27.3.

Keine besonderen Vorkommnisse. Außer dem Beginn des Versuchs, mal nicht die Hosen passend zum Bauchumfang neu zu kaufen oder im Gummizug-H4-Dress rumzuhocken, sondern demnächst wieder in die Klamotten reinzupassen, die im hinteren Zimmer noch die Kisten füllen. Außerdem mögen meine Gelenke den Rucksack, den ich täglich mit mir herumschleppe, immer weniger. BTW. Ich finde es gut, diese Signale recht früh zu bekommen, bei 15 Kilo und nicht bei 30-40. Genauso wie ich den Raucherhusten auch schon bei 5 Zigaretten am Tag bekam.
Die Reaktion meines Körpers war interessant. 24 Stunden Verständnislosigkeit und Panik. Magenschmerzen vor Hunger, Herzklopfen, Unruhe, Blutdruckkapriolen. Ich sagte mir schon: Na prima! Wenn das so weitergeht! und vermutete irgendeine hormonelle Intrige dahinter. Aber dann war Ruhe. Mal schauen, wie lange.
Außer Pixelschubsereien passierte ansonsten nicht viel und es gelang mir, die Wohnungs-Putzaktion noch einen weiteren Tag aufzuschieben.

Frau Kaltmamsells Nachdenklichkeit zum Thema Introverts beschäftigte mich sehr, bin ich das doch ebenfalls. Irgendwann habe ich es einfach aufgegeben, so zu tun, als wäre ich auch kontaktfreudig und offen. (Schwierige Sache, es gab Networking-Empfänge, die hab ich auf dem Klo versteckt zugebracht, damit keiner sieht, daß ich mich allein, die Leute beobachtend, viel wohler fühle.)
Ich kenne drei Zustände von Introvertiertheit:

Hieronymus im Gehäus

Melancholia, ebenfalls Dürer, wenn auch heute als Begriff negativ besetzt

Katze auf dem Schrank

Fisch im Aquarium

Letztes ist eindeutig die am wenigsten schöne Existenz, weil damit verbunden ist, daß sich alle anderen amüsieren und ich nur zusehe. Die drei oberen Existenzzustände sind dagegen himmlisch. Einmal ungehemmt denken in sicherem Schutz, einmal sinnieren in offener Landschaft, zum nächsten Flug bereit und einmal alles sehen, aber nicht gesehen werden und nur Kontakt aufnehmen, wenn mir danach ist.
Ich habe in meinem Leben oft Kommunikatoren an meiner Seite gehabt, das hat mir viel Energie erspart und manche Kontakte erst möglich gemacht. Und es gibt das Internet. Für Introverts, wie viele schon feststellten, ein Segen. Viele schütteln den Kopf, sagen „Pseudokontakte“ und begreifen nicht, daß Leute wie ich aus einer Kneipe nur genervt und geschlaucht herausgehen, während sie drei neue Verabredungen haben. Die Belastbarkeit und Authentizität von Kontakten über das Internet ist enorm, wenn man die Menschen nicht mit dem großen Kescher fängt.
Partnerschaft ist wichtig für mich. Ich brauche eine Weile, bis ich mich einlassen kann. Aber zu wissen, daß da ein sicherer Kontaktpol ist, den ich nicht erst aufsuchen oder auf Bereitschaft prüfen muß, ist existenziell wichtig für mich. Gleiches biete ich auch. Es könnte nämlich sonst sein, daß ich garnicht mehr aus dem Gehäuse rausfinde. (Komische Art, über die Liebe nachzudenken.)
Manchmal brauche ich es, ins wahre Leben einzutauchen. Mein Taucheranzug sind Kleid, Schühchen, Mantel, Schminke, Frisur. Ein guter Abend mit Freunden ist elektrisierend und inspiriert mich ungemein, Kino, Konzerte und Oper genauso. Noch lieber sind mir die Zweierbegegnungen, vertraute Gespräche. Die Leute bei Großveranstaltungen reihenweise klar machen, das sollen andere.
Ich habe ewig nicht begriffen, daß ich keinen Schaden habe, habe ich mich doch in einer Branche bewegt, wo Extroverts die Regel sind, sondern einfach anders bin. Daß es wichtig für mich ist, allein zu sein, um mich zu regenerieren. Vielleicht haben die letzten Jahre deshalb auch so viel Kraft gekostet: Job in einer Extrovert-Branche, Branche in der Krise, noch mehr Extrovert-Fähigkeiten wichtig, Partnerschaft mit einem extremen Extrovert (der dafür kompletten, tageweisen Rückzug in seine Wohnung brauchte, was für mich wiederum extrem problematisch war), irgendwann Knall-Krach-Peng. Man sammelt ja sonst keine Erfahrungen…
Jetzt ist das alles noch im Neuaufbau, aber diesmal ohne Provisorien, sondern mit Raum an den richtigen Stellen.

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3 Gedanken zu „27.3.

  1. Beim Anblick der Variante Aquarium (klasse Idee, diese Systematik) wurde mir schlecht: Alle können einen anglotzen, es gibt keine Rückzugsmöglichkeit – Panik! Letztes Jahr gab es eine Veranstaltung, auf der ich mich genau in dieser Situation wiederfand, entsetzlich.

  2. Ich sehe es ja eher umgekehrt. Ich hinter der Glaswand, die anderen nciht erreichend, die sich hervorrragend amüsieren.

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