Es ist jetzt anderthalb Jahre her, daß ich die Agentur geschlossen habe. Ein für mich in den Dreißigern unvorstellbarer Vorgang. He, das war mein Baby, Lebensgrundlage und -inhalt, finanzierte Privatgymnasium, Sportwagen, Klamotten, Lebensgenuß und fütterte den Burnout, bis er mich fressen wollte.
Dann hing ich erst einmal lange in den Seilen. Immer wenn ich wieder zu arbeiten begann, ereilite mich ein Rückfall, wieder war ich wochenlang kaum belastbar.
Jetzt, nach zwei Jahren ausruhen, kreisen und kreiseln schält sich das neue Berufsbild endgültig heraus.
Programmieren können andere besser als ich, der Graf oder Frau Gedankengebäude, dafür texte ich sehr gut und Konzepte entwickeln kann ich auch. Vor allem, wenn es darum geht, einen Menschen und seine Aufgaben auf die Bühne des Lebens zu stellen. Und dann kam das vorbei, was ohnehin am nächsten lag.
Schließlich stehen 15 Jahre Karriereberatung und -begleitung in meiner Berufsbiografie. Der Unternehmensberater, den ich vor drei Jahren konsultierte, fragt mich auch, wie es denn wäre mit Coaching. Und ich wehrte mich mit Händen und Füßen: Bitte nicht noch ein Coach, das braucht kein Mensch.
Offensichtlich doch, denn die Jobs kommen zu mir. Ich blühe auf, wenn ich mich mit einem Menschen hinsetze und einen Berufsweg analysiere, schaue, wie jemand „funktioniert“, wo er hinpaßt, was ihn ungebremst und hingebungsvoll tätig sein läßt. Wir suchen nach Rezeptorenpunkten – wer sucht und braucht so jemanden? Befragen Träume auf ihren Realitätsgehalt und verabschieden alte Profilneurosen. Wir schauen, wie ein Mensch wahrgenommen wird. Projektionsfläche? One Hit Wonder am falschen Platz? Der ewig Unterschätzte? Der Bergsteiger? Wir verabreden einen Plan und bei der Ausführung bin ich dann gern noch dabei: Bewerbungen gegenlesen, Stellenangebote anschauen, die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen. Immer mal einen Impuls geben, in Richtungen zu gehen, die vielleicht nicht so offensichtlich sind. Die Bewerbungsstrategie strukturieren. Erst bei den Unwichtigen vorsprechen zum Üben und Feld sondieren. Dann die Ziele fokussieren und los…
Und und und.
Da Ärzte sich nicht selbst behandeln können und auch nicht die geduldigsten Patienten sind, muß ich mir selbst bescheinigen, daß ich das Nächstliegende erst einmal ingnoriert und mich selbst nicht gerade effizient beraten habe. Aber es wird. Manchmal muß man noch eine Runde drehen.
Schön, von diesen Erfolgen zu lesen!
Sind Sie dabei auf Ihre alte Branche fokussiert oder beraten Sie auch völlig Fachfremde und helfen denen, wie schreiben Sie so schön, beim „Befragen [von] Träume auf ihren Realitätsgehalt und verabschieden alte Profilneurosen.“?
Nein, das ist branchenoffen. Das, was ich gemacht habe, läßt sich gut verallgemeinern. In dem darwinistischen Zirkus Medienbranche habe ich, weil Karrieren so blitzschnell laufen und Zyklen extrem kurz sind, die Welt in der Nußschale sehen können.
Das freut mich wirklich ganz besonders!
(Wobei „was ihn ungebremst und hingebungsvoll tätig sein läßt“ doch eigentlich das sichere Rezept für Burnout ist, nein?)
Ich habe bei der Formulierung erst mal gezögert…
Ich glaube, Burnout kommt immer dann, wenn u.a. die Verantwortlicheitsbalance nicht mehr stimmt, ständig noch unnötige Steine im Weg überklettert werden müssen, Verstellung tägliches Programm ist, Hingabe sich nicht auszahlt, die Work-Life-Balace nicht stimmt und Fehler nicht mehr gemacht werden dürfen.
Und es ist eine üble Verzahnung eigener Anlage (Perfektionismus, Suche nach Anerkennung, Identifikation mit der Aufgabe) und Unternehmensphilosophie (alles aus den Leuten rausholen, Fehler nicht zulassen, auf dem letzten Loch agieren ohne Puffer).
(Mentale) Ungebremstheit und Hingabe sollten dazu führen, daß ein Job mit 75-80% des Energieaufwands gemacht werden kann, der dafür kalkuliert ist, damit Platz ist für Ausnahmesituationen.
Das klingt gut. Richtig gut und richtig stimmig.
Für diesen Beruf verfügen Sie zweifellos über den geeigneten – nämlich großen – Horizont, über geballte Menschenkenntnis, sehr viel Gespür für den Blick hinter die Fassade (Ich möcht gar nicht wissen, mit welchen narzisstischen Egozentrikern jedweden Geschlechts Sie in der Agentur zu tun hatten !) und ein gerüttelt Maß an Lebenserfahrung.
Danke für die Blumen :)
Wenn ich manchmal an die letzten Jahre zurückdenke, frage ich mich, wie ich das ausgehalten habe…