Zum Thema Gina-Lisa ist eigentlich alles gesagt.
Aber daran, dass Celebrity ein Job ist und nicht alles so ist wie es scheint, denken wenige. Der Fall Gina-Lisa Lohfink ist auch ein Lehrstück von gegenseitiger Benutzung zu PR-Zwecken. Die Allianz Celebrity-Frau – Fem-Aktivistinnen/Politikerinnen ist im besten Fall ein win-win-Geschäft.
Saßen vor acht Jahren auch langgediente und zukünftige Feministinnen bei GNTM vor der Glotze und ereiferten sich über diese unmögliche Person Gina-Lisa, sind sie jetzt Team #teamginalisa. Das sind gut öffentlich in den sozialen Medien zu sehende Veränderungsprozesse.
Die im Fall der Falschaussage agierende Richterin und Staatsanwältin scheinen noch zur denen zu gehören, die Frauen, die im Geruch stehen, eine Schlampe zu sein, hart bestrafen.
(Für Details und Hintergründe von Rechtssprechung in diesem Fall lesen Sie bitte diesen Text, Fischer ist wie immer nach meinem Geschmack zu wortreich und natürlich ganz böse politisch inkorrekt, aber er erklärt die Fakten besser als Journalisten.)
Jetzt noch meine Selbstpositionierung, nicht dass jemand flott schreibt, die Koma sei wasauchimmerfeindlich und der Text tauge darum nix.
Niemand hat das Recht, Sex mit einer Frau zu haben, die sagt „hör auf“ und wenn sie dreimal vollkommen bedrogt und benommen ist. Und dass diese rammelnden Karnickel das dann auch noch dokumentieren, öffentlich machen und nicht für ihren Übergriff bestraft werden, ist der eigentliche Skandal. (Ja, ich habe mir das Video angesehen, die Körpersprache ist für eine Frau, die immer auf ihre Wirkung bedacht ist, ziemlich eindeutig, aber ich habe darüber nicht zu befinden.) Es ist oft viel Grauzone von Aussage gegen Aussage in solchen Dingen. Hier gibt es sogar einen Beleg und es passiert – nichts! Es passiert noch mehr als nichts, die betroffene Frau wird der Falschbeschuldigung bezichtigt.
Ob eine Veränderung des Sexualstrafrechts ein anderes Urteil gebracht hätte, das kann ich nicht beurteilen, davon habe ich keine Ahnung.
Wenden wir uns nun dem Phänomen Celebrity zu. Das sind Menschen, die in der öffentlichen Aufmerksamkeit stehen und Projektionsfläche für viele sind. Sie selbst sind ein Produkt, sie müssen meist nicht viel mehr leisten und können, als sie selbst zu sein – oder das Bild, dass sie von sich in der Öffentlichkeit erzeugen. (Ausführlicher steht das in diesem Text, den ich vor einigen Jahren schrieb.)
Für uns Publikum sind solche Menschen Projektionsfläche. Sie haben all das, was wir nicht (glauben zu) haben. Sie sind dünn, schön und immer gut zurechtgemacht (zumindest, wenn die Kamera dabei ist), sie arbeiten scheinbar nicht für ihr Geld, müssen sich nicht mühen, sondern werden geliebt, gesehen und versorgt, weil sie einfach da sind. Ein tiefes, kindliches Bedürfnis zeigt sich dabei in uns, wenn wir das bewundern.
Was für Profit schlagen Celebrities aus ihrem Job? Sagen wir mal so, für jemanden mit einem guter Bildung und gutem Beruf gibt es genug besser bezahlte Alternativen. Wer das nicht hat, aber eine gute Portion Narzissmus und sich in der Öffentlichkeit sehr wohl fühlt, kann sein Aufmerksamkeitsbedürfnis stillen, wird als Testimonial, Fotomodell und Partystargast bezahlt, bekommt Werbe- und TV-Jobs, rutscht auf der Rechnung reicher Leute mit und erhält in der Regel eine ganze Menge Dinge umsonst – Hotelzimmer, Klamotten, Transfers, Urlaub, vielleicht sogar Schönheits-OPs. Dafür ist man zwar immer unterwegs, wie der Hamster im Laufrad, aber in der Regel fällt das in die Lebensphase, wo das auch passt.
Nicht selten kommen Celebrities aus dem Nichts, aus den Regionen zwischen Provinz und Gosse. Das ist das Fazinosum: Du bist nichts und du wirst alles.
