In einer Woche

Manchmal ist Zeit das, was wir wie Kaugummi am Schuh kleben haben. Es ist da, erinnert uns mit jedem Schritt daran, wie wir am Boden haften und wir können es nicht so einfach abschütteln.
Am Montag zog ich mich aus der Kampfzone zurück, am Dienstag traf ich Madame Modeste zum Lunch, der Mittwoch war turbulent, der Donnerstag diente zum Luftholen vor den zwei Seminartagen und schon stand ich Freitag und Samstag vor den Studenten.
Am Freitag abend stürmte ich die Apotheke am Prager Platz. Ich wollte noch schnell ein Rezept einlösen, weil ich mein morgens zu nehmendes Schilddrüsenhormon nicht fand. Ich war ohne Bargeld, nur mit einer Kreditkarte und einer ec-Karte mit vergessener Geheimzahl bewaffnet, das war dem Apotheker doch zu windig, auch wenn er das Geschäft gern gemacht hätte. Ich ging knurrend in die untere Etage und kaufte mit Kreditkarte mein Abendbrot zusammen. Als ich vor der Tür mein Rad losschließen wollte, leerte ich fluchend den Inhalt meiner Tasche aufs Pflaster, doch der Schlüssel fand sich nicht. Ich ging zurück in die Einkaufspassage. Die Apotheke, in der ich ihn liegengelassen hatte, war inzwischen geschlossen.
Ich rechnete mißmutig die Schadensbegenzung durch. Öffentliche Verkehrsmittel gingen nicht, mangels Geheimzahl. Taxi in den Wedding zur Tochter für den Zweitschlüssel war zu teuer. Der Mann war beim Regattasegeln auf dem Wannsee und ging nicht ans Telefon.
Ich lief grummelnd nach Charlottenburg und setzte mich in die Leibnizklause, nachdem ich eruiert hatte, daß auch das Hotel, in dem der C-Burger Zweitschlüssel hängt, schon nicht mehr besetzt war. Ich aß aus lauter Verzweiflung ein Schnitzel mit Bratkartoffeln, trank ein paar Bier und sah mir das Spiel Hoffenheim-Schalke an.
Nebenan gab es zwar einen Italiener, indem ich weitaus bekannter war, nur der nahm keine Kreditkarten und der Mann hatte neulich mal wieder einen seiner Schwüre getan, dort nie wieder reinzugehen, weil er die Weinpreise zu hoch fand. Später sah ich, daß auch noch Freude vom Mann dort saßen, mit denen er sich auch ob diverser Umstände und Launen überworfen hatte. Ich hatte weder Lust, zu erklären, daß ich gestrandet war, noch mir helfen und damit mich ausfragen und bemitleiden zu lassen.
Keine Lust auf Kampfzone, keine Lust auf Reden, ich sehnte mich nach Schweigen, Entspannung und Hinlegen, da ließ ich mir lieber in Halbstundenabständen ein Bier bringen.
Gegen neun Uhr ging der Mann ans Telefon und löste mich um halb zehn Uhr aus. Ich konnte vom Bier betäubt ins Bett fallen, um am nächsten Morgen pünktlich zur Öffnungszeit der Apotheke den Schlüssel abzuholen und schleunigst in Richtung beginnendes Seminar zweiter Teil weiterzuradeln.

Nebenbemerkung: Wieder was gelernt. Über die Möchtegernalphas, die glauben, die Umgebung mit ihren Anweisungen und Erklärungen kontrollieren und steuern zu können. Dabei müßten sie nur mal aufhören zu reden und schauen, wer ihnen da eigentlich gegenüber steht. Manchmal ist zuhören und sich einlassen wesentlich entspannender und erfolgreicher. Aber solange ihre Köpfe noch Wände durchbrechen können, sitzen sie mit eh man es sich versieht festgezuzelt in Führungspositionen und nerven von dort aus die Welt.

Ich bekomme im Lehren langsam Routine und es ist toll, ein weiteres Mal ein überwältigend positives Feedback zu bekommen.
Auch der dritte im Bunde, unser Künstler, groovt sich lagsam ein. Wir kennen uns schon sehr lnge, aber zum ersten Mal erlebe ich, wie wenig er sich für zeitgebundene und ergebnisorientierte Teamarbeit eignet.

Der Abend brachte göttliche Marillenknödel im Dritten Mann. Ein Lokal, dessen Küche jenseits dieses Gerichts zu ambitioniert und dann doch zu wenig perfekt ist. Zudem nervt es mich, daß der Service bei so gut wie leerem Lokal einen Riesentanz aufführt, man hätte reservieren sollen, einem dann doch einen Tisch gibt und der Raum ud die Terrasse bleiben den ganzen Abend halbleer. Wenn die Küche nicht so viel schafft, sollten sie einfach ein paar Tische rausnehmen.
Der Grüne Veltliner war zu warm, aber Herrgott… so ist das Leben.

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5 Gedanken zu „In einer Woche

  1. jööö…. diese woche hat es in sich gehabt. stoffe für mehrere wochen, wie ich finde :-)

  2. Gibt es andere als „Möchtegernalphas“? Wenn „alpha“ nicht nur bedeutet, die meiste Kohle für sich selber rauszuschlagen.

  3. REPLY:
    das war wirklich grenzwertig. aber jetzt ist ja eine neue woche…

  4. REPLY:
    nee, es gibt auch unfreiwillige alphas.
    ich habe einen freund, der, sobald der mit einer gruppe leute ankommt, sofort als der boß behandelt wird. – was ihn immer wieder zum lachen bringt, weil ihm nichts ferner liegt.
    er ist halt groß und stattlich.
    ich glaube, alphas, ob möchtegern oder echt, geht es nur in zweiter linie um kohle sondern um macht und einfluß.
    dashalb sind sie ja auch die chefs der herden, rotten, rudel.

  5. REPLY:
    Ja, ich hab das verstanden. Wenn irgendetwas schiefgeht, und alle schauen ratlos in meine Richtung, dann sehe ich mich nicht als Alphatier, sondern eher als Klagemauer. Aber das passt schon, ich funktioniere sowieso nur in Extremsituationen so richtig.

    Wahrscheinlich reden wir auch gerade nicht von demselben. Ein richtiges Alphatier hält für das Rudel den Kopf hin. Ohne Abfindung hinterher.

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