Fünfzig

Im vorletzten Blogpost gab es eine Rückschau. Fast zehn der dazwischenliegenden 25 Jahre sind verbloggt. Jetzt kommt eine Vorschau.

Ich habe Pläne und ich weiß, dass sie mir das Leben ohnehin über den Haufen wirft. Oder dass ich zu Zielen komme, die ich nicht kannte, auf Wegen, die ich nicht ahnte. Wenn man sich bewegt, verändert sich die Welt um einen herum und meist sind unsere Zielvorgaben nur statisch.
Was ich ganz kategorisch nicht will und nie wollte: Am Ende sagen, dass ich es bereue, wichtige und grundlegende Dinge nie getan zu haben. Habe ich in den letzten Jahren immer gesagt: „Ich kann doch noch nicht älter werden, ich habe doch noch so viel zu tun!“ merke ich, dass die Liste kürzer wird oder – anders. Dazu kommt, wie mir schon bei der Aufzählung von Jahr Fünfundzwanzig bewusst wurde: Da war eine ganze Menge. So sehr viel, dass ich manchmal rechtschaffen müde bin. Es geht langsamer weiter, bewusster, gelassener.

„Verweile doch, du bist so schön?“ o-o! Der von mir als deutsche Kulturikone so sehr verhasste Faust ist voller doppelter Böden und wenn ich etwas liebe, dann das Sehen in verschiedenen Perspektiven. Diese Szene ist ein Vexierspiel par excellence.
Während er blind davon phantasiert, dass auf sein Geheiß ein Sumpf trockengelegt wird – so zumindest interpretiert er das Schaufelklirren – bereiten die Lemuren sein Grab.
Die da irgendwo den Deich bauen, brauchen ihn längst nicht mehr. Und der Moment, in dem er glücklich zur Ruhe kommt, ist die Stunde seines Todes.
Einige Texte begleiten mich durch mein Leben. Szenen aus Hamlet, Baldwins Another Country, wo ich mich fast in jeder Figur spiegeln kann und eben jene Szene aus „Faust“. In jedem Lebensalter interpretiere ich den Text anders. Früher las ich die Szene als „Oh nee, dieser alberne, naturtötende Fortschrittsglaube“. Später, als ich die Peter-Stein-Inszenierung sah, bemerkte ich erst den Irrtum Fausts und sagte mir „Krass, der alte Mann wird verarscht!“ Jetzt sehe ich das wieder anders, als Geschichte einer Ablösung von der Welt. Das Denken geht noch in den alten Bahnen, er wähnt sich noch als Führer, die Welt geht längst ihren eigenen Gang und er bleibt zurück. Ich bin gespannt, wie ich die Szene in 15 Jahren interpretiere.