Die Celebrity-Selfe-Made-Woman ist keine deutsche Figur. Sie ist amerikanisch oder im tiefen Grund höfisch-französisch. Für die deutsche Kultur, die auf schmucklose Wahrhaftigkeit pocht, ist diese glitzernde Selbstinszenierung zu lügenhaft.
Gina-Lisa Lohfink hat einige Vorläuferinnen. Deren Storytelling ist zum Beispiel:
„Eigentlich nicht dünne oder schöne, aber blonde Heidekönigin hat einen Komparsenauftritt ohne Unterhöschen, der sie intern bei der Presse bekannt macht und danach ein weitgehend öffentliches Privatleben (mit Dünnwerden und berühmtem Freund) mit heißem Draht zur Bildzeitung, seriös geworden dreht sie ein paar Filme, säuft aber.“
oder
„Für das deutsche Standardpublikum zu unblonde hübsche Frau mit alberner Stimmführung hat Kurzzeitehe mit reichem, blondem deutschem Star und macht danach doof aber clever zur Marke, muss aber die Pleite ihres zweiten Ehemannes kommunizieren.“
Gina-Lisa Lohfinks Geschichte ist etwas anders:
„Frech und unangepaßt kommt weit, zeigt Fräulein Rottenmeier-Klum den Mittelfinger und hat die große Klappe und danach jede Menge Aufmerksamkeit mit optimierten Tits, Lips and Ass, sagt, sie wurde vergewaltigt, aber man bezichtigt sie der Lüge.“
Die beruflichen Biografiealternativen all dieser Frauen wären etwa Einzelhandelskauffrau, MTA oder Hotelfachfrau gewesen. Oder Hausfrau mit ein paar minderbegabten Blagen und einem zu viel Bier trinkenden Ronny oder Steve auf dem Sofa. Also wenig Geld und niedriger Status.
Celebrities erzählen Erfolgsgeschichten, die tiefe Wünsche in vielen von uns ansprechen: Öffentlich sprechen, obwohl die Stimme klingt, als ob man auf ein Meerschweinchen tritt. Moppelig die Freundin eines Fernsehstars werden und plötzlich (scheinbar ohne große Mühe) dünn sein und bleiben. Ne geile Schnitte sein, mit großen Brüsten und allem drum und dran, die tollen Typen abkriegen und trotz großer Klappe nicht als böses, lüsternes Mädchen bestraft werden.
Diese Erfolgsgeschichten eint ein Fakt, der von außen nicht zu sehen ist: Diese Menschen müssen die Kontrolle über ihr Leben und über ihr Produkt (also sich selbst) behalten, selbst bei Problemen und Irritationen.
Ob nun der Alkoholausfall vor laufender Fernsehkamera, die nicht ganz lupenreine Insolvenz des schwächlichen Ehemanns oder die chemische Absenz, an deren Ende ein Video mit nicht nach Einvernehmen aussehendem Sex steht – all das muss schnell und klug in die Story integriert werden, bevor die Eigendynamik des „die Leute reden darüber“ die Kontrolle über die Geschichte zerstört.
Menschen, die den Vergewaltigungsvorwurf kritisch sehen, fragen warum Lohfink sich einen Tag später wieder mit dem Mann traf, der sie in der Nacht zuvor vergewaltigt haben soll. Welche Frage! – Sie machte ihren Job, denn durch diesen Mann, den VIP-Betreuer eines Clubs, konnte sie den Fußballer Jerome Boateng treffen und an ihrer Geschichte weiterspinnen. (TW für zart Besaitete: Link geht zur Bildzeitung)
Für Celebrities, sie sich nicht als brav und keusch verkaufen, wie die Frau mit der schlimmen Stimme, sondern mit vollem Körpereinsatz arbeiten, ist es normal, dass Bettgeschichten mit berühmte Leuten – oder Spekulationen darüber – zur Story gehören, das erhöht die Sichtbarkeit und damit den Marktwert. (Man erinnere sich an die Heidekönigin und Thomas D., der nur konsterniert bekannt gab, er habe mit der Frau nix zu tun.)
Dass man ein paar Tage brauchte, um einzuschätzen, was in dem Hotelzimmer mit dem VIP-Betreuer und seinem Kumpel eigentlich passiert ist und was das an Konsequenzen haben kann und es vielleicht auch nicht unbedingt Einigkeit zwischen der Betroffenen und den Beraterinnen gab, halte ich für normal. Da war einfach die Scheiße richtig fett auf den Ventilator gefallen.
