Drei GRÖNÖ oder Ismirschlecht

Das Kind rang mir das Versprechen ab, sie mit dem Auto zum Möbelhaus zu fahren. Nun bin ich nicht so stoffelig, meinem Kind keinen Gefallen zu tun, zudem sie grade am Start ihres Studentenlebens ist und auch ich mein Scherflein an Unterstützung beitragen möchte. Außerdem waren die Neuanschaffungen bis ins Kleinste von ihr durchdacht und kalkuliert, sie wollte sich schließlich auf ihre Kosten von ihren alten Kinderzimmermöbeln trennen.
Nur hat das Möbelhaus seit geraumer Zeit eine überreizende Wirkung auf mich. Ich walze durch die Gänge, würdige kaum noch etwas eines Blickes, blocke dieses ganze bunte Geflimmer am Wimpernsaum ab, wo ich früher voller Entzücken mit übergehenden Augen Impulskäufe gemacht hätte. Seit ich meine Einrichtung und das Wohngerät auf das mindeste reduziert habe, kommt mir kaum noch etwas vom Möbelhaus ins Loft.* Einrichten muß finanziell weh tun, damit es beim kargen Stil bleibt.
Das Kind und ich hatten einen cleveren Plan. Gesichtet hatten wir schon beim letzten Mal, jetzt würde alles auf den Wagen gepackt, im Auto verstaut und zu ihr gefahren. Ich könnte danach durch die Herstsonne fahren, die Waschanlage besuchen, noch ein bißchen spazierengehen und dann ab in die Muckibude, die Speckröllchen ärgern.
Wir näherten uns dem Möbelhaus mit tausenden anderer Autos. Menschen-Massen wälzten sich durch den Eingang. Kinder, die tatsächlich Lasse und Finja gerufen wurden und Schwangere, Unmengen Schwangere. Vielleicht würden die ihre Kinder POÄNG und FORSLUTA nennen.
Unsere erste Beute, drei Leuchten namens GRÖNÖ, gefielen sogar mir. Pfiffig, simpel, wirkungsvoll, billig. Allein, der Impuls, auch eine mitzunehmen, stellte sich nicht ein. Ich warnte noch: Bloß keine 7-Watt Energiesparlampe wie empfohlen. Ich erinnerte mich genau an die Zeiten, in denen ich alles auf Energiesparlampen umgestellt und im Winter das Gefühl hatte, kurz vorm Erblinden zu sein.
In der Hälfte der Möbelausstellung, das Kind fiel von einer Verzückung in die andere, bekam ich Hunger. Ich setzte manchmal dagegen, daß sie ähnliche Sachen in ihrem Kinderzimmer hatte, aus alten Möbeln improvisiert und selbst gebaut. Klar, das eine oder andere faszinierte mich auch. Ich bin dafür zu haben, wenn Form und Funktion stimmen und das ganze auch noch bezahlbar und transportabel ist. Ich habe nur schon zu viele Möbelleichen in meinem Leben gesehen. Herausbrechende Türen, unter der Last klemmende Schubladen, in jeder Wohnung dieselbe Truhe. Ich bin einfach weg von dieser Simulation von Lebensqualität. Lieber schlafe ich auf einer Matratze und stelle mir Bananenkisten dazu.
Aber ich war dabei stehengeblieben, daß ich Hunger hatte. Mein Frühstück bestand vorwiegend aus Kaffee und mittlerweile war es hohe Mittagszeit. Wir gingen ins Restaurant. Eine Dame mit Walkie-Talkie dirigierte die Schlangen. Das Kind besetzte einen Tisch und hinterließ die Anweisung: Kötbullar, die kleine Portion. Man muß wissen: ich war zu ersten Mal im Restaurant des Möbelhauses. Und ich war sehr hungrig. An der Kühltheke lud ich einen großen Rohkostteller auf das Tablett, dazu ein bißchen Sahnemeerrettich und Gravard-Lachs-Sauce, weil ich die so mag. Dann fiel mein Blick auf schwedische Mandeltorte. Mist, das Zeug ist für mich Suchtmittel. Und das Kind liebt die Daim-Variante genauso wie ich. Also was solls, die Absolution in Form von Salat steht daneben, zwei Stück Kuchen. Tapfer ignorierte ich Schokopudding mit Vanillesoße, Vanillepudding mit Beerensoße, schwedischen Blaubeerkuchen und was sonst noch so lockte.
