nach-plan/
ich bin einzel- und schlüsselkind. meine eltern haben sich um mich gesorgt, aber vor allem zum glück relativ in ruhe gelassen. mit dem ergebnis bin ich recht zufrieden. trotz eines miserablen abi habe ich mich irgendwann durchgewurschtelt und aus reinem interesse auf der von mir so gehaßten „karriereleiter“ mehr erreicht als manch einer, dessen „erfolgschancen“ zwischenzeitlich mal besser aussahen.
ich glaube der grund dafür liegt darin, dass ich gut mit menschen kann. es ist sicherlich weniger die genialität, die mich dahin gebracht hat, wo ich stehe. ich mag keine aufgestülpten verhaltensweisen, keine beschneidung meiner meinung und strebe vor allem nach maximaler beruflicher freiheit unter den wirtschaftlichen bedingungen, die ich mir ausgesucht habe [„so, den standard habe ich, das reicht.“]. man kann erfolg bei kindern nicht planen und fördern, ich halte das für totalen irrsinn [man kann allerdings sicherlich die chancen durch vernachlässigung mindern]. es gab viele weichen, an denen ich die falsche richtung hätte nehmen können.
da ist soviel zufall, glück und wagnis im spiel … und, was man nicht vergessen darf: das spiel dauert solange bis der schiri abpfeift. bezogen auf ein leben heißt das im zweifel mehrere jahrzehnte. wer bitte will die vorausplanen? vor 30 jahren auf bergbauingenieur gesetzt? eine echte granate geworden? herzlichen glückwunsch!
das einzige was man kindern beibringen sollte ist der umgang mit der umwelt. selbstvertrauen, soziale regeln, zusammenhänge erklären, eigenen willen fördern aber nicht allem voranstellen [also auch grenzen zeigen und erklären] – und vor allem nicht den willen der eltern aufoktroyieren. am ende wird das kind eh machen was es will. blöd, wenn das dann nicht mit dem angedachten lebensplan übereinstimmt.
man, ich kann mich da manchmal garnicht mehr beruhigen …
REPLY:
mütter und söhne ist eine ganz spezielle sache. der bessere, unschuldigere, formbare mann.
REPLY:
ja. ich war auch erst ein garten- und straßen-, später ein schlüsselkind.
ich glaube in diesem pendeln zwischen den autoritären ansprüchen der eltern, den (mitunter absurden) grenzen, die sie einem vorgaben und der freiheit und leere der nachmittagsstunden, die es zu füllen galt, da hat persönlickeitsentwicklung bei mir stattgefunden.
die vorstellung, daß jemand permanent hinter mir her ist, jeden rülpser lobt und mir ständig angebote macht, finde ich beängstigend.
REPLY:
ja, hab ich gerade gelesen. grauenvoll.
REPLY:
… vor dem „beibringen“ steht für mich, gerade da es um kleine kinder, babys geht, die laut spiegel, zeit etc. überfördert werden, (bedingungslose) liebe und vertrauen. und das gibt es in keinem ratgeber, da muss jeder (allein) bei sich selbst anfangen.
REPLY:
die frage ist nur, was ist bedingungslose liebe? das ist mir zu schwammig. das kann die mutter sein, die ihrem kind 20 euro gibt, damit es sich drogen kaufen kann.
REPLY:
nein. bedingungslose liebe heißt für mich – in diesem thematischen zusammenhang: wenn mein baby keine freude am planschen im wasser hat, lasse ich das babyschwimmen sein. wenn es später lieber malen will statt lesen, dann malt es eben. das mit dem lesen wird schon klappen, irgendwann. die orientierung für einen vermeintlich richtigen zeitpunkt mag man sich vielleicht im groben von außen holen, aber ansonsten gibt das baby / kind das tempo vor. und es ist vor allem unwichtig, was die kevins und jan-lucas aus der nachbarschaft können und machen oder nicht. sprich: baby / kind wird geliebt, unabhängig davon, wie es im entwicklungsranking in der krabbel- oder sonstwasgruppe dasteht.
Wenn ich sehe, wie die Kinder von heute verhätschelt und – vermeintlich – von allen Seiten verwöhnt werden und quasi keinen Schritt mehr allein vor die Tür tun dürfen, dann könnte ich auch das kalte Grausen kriegen… ich werde aber den Teufel tun und mich irgendwo in die Erzeihung einmischen – allerdings wünsche ich den Eltern, daß sich das früher oder später an *ihnen* rächt (die unselbständigen Kids tun mir auch wieder leid, die können ja nichts dafür) und ihnen die Brut gehörig auf den Nerven herumtrampelt – sie haben es ja nicht anders gewollt.
Ich frage mich, wie wir als Kinder ohne Mobiltelefon überlebt haben, so ganz allein mit dem Rad im bösen bösen Straßenverkehr – OK, zugegebenermaßen waren damals hier auch noch nicht so viele Deppen unterwegs, bei deren „Fahrkünsten“ man annehmen muß, daß sie gerade vor 10 Minuten vom Eselskarren auf motorisierte Gefährte umgestiegen sind (Linien auf der Straße sind ja nur dazu da, damit die schöner aussieht, und an roten Ampeln zu halten ist ja sowas von 1980…) – aber trotzdem: Wir waren einfach draußen. Den ganzen Nachmittag. Ohne Aufsicht. Und sind allein ins Kino gefahren, oder mal auf den Berg, oder zur Schule. Eigentlich müßten wir alle tot sein, wenn es nach den paranoiden Eltern von heute ginge…
da gabs doch diesen Fischfilm: Findet Nemo. Da hat dieser irre blaue Fisch sich so nett gewundert, als der Vater meinte, dass er nicht wollte, das dem Jungen was passiert. Die Antwort: aber dann passiert ihm ja nie etwas.
so ischs mit den Blagen. Manche Erfahrung muss man halt selber machen. Übereltern drehen irgend wann mal durch.
REPLY:
ich wäre auch zehnmal tot gewesen. kindliches rumstreunen in der nähe einer russenkaserne! jeden nachmittag ohne aufsicht!
ich möchte nicht wissen, welche deformationen diese kindliche einzelhaft erzeugt.