Eine ganze Menge Frauen kennen solche Erlebnisse, bei denen impulsives Vorpreschen mit so einer Geschichte ggf. mehr Probleme gebracht hätte, als das Erlebnis selbst, ich auch. Auch wenn diese Impulsivität einen zum lupenreineren Opfer macht. (Die Erwartung ist: Eine wirklich vergewaltigte Frau hat kopflos ihr Elend herausklagen, statt nachzudenken, wie sie jetzt vorgeht.)
Öffentlich klar zu machen, dass frau sich zwar körperbetont-sexualisiert darstellt und dass das Teil ihres Konzepts ist, aber dass niemand das Recht hat, sich an diesem Körper ohne Einverständnis der Besitzerin sexuell zu bedienen und damit selbst ein Geschäft zu machen, ist sehr schwer.
Damsel in Distress oder zu deutsch Verfolgte Unschuld ist ein starkes Narrativ – nicht nur in der Kunst, auch in der öffentlichen Kommunikation, siehe Köln/Silvester. Aber wenn die Rolle der Frau eben nicht die der Unschuld ist, ist sie kein einfach zu akzeptierendes Opfer. Es ist fast folgerichtig, dass sie bestraft wird. Böse Mädchen werden bestraft, um zu demonstrieren, dass brave Mädchen besser leben. Dagegen lässt sich anrennen, aber solche archaischen Werturteile sitzen tief. (Genauso tief, wie die landläufige Vorstellung, dass ein Mann größer als seine Frau sein und mehr Geld verdienen und die Frau erobern sollte, um spontan Beispiele zu nennen.)
In der klassischen Dramaturgie wird das Good Girl vom Helden gerettet und das Bad Girl, das den Helden kurzzeitig faszinierte, stirbt. Manchmal wird sie sogar für die Rettung des Good Girls geopfert.
Schon in Zeiten von GNTM war ich erstaunt, wie viel Hass und Häme das böse Mädchen Gina-Lisa bei Frauen auslöste. Selbst bei denen, die wissen mussten, dass Gina-Lisa eine Rolle von Frau Lohfink ist oder die selbst gern unangepasste Mädchen waren.
Das, was Gina-Lisa Lohfink passierte, ist wie eine selbsterfüllende Prophezeiung: Öffentlich geschändet von einem statusniedrigen Mann, der sie eigentlich nur beruflich etwas weiterbringen sollte. Da sie selbst solche Videos auch inszenierte, machte sie das nur noch unglaubhafter.
Sie kämpft bei den Widerspruch gegen die Verurteilung wegen Falschverdächtigung um Gerechtigkeit und das, was wir sehen, ist ein Stück sehr professionelle PR-Arbeit.
Die studierten Soziologinnen und Kulturwissenschaftlerinnen beklagen öffentlich, dass Gina-Lisa Lohfink boulevardesk auf ihre Äußerlichkeiten reduziert wird, nennen sie zwar im Hashtag #teamginalisa auch nur beim Vornamen, ja, nennen sie sogar ihre Heldin, aber verlieren keinen Gedanken daran, dass es um eine öffentliche Rolle geht.
Die wasserstoffblonde Gina-Lisa mit Silikonbrüsten und fettem Lippenimplantat ist der Job von Frau Lohfink. Zeitungen können nicht über Dinge schreiben, die außerhalb der Figur Gina-Lisa liegen und Frau Lohfink betreffen. Sie sind nicht bekannt. Oder besser, das, was bekannt ist, ist professionell und mit Kalkül gesetzt und das ist gut so. Wir begegnen nun Frau Lohfink, hinter großer Sonnenbrille, klar und zurückhaltend ihre Verletzungen benennend.
Das schlimmste, was dieser Frau passieren kann ist der Kontrollverlust – als hilfloses, zerbrochenes Opfer durch die Mühle der Öffentlichkeit gedreht zu werden (obwohl sich das auf dem Boulevard, unter Allys und in der Politik phantastisch verkaufen würde, weil dann keine Fragen offen wären) oder wenn Leute, egal wer, ob feministische Aktivistinnen, Politikerinnen, Stern- oder Bildzeitungsredakteure, die Deutungshoheit über ihr Sein bekommen und sie das nicht mehr beeinflussen kann.