An der Küchentheke gab es dieses Kötbullar. Die Namen, die das Möbelhaus vergibt, rufen in mir mitunter unorthodoxe Assoziationen hervor. Und das klang für mich wie Durchfall und Verstopfung zugleich. Es sah auch so aus. Kleine braune Knödel, umgeben von hellbrauner, cremiger Soße. Die Leute orderten wie verrückt. Mit Kartoffeln, mit Fritten, ganz ohne. Ich erinnerte mich an den Spruch vom Kind: komm ja nicht auf die Idee, hier was gesundes zu essen, wir essen beide einen kleinen Teller Kötbullar. Salzkartoffeln fand ich bäh. Also Pommes Frites für mich. Der Rohkostteller war schließlich sehr groß. Mit zwei vollen Tabletts schwebte ich in Richtung Tisch. Sehr, sehr vorsichtig. Ich laufe so über den Onkel, daß ich mir nie hätte mein Geld mit Kellnern verdienen können.
Das Kind bekam große Augen. „Bist du wahnsinnig?“ Ich glaubte ihr fast, murmelte aber was von: „Da ist doch ein großer Salat dabei!“
Auf der Suche nach dem Salatdressing stieß ich noch auf die Ketchup- und Mayo-Spender, die es unten für die Hotdogs gibt. Lang entbehrte Genüsse, da ich die Hotdogs nicht mehr essen kann. So badete ich die Fritten in allen greifbaren Soßen.
Nach dem Teller Kötbullar (in der Tat sehr schmackhaft!) (frag mich, warum ich den Zwang habe, immer dieses Wort in Gedanken auszusprechen und aufzuschreiben), streikte das Kind. Und so aß ich noch den Salat und, immer langsamer werdend, den Kuchen. Beide Stücke.
Ich meine, ich bin doch nicht wahnsinnig ein Stück von meinem Lieblingskuchen stehenzulassen. Vor allem vom einzigen für mich eßbaren, weil glutenfreien, Kuchen der Stadt!
Danach war mir folgerichtig schlecht und ich dachte daran, was ich alles im Fitnessstudio veranstalten müsste, um die gefühlten 2000 Kalorien wieder loszuwerden.
Er war Zeit für den eigentlichen Zweck unseres Einkaufs. Wir erhoben uns mit schweren Bäuchen und gingen in die SB-Halle. Leuchtmittel. Eine Tagesdecke. Mir fiel ein, als ich die Maße der verpackten Möbel aufaddierte, und den ohnehin schon vollen Wagen sah, daß ein zweiter Wagen nicht schlecht wäre. Also zurück, einen Wagen holen.
Ich vergaß, daß es mittlerweile auch in der SB-Halle Wagen gab und verpaßte jede mögliche Abkürzung. Überhaupt hatte es das früher nicht gegeben, Abkürzungen oder Wagen später als an der Treppe, wer etwas vergaß, mußte durch das ganze Labyrinth zurück.
Vorbei an Familienzusammenrottungen mit Kindern mit Topfschnitt (M) oder schütteren Zöpfchen (W), die zwar mittlerweile nicht mehr so antiautoritär erzogen agieren wie früher, dafür aber unerträgliche Klugscheißer sind. („Stimmts Papa, wir kaufen nur Sachen, die der dritten Welt nicht schaden.“) Vorbei an pickligen Neukölner Teeagerpärchen in Picaldi-Jeans, die knutschend versuchen, einen innenarchitektonischen Konsens zu finden, der vor allem dem auf Pump gekauften 63“-Plasma-TV Platz bietet. Und Russen, jede Menge Russen. Diesmal keine Kudammrussen, sondern die ärmeren Vertreter der Gattung. Oder waren es Polen? Sonst höre ich den Unterschied, aber meine Aufmerksamkeit richtete sich vor allem darauf, weder Schwangere noch Kleinkinder unterzupflügen.
Vor den Hochregalen hatten wir dann das erste Problem. Das Kind ist 8 cm kleiner als ich und viel zarter (vielleicht sage ich deshalb noch immer Kind, obwohl sie fast 21 ist) und ich darf nach zweimaligen Antackern meiner Beckenorgane nie wieder zu schwer heben. Wir ließen uns Regal, Kommode und Sofa von einem freundlichen gelben Mitarbeiter auf den Wagen packen und wußten zugleich, daß wir weder in der Lage waren, die Sachen effizient im Auto zu verstauen, geschweige denn sie von der Straße in die Wohnung zu bringen. Sie waren einfach zu schwer. Und so kam ich auf mein altes Versprechen zurück, die Lieferung zu bezahlen. Glückliches Kind, das nur das Kleinzeug mitnahm, glückliche Mutter, die nun endlich hinaus in die Herbstsonne wollte, denn es war mittlerweile halb vier.
