Die Traumwohnung
war langweilig, sobald sie bezogen und eingerichtet war. Wie das so ist mit erreichten Sehnsuchtszielen. Obwohl sie wunderschön war. 90 qm Stuckaltbau, drei Zimmer, freier Blick nach hinten und vorn, da auf einer Anhöhe bzw. an einem wenig befahrenen Platz gelegen. Die Katze hatte ihre Schlupflöcher nach draußen und residierte entweder auf der Mülltonne des nahen Fischladens oder vor den Mäuselöchern des hinteren Gartens.
Auf dem freien Platz nach vorn zu kreisten im Sommer hunderte Fledermäuse. Eines Nachts randalierte die Katze im Nebenzimmer. Ich schlich schlaftrunken herüber. Sie saß fauchend auf der Fensterbank, den Schwanz zur schwarzen Flaschenbürste gesträubt und schielte in Richtung Decke. Als ich nach oben sah, standen mir binnen Sekunden ebenfalls alle Haare zu Berge. Im Wohnzimmer flatterten vier Fledermäuse, schweigende Schattenrisse. Ich hatte die Fenster weit offengelassen, sie hatten sich scheinbar verflogen. Mit Gruseln stieg ich auf einen Hocker und öffnete die Oberlichter, dann verbarrikadierte ich mich wieder im Nebenzimmer. Am nächsten Morgen waren sie weg. Ich hatte schon befürchtet, sie von der Messinglampe pflücken zu müssen.
Einen Sommer später kamen wir (ziemlich betrunken) mit Freunden, die bei uns schlafen wollten, nachts von einer Premiere und saßen noch etwas in der Küche. T. kam kreidebleich aus dem Wohnzimmer. Da drin liegt eine tote Fledermaus! Mein schwarzes Monster hatte sich scheinbar auf dem Fensterbrett postiert und so lange gelauert, bis eine die Kurve nicht bekam. Ich nahm das Kehrblech, schob das kleine Bündel Fell und Leder mit dem Handfeger drauf und legte es vor die Wohnungstür. Die schwer beleidigte Katze schnappte ich am Nackenfell und setzte sie daneben. Aufessen!, war meine kategorische Anweisung. Eine Stunde später sah ich noch mal nach: Die Ohren auch! Am nächsten Morgen saßen wir in der Küche und fragten uns gegenseitig, ob wir das heute nacht geträumt hätten. Dann hätten wir nämlich alle den selben Traum gehabt. Denn die Katze war so brav, daß weder ein Fellpuschel noch ein Blutfleckchen zurückgeblieben waren.
Was so idyllisch klingt, war im Winter überlebenstechnisch anstrengend. Es war zwar nicht so kalt wie in der Wohnung vorher, wo ich grundsätzlich mit Pullover, Wärmflasche, Socken und zwei Federbetten schlafen gegangen war. Ein Kachelofen ist zwar wunderbar zum drankuscheln und träumen, hat aber einen entscheidenden Nachteil: Eine Person muß tagsüber anwesend sein, um das Feuer zu unterhalten. Wer schon einmal bibbernd morgens Asche gekratzt hat um abends in eine ausgekühlte Wohnung zurückzukommen, weiß wovon ich rede. Noch schlimmer ist es, wenn das zur Familie gehörige Kleinkind in der Kinderkrippe dreißig Grad Raumtemperatur geboten bekommt. Da der Bauschaum noch nicht erfunden war, pfiff in der Nähe der Fenster die Kaltluft in nadelfeinen Strahlen herein.
(Kleiner Exkurs. Wenn die Kanzlerin, gefragt, was sich positiv verändert hätte mit dem Fall der Mauer, antwortet: Schöne dichte Fenster. so kann das nur derjenige lächerlich finden, der sich nie – unfreiwillig wohlgemerkt – in einer baufälligen Wohnung den A… abgefroren hat.)
In meiner Leseecke stopfte ich einmal eine ganze Zeitung in eine Lücke zwischen Kastenfenster und Mauer. Der Putz war schon lange vom Haus abgefallen und die Fensterscheiben wurden nur noch von brüchigen Kittresten an ihrem Platz gehalten, daher gehörte Fensterkitt zu meinem normalen Reparaturset wie Sicherungen oder Glühbirnen.
Bald kamen unruhige Zeiten. Ich begann zu studieren und schaffte den Spagat zwischen bürgerlichem Ehefrau- und Mutterdasein in einer brandenburgischen Stadt und dem Studentenleben und meinen kreativen Projekten in Berlin nicht mehr. Mein Mann wiederum arbeitete sich an seinem ersten Job und dem Dasein als plötzlich sorgeberechtigter Vater ab, das Studentenleben war für ihn einfacher gewesen. Wir waren Mitte 20 und überhaupt noch nicht fähig, uns solchen Problemen überlegt zu stellen. Als die Mauer fiel, rutschte auch diese Ehe im Zeitlupentempo zusammen wie ein Kartenhaus.
Die Zeit der
Berliner Bruchbuden und Provisorien
war gekommen. Da war alles dabei. Ein Zimmer Hinterhaus im Gleimviertel, Klo halbe Treppe. Ich ließ den Schlüssel an der Klotür stecken, so wie alle im Haus. Eines Tages war er weg, lag in der Waschküche versteckt (die sich witzigerweise in diesem Haus auf dem Dachboden befand). Ich habe lange gebraucht, um zu realisieren, wer sich warum rächen wollte. Es war ganz einfach. Ich hatte mit Freunden nachmittags auf dem Dach gesessen. Damals war Fußball für angehende Theaterwissenschaftler igitt. Deshalb hat es uns nicht die Bohne interessiert, daß Weltmeisterschaft war und justament Deutschland spielte. Den Nachbarn, neben dessen Fernsehantenne wir saßen, interessierte es durchaus.
Überflüssig, zu sagen, daß der ganze Kiez mit dem heutigen nichts mehr zu tun hat. Gleimkiez das war Bronx, mit Asis, Alkoholikern, Halbnutten, verkommenen Kindern, desillusionierten alten Leuten und ein paar studentischen Spinnern wie mir.
Nach den Semesterferien empfing mich ein trautes Bild. Im Hof spielte eine Ratte und gegenüber trugen sie grade einen Leichensack aus dem Seitenflügel. Ein bis heute ungeklärter Mord.
Ich verließ die Gegend fluchtartig, als ich eine engere Begegnung mit einem Nachbarn im dritten Stock hatte. Er stand schwankend auf dem Treppenabsatz, in der Hosentasche trug er eine Pistole. Nölte mir irgendwas Öbszönes mit Schnapsgestank entgegen. Ich ging an ihm vorbei: Laß mich in Ruhe! und stieg die Treppe hoch. Er grölte einen der üblichen Sätze, in dem natürlich die Wortverbindung blöde V… vorkam und dann knallte es.
Mein Herz setzte für ein paar Sekunden aus. Ich stieg weiter wie in Trance. Stufe für Stufe, endlos. Mein Hirn recherchierte. Kein bröckelnder Putz, keine Holzsplitter. Dir geht es auch noch gut. Du kannst sehen, du kannst laufen. Einatmen, ausatmen. Das Herz schlägt wieder und ich begriff: es war eine Schreckschußpistole.
Trotzdem packte ich noch in der selben Nacht meinen Koffer und zog zu einem Freund.
Es folgte eine Wohnungsbesetzung im Friedrichshain. Aber davon später.