Wir haben gerade einen vortrefflichen Kumulationspunkt von Interessen: Frau Lohfink will Gerechtigkeit, die feminististischen Aktivistinnen und viele Frauen, die in der Politik tätig sind, wollen eine Gesetzesänderung im Sexualstrafrecht.
Frau Lohfink und ihr Team lassen Menschen für sich fighten, die Gina-Lisa noch vor drei Monaten nicht mit der Feuerzange angefasst hätten, weil Schlampe oder männerbedienendes Sexualobjekt. Die sich engagierenden Frauen argumentieren mit einem Video, das sie in der Regel nicht einmal gesehen haben und einer Frauenfigur, die eigentlich kein klassisches Opfer, keine Damsel in Distress ist und die so gar nicht ihrem Frauenbild entspricht. Mal schauen, ob sich das Bad Girl für die Good Girls opfern muss.
Ich bin sehr gespannt, auf das Ergebnis und ob diese Allianz von gegenseitigem Nutzen ist.
Interessante Hintergrundanalyse.
Eines finde ich persönlich jedoch verallgemeinernd:
„Frau Lohfink und ihr Team lassen Menschen für sich fighten, die Gina-Lisa noch vor drei Monaten nicht mit der Feuerzange angefasst hätten, weil Schlampe oder männerbedienendes Sexualobjekt. Die sich engagierenden Frauen argumentieren mit einem Video, das sie in der Regel nicht einmal gesehen haben und einer Frauenfigur, die eigentlich kein klassisches Opfer, keine Damsel in Distress ist und die so gar nicht ihrem Frauenbild entspricht. Mal schauen, ob sich das Bad Girl für die Good Girls opfern muss.
Ich bin sehr gespannt, auf das Ergebnis und ob diese Allianz von gegenseitigem Nutzen ist.“
Ich nehme in meiner Filterbubble viele junge Netzfeministinnen wahr, die sich schon immer sehr gegen slut-shaming jeglicher Art ausgesprochen haben. Die schon immer differenzieren konnten zwischen der Kritik an einer patriarchalischen geprägten Gesellschaft, die solche Karrieren wie Frau Lohfink ermöglicht, gleichzeitig aber die persönliche Freiheit verteidigt haben, eine solche Karriere zu verfolgen. Also kurz gesagt: Gesellschaftskritik ja, Anprangerung einzelner Frauen nein.
Sicherlich wird es auch diejenigen geben, „die Gina-Lisa noch vor drei Monaten nicht mit der Feuerzange angefasst hätten, weil Schlampe oder männerbedienendes Sexualobjekt“. Ich denke da insbesondere an den Schwarzer-Feminismus, der auch nicht davor zurückschreckt Sexworkerinnen zu diffamieren, und zu bevormunden.
Aber diesen Stempel nun allen pauschal aufzudrücken, die sich hier engagieren – das finde ich sehr unfair. Ich bin jetzt selber keine aktive Netzfeministin, retweete mal hin und wieder dies oder das – und zwar auch Sachen mit dem Hashtags #teamginalisa. Andere Frauen jedoch als „Schlampen“ oder „männerbedienende Sexualobjekte“ zu titulieren entspricht jedoch absolut nicht meinem persönlichen Verständnis von Feminismus.
Noch ein Nachtrag: ich kann als Feministin sogar so weit gehen, dass ich das, was eine andere Person macht absolut zum Kotzen finde, ja sie sogar vielleicht total unsympathisch finde – aber mich dennoch klar auf ihre Seite stellen, wenn ihr Unrecht wiederfährt. Das schließt sich nicht aus. In dem konkreten Fall: Ich kann GNTM klar kritisieren, aber Frau Lohfink in der aktuellen Situation trotzdem verteidigen.
Kritik an dem Narrativ der damsel in distress bei Sexualstraftaten ist übrigens im Feminismus auch nichts Neues (siehe slutwalk-Bewegungen).
Feministinnen können mit Schlampen ganz gut umgehen, da haben Sie recht. Dass sie einem Format wie GNTM auch nicht entkommen können und wie vom Produzenten kalkuliert reagieren, habe ich zu einem großen Erstaunen sehen und lesen können.
Ich meinte eher die Politikerinnen, die ja sonst eher schmallippig sind, die sind bei der Hashtaginitiative ja dabei.