Ok., aber wo war ich stehen geblieben? Vorausschau.
Einige Dinge diktiert das Leben.
Nachdem meine Alterssicherung im Burnout durch den Schlot gegangen ist, muss ich dafür etwas tun. – Aber auch da, das Leben ist dynamisch. Was Mitte der 90er gutes Geld für den Ruhestand irgendwann 2030 schien, war von der Preis- und Investment-Marktentwicklung längst überholt. Da muss eine andere Lösung her.
Arbeit.
Wie in den letzten zweieinhalb Monaten gelernt, drei Tage zu fünf Stunden wöchentlich mit Leistungsdruck funktionieren. Der Rest der Zeit kann meditativer verbracht werden und selbstgenügsamer. An der Nähmaschine, ohne Lieferdruck, funktioniert das.
In der Abteilung Spaß und schöne Dinge.
Die südlichen Inseln rufen wieder. Auch Marokko ist noch offen, der Atlas und Marrakesch. Granada und die Sierra Nevada. Sardinien. Und ich will unbedingt, bevor da Touristen hinkommen, noch mal nach Svanetien.
Es ist auch wieder Zeit für mehr Bewegung. Ich habe nun bewiesen, dass ich im Klimakterium genauso wie alle Frauen in meiner Familie aussehe. Aber das war nie meine Absicht. Außerdem sind noch große Skitouren durch die Weite auf der Liste, langes Schwimmen und Wanderungen. Da brauche ich keine 20 Kilo Vorrat für schlechte Zeiten.
Ich möchte den Spaß an der Herausforderung zurückhaben und den unguten Zwang doch vor der Tür halten. Wie das gehen kann, weiß ich noch nicht.
Geliebte Menschen.
Die Großeltern-Generation ist nun gestorben, mir bleiben die Eltern und die haben sich nicht so gut gehalten, ihre Energie versackt in ihren kleinen Kämpfen. Vielleicht ändert sich das noch mal, wer weiß. Aber auch da, ich will bereit sein, für das, was passiert, auch wenn ich noch nicht weiß, was und wann es passieren wird. Der Bruder ist da schon viel weiter als ich.
Ich bereite mich aufs Großmutter-Dasein vor. Was bin ich heilfroh, dass ich nicht mit 50 auf Elternabenden und Schul-Kuchenbasaren rumhocken oder mich mit Pubertieren rumstreiten muss. Das ist vorbei, die Midlife-Crisis habe ich auch knapp überlebt und nun kommt die Aufgabe, dem Kind irgendwann als Mutter Entlastung zu geben und ihr doch genügend Raum zu lassen. So, wie es in der Familie seit drei Generationen war, dass die Großmutter oder Tante vollständig einsprang, dass ein Kind über Jahre weitgehend woanders aufwuchs und geprägt wurde, das möchte ich unbedingt – wenn es denn als Option überhaupt naheliegt, aber man weiß ja nicht, was passiert – durchbrechen. Ich möchte meine Tochter im Mutter sein unterstützen und weniger als Großmutter nicht gelebtes Leben mit einem kleinen Kind nachholen. Obwohl ich mich wahnsinnig darauf freue, dass ich irgendwann in den nächsten Jahren ein Baby im Arm halte, das noch ein paar von meinen Genen mitbekommen hat. *schnüff*
Liebe.
Habe ich wie so vieles per trial and error gelebt. Und am Ende kommen da ein paar Binsenweisheiten um die Ecke. Dass ein Partner einem sicher nicht das ersetzt, was man selbst nicht ist oder sich nicht geben kann. Dass man in die Welt rast und den Schatz gleich neben sich findet. Und dass es gut ist, wenn das überspannte Ego endlich mal gelernt hat, die Schnauze zu halten, damit der Rest von Miz Kitty dem Anderen zuhören kann. Ich habe begriffen, dass mir Zeit von einem anderen Menschen geschenkt wurde. Ein Paket von undefinierter Größe, mit guten und schlechten Tagen und ich habe es angenommen. Ich wurde angenommen. Das ist gut und das geht jetzt so weiter. Wann das Paket leer ist, habe ich nicht zu entscheiden. (Vor 10 Jahren hätte ich so einen Satz nicht ausgehalten.)

So, das war das Wort zum Sonntag, ich gehe jetzt auf den Crosstrainer.

PS: Ich lege Ihnen dieses Interview ans Herz.

12 Gedanken zu „Fünfzig

  1. Liebenswertes Durcheinander. Der Konformismus streckt noch seine grausigen Krallen aus: „Alterversorgung“, „Midlife-Crisis“, „Klimakterium“ und ähnlicher Journalisten-Bullshit.
    Und dann der Reichtum an Leben! Enkel. Töchter und Familie. Ein Graf. Ihnen KANN NICHTS GESCHEHEN! NÄHEN SIE!

    • Oh, tief im Grunde meines Herzens bin ich sehr konservativ, auch wenn ich zeitweise ein unkonventionelles Leben führe.
      Klimakterium – ein nicht wegzuredender Fakt, aber kein Horrorszenario für mich, einfach nie wieder kalte Füße.
      Midlife-Crisis – anders kann ich die Jahre von 2004 bis 2009 nicht beschreiben, die waren schon ziemlich neben der Spur.
      Altersversorgung – noch so ein nicht wegzuredender Fakt. Ich liege ungern jemandem auf der Tasche. Weder nahen Menschen noch der Gesellschaft.

  2. Dieses schöne und nachdenkliche Posting hat mich nach dem entsprechenden suchen lassen (siehe Link unterm Namen) – das ist nun auch wieder fast 10 Jahre her, die Zeit rast zunehmen schneller dahin! :-)

    Übertreib es nicht auf dem Crosstrainer! :-)

    • Schöner Text, schöne Frau! Und übertreiben geht gar nicht, ich bin so was von konditionslos. ich bräuchte eigentlich Hockergymnastik.

  3. Herz, ich mal wieder zu spät, obwohl ich dran gedacht hab: Alles Gute zum Geburtstag! Wird schon! Weil is ja schon!

  4. örks…. ich auch zu spät…. obwohl handy mich erinnert und hat und dann doch verbaselt.
    liebe mizzkitty…. ganz ganz herzlichen glückwunsch nachträglich und wundervoll, dass sie uns mit diesem aufbauenden text beschenkt haben.
    lg ro

    • ja, aber wir sind doch immer diejenigen, die die Geburtstage vergessen. Das muß so!

  5. Von mir auch verspätete, aber nicht weniger herzliche Glückwünsche zum Geburtstag!

    arboretum überreicht blaue, gelbe und weiße Krokusse.

    Mein Schwager Kaktus hat am selben Tag Geburtstag, das haben wir entsprechend gefeiert, deshalb bekam ich hier nichts mit.

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