Zwischenstopp in Kalisch
Am letzten Morgen in Srodka begann es zu regnen und kühlte sich ab, wir fuhren los in Richtung Süden und hielten in der Stadt Kalisz. Übrigens der Heimat der Mutter von Charming Liisa. Wir waren letztes Jahr schon einmal dort und ich erinnere mich an Kälte, Regen und allgemeine Tristesse. Auch dieses Jahr regnete es wieder und wir parkten in derselben Straße, bei der ich letztes Jahr Angst hatte, dass dort in einer halben Stunde das Auto ausgeräumt ist. Diesmal warteten wir, bis ein Auto mit komischen jungen Männern weg war und sahen, dass alle Gebäude der Straße Überwachungskameras hatten, also ein guter Platz zum Parken.
Der ausgestorbene Marktplatz hatte sich etwas erholt. Es gibt wieder wie überall die Einzelhandelsgeschäfte, aus denen die Polin von Welt ihre schicken Outfits bezieht. Überhaupt sahen wir, als wir im Café saßen, Frauen jedes Alters und jeder Figur schick zurechtgemacht und gepflegt vorbeilaufen. Nur manchmal und in einigen Gegenden fällt auf, dass die Frauen meiner Generation sehr fertig aussehen. Kein Wunder, die 80er und 90er waren eine sehr harte Zeit hier, wenig zu essen, knappe Versorgungslage, schlechte Wohnbedingungen und politische Wirren mit Internierungen. Manchmal muss man sich bewusst machen, um wie viel besser es wir Ostdeutschen hatten. (Wir haben einen Preis dafür gezahlt, unbenommen, denn was ich hier in Polen nicht sehe, sind sozialer Hospitalismus und verdruckste Leute.)
Wir schlenderten noch etwas durch die Stadt und entdeckten einen Stoffladen, die Preise sind auf Maybachufermarkt-Level und es gab gute Seide zum Preis von 8-11 Euro das Meter. Nun ist der Graf momentan Gott sei Dank auch Stoff-Addicted und wir gingen mit einem guten Paket dort raus.
Waldidyll in Antonin
Dann fuhren wir unter Vermeidung der stark frequentierten Landstraßen weiter über die Dörfer und kamen am frühen Abend in Antonin an. Im vorigen Jahr hatten wir ja Pech, da war das Schloß eingerüstet und wurde renoviert, aber diesmal bekamen wir ein Zimmer.
Der Bau ist wirklich außergewöhnlich und etwas verrückt, wie vieles, was Schinkel mal eben aufgemalt hat. In der Mitte des Blockholzbaus steht ein achtseitiger, vier Stockwerke hoher Turm mit innen umlaufenden Galerien, wie ein Gasometer, nur dass in der Mitte ein schornsteinartiger Kachelofen eingebaut ist, der ist wiederum mit Hirschtrophäen verziert (so in der Art,
jetzt weiß ich, wo der Art Director das her hatte). Das Erdgeschoß ist der Speisesaal. An vier gegenüberliegenden Seiten sind an den Turm drei Stock übereinander gestapelte Blockhütten angebaut, die Gästezimmer, die über die Galerien betreten werden können. Das Gebäude war in Vollholz ausgeführt, aber ich hatte letztes Jahr den Eindruck, da ist nicht mehr viel Original dran, denn unter der für die Renovierungsarbeiten abgenommenen Holzverschalung sah ich Steine. Zumindest war unser Zimmer im 3. Stock sehr authentisch schief.
So schön es ist, in so einem Kleinod zu logieren, der Brückenschlag zwischen Museum, Kulturerbe und mit kommunalen Angestellten bewirtschafteten kleinem Hotel und Restaurant bringt Kompromisse mit sich. Nach dem Frühstück, das eher so sehr meh war und dem Kaffee, von dem ich hätte eine ganze dieser Riesenkannen trinken müssen, um auf mein normales Koffeinlevel zu kommen, saßen wir noch etwas auf den unteren Sofas, denn nur hier gab es WLAN (das heißt, WLAN gab es im ganzen Haus, denn bis in die oberen Stockwerke gab es winzige Büros, das war nur nicht zugänglich für die Gäste). Als wir da so saßen, kippte man eine ganze Busladung beiger Rentner über uns aus, die uns wahrscheinlich gleich als Homo Sapiens digitalicus var. apple mit besichtigten. Das ist nun mal so, aber die Location ist nicht groß, das wird ordentlich eng. Für die Besichtiger war das ok., die setzten sich auch zu fünft auf eine Bank und unterhielten sich, obwohl zwei Meter daneben links und rechts eine weitere Bank stand. Ich floh in den Park, der noch regenkühl und feucht war und erwischte sogar hinter dem Teich einen Streifen WLAN, bis mich die elefantengroßen Mücken entdeckten. Später saß ich strickend auf einer Bank in der Sonne und zwei kleine Mädchen schauten mir gebannt zu. Die Mutter und ihre deutsch sprechende Freundin fragten mich aus, was ich mache, die Mädchen hätten sich nicht zu fragen getraut – und so machte ich mitten in Polen Werbung für den Me Made Mittwoch und erfuhr, dass auch hierzulande der Handarbeits- und Werkunterricht abgeschafft sind.
