Der beste Freund war gestern da. Wir sind ein sehr ungleiches Paar (das nie ein Paar geworden ist), trotz ähnlicher Wurzeln. Unsere Eltern sind dicke, aufs Äußere völlig unbedachte ostdeutsche Akademiker im frühen Rentenalter mit sächsischen Wurzeln und wir sind beide während des Studiums in den Mauerfall geschlittert, haben Kinder und sind jeder auf seine Art in der neuen Gesellschaft erfolgreich angekommen.
Ich manchmal hastig und brachial, mit allerlei Maskierungen und Adaptionen. Er langsamer, sehr authentisch und bekennend „bäurisch“. (Obwohl ich aus dem Oderkaff stamme und er aus dem Berliner Speckgürtel.) Er ist Geologe geworden und nicht Orchestermusiker wie seine Brüder und ich Theaterwissenschaftlerin und nicht Gartenbauingenieurin. Den einen zog es zur Erde, die andere wollte abheben.
Als ich in den letzten zwei Jahren ins Taumeln kam, war seine Hilfe konkret und handfest. – Obwohl er mir schon Monate zuvor angekündigt hatte, daß ich demnächst auf die Fresse fliege, wenn ich so weitermache.
Gestern abend war dann der Moment, bei Tramezzini und Glühwein ein Fazit zu ziehen:
Du bist jetzt auf der Basis angekommen. Für europäische Verhältnisse ganz unten. Was heißt, du hast es warm, ein Dach über dem Kopf, zu essen und du bist in engem Maße mobil und in Kontakt mit anderen Menschen. (Ich füge hinzu: Ich habe Zeit zu freien Verfügung, das ist sehr viel mehr als ein gewisser Wohlstand.) Jetzt kann es nur noch aufwärts gehen. Du kannst dir jetzt ein anderes Leben bauen. Wenn nicht noch irgendwas dazwischen kommt, über das du nicht bestimmen kannst, wenn du ernsthaft krank wirst zum Beispiel.
Wie so oft hat er recht. Und wie immer in solche Momenten zuckt mir Rilke durch den Kopf. Aber das läßt sich ohnehin nicht beeinflussen. Das Leben ist zu leben.
Ich erzähle ihm von den Sesselplänen. Er hat sich auch gerade einen gekauft. IKEA, für 300 €. Witzig, vor über 10 Jahren hatte er mich rund gemacht, weil meine Besprechungsmöbel im Büro so unrepräsentativ und vom Möbelschweden waren. Auch hier haben wir uns auseinanderentwickelt. Schöne Möbel waren mir nie wichtig, jetzt schon und er verzichtet von Jahr zu Jahr auf den repräsentativen (ich sage: ästhetischen) Faktor, weil es ihm egal ist, was andere dazu sagen.
Zu meinem fokussierten Stück hat er nur einen Kommentar: Sieht aus wie ein Autoscooter. Und trifft damit leider auf eine fiese Weise den Nagel auf den Kopf. Ich habs überschlafen, konservativere Modelle erwogen und bin wieder an diesem Modell dran.
Dann unser altes Thema, die Spiele zwischen Männern und Frauen, meine Trennnung und seine seit 4 Jahren Nicht-Beziehung.
Über die 4 1/2 Jahren „ich brauche niemanden, aber du brauchst jemanden“, die ich hinter mr gebracht habe.
Wie zufrieden er damit sei, daß sie scheinbar keinerlei Ansprüche an ihn habe oder aber nicht stelle. (Daß sie im vierten Jahr darauf bestand, auf seiner Geburtstagsparty dabei zu sein und endlich seine zahlreich erscheinenden Freunde kennenzulernen und dies mit einer vorübergehenden Trennung bekräftigte, hat er längst vergessen.) Er verabredet sich mit ihr per sms, sie telefonieren so gut wie nie, die Initiative geht immer von ihm aus und in 80% der Fälle ist sie da und verbringt meistens das Wochenende mit ihm. Der Alltag und vor allem ihr Leben mit ihrem Sohn bleiben weitestgehend draußen.
Er faßte es in wunderbare Worte: Am Sonntag abend reicht es dann auch. Ich finde überhaupt, Frauen sollten so eine Vorrichtung haben, wo man sie rufen und wieder wegschicken kann.
Ah, so einen Standby-Knopf?, frage ich. Ja, genau! Das Modell Standby-Frau scheint nicht nur eine bösartige Projektion von mir zu sein.
Ich frage mich, was passiert, wenn ihr 20jähriger Sohn das Hotel Mama verläßt. Denn er scheint der Stablisator zu sein, ohne daß es jemand merkt. Aber das ist nicht mein Problem.
Wir planen. Wenn die Seen am Stadtrand zugefroren sind, könnten wir Schlittschuh laufen oder wenn Schnee auf den Eis liegt, nehmen wir die Langlaufski. Dann geht er: Danke für die Stullen!
Ich mag ihn sehr.
Ach ja, der Rilke, als Bestandteil meines Bildungsauftrages lt. JMStV:
Imaginärer Lebenslauf
Erst eine Kindheit, grenzenlos und ohne
Verzicht und Ziel. O unbewußte Lust.
Auf einmal Schrecken, Schranke, Schule, Frohne
und Absturz in Versuchung und Verlust.
Trotz. Der Gebogene wird selber Bieger
und rächt an anderen, daß er erlag.
Geliebt, gefürchtet, Retter, Ringer, Sieger
und Überwinder, Schlag auf Schlag.
Und dann allein im Weiten, Leichten, Kalten.
Doch tief in der errichteten Gestalt
ein Atemholen nach dem Ersten, Alten…
Da stürzte Gott aus seinem Hinterhalt.
das fazit ihres besten freundes ist nicht ohne! und wahrscheinlich hat er wirklich recht! oder vielleicht sogar hoffentlich.
REPLY:
das ist mit ihm so, wo er recht hat, hat er recht, mags mir passen oder nicht.