Auf der Fahrt zurück nach X-Berg klingelt mein Handy. Das Kind ist dran. Die drei GRÖNÖ-Leuchten sind kaputt. Ich erinnerte mich, es hatte ein paar mal gescheppert, sie sind nämlich nur in Plastik eingeschweißt. Ich muntere sie auf, die Dinger sind schließlich spottbillig.
Vor der Garage suche ich nach meinem Schlüssel. Eine Erinnerung dämmert in mir auf. Ich hatte ihn beim Losfahren dem Kind gereicht, weil ich ihn sonst immer auf den Beifahrersitz schmeiße. Sie hatte ihn wohl in ihre Tasche gesteckt. Ich fahre fluchend zurück nach Schöneberg. Um dem noch einen guten Gedanken abzugewinnen fällt mir ein, daß wir die Leuchten umtauschen könnte. Ich will sowieso abends in C-Burg sein, da kommen wir beim Möbelhaus, wie auch an der Wohnung vom Kind vorbei. Das Kind ist begeistert. Wir fahren wieder von Schöneberg nach Tempelhof und ziehen in der Umtauschabteilung eine Nummer. Es ist mittlerweile fünf. 39 Leute sind vor uns. Finja und Lasse sind mit Mama zu Hause geblieben und Papa tauscht die Fehlkäufe um. Wir briefen uns noch mal, denn der Umtausch fällt eindeutig unter Kulanz. Das sieht die Dame in Gelb genauso. Einzige Lösung: eine Family-Card beantragen. Ich habe zwar eine, verschmeiße sie aber immer wieder. Das Kind füllt am anderen Ende der Halle einen Antrag aus und fährt wieder nach oben, in die Family-Abteilung. „Fährtste mit der Rolltreppe hoch und kommste mit dem Fahrstuhl daneben wieder runter, ganz einfach.“, hatte ich ihr geraten. Ich wartete inzwischen unten, die drei kaputten Leuchten balancierend. Ah, sie taucht in Richtung Fahrstuhl an der oberen Galerie wieder auf. Ich philosophiere, wie man wohl Diebstahl verhindert, wenn man da einfach mit dem Fahrstuhl zum Eingang wieder rausspazieren kann.
Der Fahrstuhl fährt zweimal auf und runter, sie kommt nicht. In mir festigt sich die Erkenntnis, daß die Diebstahlsicherung wohl darin besteht, daß man mit dem Fahrstuhl nicht runterfahren kann und bewege mich langsam Richtung Kassenbereich. Mein Handy klingelt. Es ist nicht so einfach, es auf der Handtasche zu fummeln, wenn man drei kaputte GRÖNÖ trägt. Das Kind mault: Ich muß ganz durch, die haben mich nicht mal durchs Kinderparadies zurückgelassen. Komisch, denke ich, dabei ist sie doch so klein.
„Bring bitte drei neue Lampen mit, sonst müssen wir noch mal durch.“ – „Und was mach ich dann mit dem Gutschein?“ Mit ist zwar vage erinnerlich, daß es keine Gutscheine sondern Bargeld gibt, aber ich kann mich micht durchsetzen. Ich bin nur noch müde.
Wir geben die Leuchten ab, zeigen die provisorische Family-Card vor, bekommen Bargeld (natürlich!), kämpfen uns zum dritten Mal an den Kassen entlang quer durch die Halle, vorbei an sperrigen Wagen, Hotdogessern und schreienden Kindern. Diesmal nehmen wir alle möglichen Abkürzungen und ich kaufe mir auch eine Leuchte. Und ein Plüschtier fürs Kind, ein rotgeflecktes, ulkiges Samtkamel. Denn sie braucht ein Kuscheltier fürs Studentenwohnheim. Ihren geliebten Teddy Krank kann sie schließlich nicht ständig hin- und hertransportieren. Der fällt sowieso fast auseinander, denn er ist so alt wie sie. Wir packen die Leuchten sogfältig in Papier und verschnüren sie. Nicht, daß sie noch mal kaputtgehen. Dann fahren wir nach X-Berg, ich packe ein paar Sachen zusammen, leite mir einige Mails weiter. (HeMan hat aus Nepal geschrieben, ab morgen geht er 18 Tage auf den Treck.) Ich setze das Kind in Schöneberg ab. Sie ist glücklich und bedankt sich. Ein glückliches Kind macht mich auch glücklich.
Um sieben sitze ich in C-Burg an Hemans Schreibtisch. Ich trage eines seiner Sweatshirts. Ein wunderbares altes Replay-Teil. Es riecht nach ihm.
Hunger habe ich keinen. Ich glaube, ich habe Sehnsucht.