Sprung zurück in die Kindheit
Am Nachmittag bekämpfte ich meinen inneren Schweinehund und wechselte mit dem Grafen auf die andere Straßenseite, um im angrenzenden See zu schwimmen. Was wir im Wasser erlebten, das wird ein extra Thema in der Freistilstaffel mit dem Titel „Das Unbekannte unter dir“ (verlinke ich, wenn es fertig ist). Hier nur kurz: Der Graf lernte im dritten Beziehungsjahr eine ganz neue, vollkommen emotionale Seite an mir kennen, die sich vor allem in der ständigen nachdrücklichen Aussprache der Worte „Ist. Das. EKLIG!“ und „Ich will sofort zurück!“ manifestierte.
Ein Seeufer war mit einem Bungalowdorf im alten Stil bebaut, dem man eine EU-finanzierte Steganlage spendiert hatte, dazu kamen die üblichen bunten Plastiktretboote. Wie alle alten und etwas aufgehübschten Urlaubslocations, die wir bei unserer Fahrt sahen, war auch diese fast leer. Wer Geld verdient, fährt wahrscheinlich ins Ausland und nicht an die Orte seiner Kindheit. Ich stelle immer wieder fest, Polen ist wie Ostdeutschland -20 Jahre, da versuchte man in McPomm auch mit etwas Fassadenkosmetik und neuen Preisen Business zu machen.
Die Bungalows schickten mich in meine Kindheit zurück. Ein grün veralgter See an einer Landstraße, eine von Trinkern belagerte der Verkaufsstelle in man trockene Kekse und – so lange der Vorrat reichte – Bier, Limonade und Bockwurst mit trocken Graubrot von muffigen Verkäuferinnen gereicht bekam. Diese winzigen Hüttchen im Kiefernwald, der sich bei Regen in eine Schlammwüste verwandelte, vollgestellt mit wackelnden Betten und wenig mehr. Das Gegröle der besoffenen Nachbarn. Mensch ärger dich nicht bei Regen (und es regnete oft). Die stinkenden, dreckigen Plumpsklos und die Waschräume und Dusche die nur abends warm war, ein paar hundert Meter entfernt. Das kannte ich von Rügen, dem Feldberger Land, aus Charkow, Sotschi, irgendwo in Rumänien und der Slovakei. Da schüttelt es mich heute noch. Dann lieber mit dem Zelt auf der Kraxe trampen.
Diner im Kühlen
Am Abend aßen wir sehr guten Kaninchenbraten und am Nebentisch fand ein deutsch-polnisches Business-Essen statt, mit viel Wodka natürlich. Irgendwann fiel die Frage: „Warum tut ihr euch so schwer, mit uns Geschäfte zu machen?“ und die Antwort war: „Wollen wir ja, ihr habt unheimlich viel erfahrene Leute. Aber ihr seid nicht genau. In eurem Vorschlag war ein Posten, der hatte eine Toleranz von einem Meter. Das geht nicht!“ Ich erfuhr leider nicht, um was für ein Geschäft es sich handelte und ob die Toleranz von einem Meter nun Korinthenzählerei oder relevant war. Der deutsche Verhandler sah komischerweise nicht genau aus, mit seinem semigebildeten Rumhänghabitus und dem nach hinten gedrehten Basecap, der polnische um so mehr, das war eine korrekter, studierter Betriebsleiter. Ich glaube, wenn erstmal durchgedrungen ist, dass der Meter Toleranz wichtig ist, kann sich Deutschland warm anziehen. -20 Jahre, die Konkurrenz muss nur etwas aufholen.
Wir saßen später drinnen, draußen rauschte der dichte dunkle Wald und ich beglückwünschte mich dazu, dass ich spontan beim Packen nach dem tibetischen Yakwollplaid gegriffen hatte, das ich sonst nie brauche, so war mir wunderbar warm.
Am nächsten Tag würde es vom Land in die Stadt gehen, aber das ist eine neue Geschichte.
Den Post des Grafen, wie immer mit wunderbaren Fotos, da kann ich nicht gegen an, kann man hier und hierlesen.
Meine Adoptivmutter wurde in Kalisz geboren und hat ihre ersten Lebensjahre dort verbracht, bevor sie zusammen mit der Familie vor den Russen gen Westen fliehen musste. Viele Jahrzehnte später ist sie noch zwei- oder dreimal zurückgekehrt.
ich habs mit Link in den Text aufgenommen, wenn dir das recht ist :)
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Das hatte ich nicht im Sinn, als ich kommentierte, aber ist okay, denke ich. Meine Mutter ist ja mittlerweile verstorben.
Ich kann es gern wieder rausnehmen, wen dir das zu nah ist. :)