*Was mich darauf bringt, daß ich noch den letzten Teil der „Schöner Wohnen“-Posts schreiben muß!

5 Gedanken zu „Drei GRÖNÖ oder Ismirschlecht

  1. Die schwedische Aussprache von Kötbullar lautet ungefähr ´Schöttbülla´. Damit ist man zwar um einige sprachliche Assoziationen ärmer, aber die optischen bleiben ja erhalten.

  2. Der Text belegt, dass die menschliche Seele weitgehend unerkannt geblieben ist:
    A) Menschen, die vorgeben, dem Individuellen anzuhängen, begeben sich ohne körperlichen, finanziellen oder sonstwelchen Zwang wegen drei Lampen unter Tausende von Menschen, um einzukaufen, was Tausende von Menschen bereits daheim herumstehen haben.
    B) Menschen, die im Schweiße ihres Angesichtes (und im Schweiße von wasweißichdennnoch…) sich körperliche Qualen auf Ertüchtigungsmaschinen antun, stopfen Dinge in sich hinein, die nach Brechdurchfall klingen und aussehen und deren trotz allem guten Geschmack man nur erschmeckt, wenn man diese beiden vorangestellten Ekelhürden bereit war zu überwinden…

    Kopfschüttelnd bleibt man zurück. Kopfschüttelnd…

  3. ich bin ja erstaunt darüber, daß das scheinbar vor mir noch niemand aufgefallen ist.

  4. REPLY:
    …was genau jetzt?
    Was genau ist vor Dir noch keinem aufgefallen?

  5. kötbullar und assoziationen. entgegen meiner klischeebehafteten unkengedanken heißt das in holland nicht „kötbullatjes“ sondern „zweedse gehaktballetjes“ [fast daneben ist auch daneben]. ich nehme mal an der deutsche name bedeutet in holland so was ähnliches wie elchköttel …

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