25.9. 10

Der angekündigte Sturm kam auf. Er fetzte an den Palmen auf der Terrasse und jagte die Wolken über den Himmel. Ab und zu regnete es, aber immer wieder zu wenig. Selbst die vier Stunden Landregen vor zwei Tagen wurden innerhalb kürzester Zeit von der Erde aufgesogen. Das Meer in der Bucht produzierte die ersten dramatischen Gischtbögen. Das sei aber alles noch nichts, meinte der Gastgeber. Ein richtiger Sturm putze allen Sand vom Strand und käme bis über die Uferstraße.
Wir nutzten den Vormittag für Lebensmittelnachschub. Scheinbar macht Katastrophenwetter aus Menschen vorsichtige Wesen. Lieber die Vorräte aufstocken, falls man die nächsten Tage eingeschlossen in Haus verbringt.
Da Samstag war, begegneten uns die ersten Paare, die im Spaziertrott Kinderwagen schoben und ältere Herren standen in Grüppchen an der Mole und diskutierten scheinbar weltbewegende Themen.
Im Gemüseladen war der Teufel los. Ein Dutzend älterer Damen mit Dauerwelle stand in dem kleinen Raum, zum Vorwand irgendein Gemüse in der Hand und ratschte, was das Zeug hielt. Das passiert komischerweise im Supermarkt nicht. Ich kroch förmlich hinein, um die Regale nach Pepperocini zu sichten. Aber selbst wenn dort welche gewesen wären, es wäre unmöglich gewesen, sie zu kaufen, der Händler klemmte irgendwo ganz hinten.

Den Mittag nutzte wir für einen Gang zu einem zum Verkauf stehenden Olivenhain. Er liegt auf der meerabgewandten Bergflanke, fast im Tal. Vom Sturm war dort nichts zu spüren. Ein kleiner Bach geht mitten hindurch und löst das hier allgegenwärtige Wasserproblem. Neben den Oliven stehen Zitrus-, Apfel- und Granatapfelbäume. Die Erde ist kaum steinig und feucht und fruchtbar. Die Preisvorstellungen der Verkäufer übersteigen allerdings jedes realistische Maß. Ich schnaufte über die Hügel wie eine kleine Lokomotive. Mein Kondition ist noch immer am Boden, auch wenn sie sich von Tag zu Tag bessert.

Nachmittags fuhren wir nach Süden, fast bis zur Halbinsel Sinis. Unser Ziel war dieser Felsen.
surf
Das Foto hatte HeMan bei einem Frühjahrssturm gemacht. So hoch waren die Wellen gestern allerdings nicht. Ein paar Surfer hockten wie wir im Salznebel auf dem Steilufer und sahen sich an, ob es sich lohnt, dafür ins Wasser zu gehen. Aber der Wind ging nicht exakt durch den Tunnel und so blieben die Wellen zu klein.
Nach einem Cappuccino zogen wir ein paar Kilometer weiter an einen Sandstrand. Auf den ersten hundert Metern des Spaziergangs erwischte mich eine knöcheltiefe Welle und taufte meine Wanderschuhe. Aber gute Qualität zeigt sich daran, daß man hinterher problemlos mit nassen Schuhe weiterlaufen kann und es nicht einmal merkt.
Der Gastgeber suchte nach interessantem Treibgut. Sein Haus ist voll von Materialarrangements. Ihm hatten es, neben Muscheln und Treibholz, vor allem lackierte Bootstrümmer und Nylontaue angetan, die intensive Farben haben. Schon am Anfang unseres Weges lag ein großes blaues Fischernetz. Als wir uns einige Kilometer weiter zum Ausruhen in die Sonne legten, taten wir das auf einer massiven rechteckigen Platte aus geteerten Holzbrettern, die mit riesigen Bolzen zusammengeschraubt war. Vielleicht ein Ruderblatt eines Holzschiffes, das in einem Sturm abgebrochen war. Nach gut einer Viertelstunde dreht sich das Gespräch nur um ein Thema: Wie bekomme ich dieses einige Zentner schwere Trumm nach Hause? Ins Wasser ziehen und rudern verwarfen wir wieder, obwohl ich anbot aus meinem Taschentuch ein Segel zu machen, das geht schließlich in jedem Cartoon problemlos. Also mußten wir mit dem Auto vorliebnehmen, das einen guten Kilometer entfernt stand.
Wenn dieser Mann sich etwas in den Kopf gesetzt hat, dann zieht er das durch. Das kommt mir sehr bekannt vor. Ich teste ja auch immer mal mit dem Kopf an der nächsten Wand, ob ich durchkomme. Hier war es nun eine mit Salzwasser vollgesogene fünfzehn Zentimeter dicke Holztafel.
Da sich im Strandgut nichts zum Rollen oder Schleppen fand – manchmal gibt es liegengebliebene Bootstrolleys – blieben nur das einige hundert Meter entfernt liegende Fischernetz, das groß und vielleicht auch stabil genug wäre oder das Abschleppseil aus dem Auto.
Ich bewachte unseren Schatz, indem ich dösend darauf liegenblieb und der Gastgeber sammelte das Netz ein und fuhr das Auto zum nächsten Dünenzugang. Wir versuchten, das Teil in das Netz einzuwickeln, um es zu zweit zu ziehen, aber das schien nicht stabil genug. Also banden wir das Abschleppseil darum. Was zur Konsequenz hatte, das das Ziehen eine Solopartie wurde. Da mich das Gewicht der Platte nur nach hinten zog, war es eine Einmannnummer, die dort stattfand.
Jeder dort zufällig vorbeikommende Italiener hätte uns bekloppten Deutschen den Vogel gezeigt, wie wir monströsen Müll den Strand langtreckten. Noch besser wäre es gekommen, hätte ich mein Clean-Ocean-Project-Shirt getragen und ein verklärt-bekifftes Gutmenschengesicht gemacht, als ich mit dem im Sturm wehenden Netz nebenher ging und im Kopf memorierte, wie das mit der Erstversorgung von Bauchwandbrüchen und Bandscheibenvorfällen ging. Aber es alles wurde gut. Nach den hunderfünfzig Metern Strand kam der lange Holzsteg über die Düne. Es gibt im Sportfernsehen Übertragungen von absurden Wettbewerben, in denen bullige Männer unter Anfeuerungsrufen Trucks zogen. Das könnte die Qualifikation dafür gewesen sein.
Ein Mann muß tun, was ein Mann tun muß. Und so, wie John Wayne fortreitet, um den Wilden Westen zu retten und danach heil zurückkommt, brachte der Gastgeber das Holzmonster zum Haus auf den Berg, lehnte es an die Wand, wischte sich den Schweiß ab und freute sich, pünktlich zur Sportschau zurück zu sein.
brett
Ich spielte wieder Hexenküche. Auf ein Backblech kamen Öl und zwei Kilo halbierte längliche Tomaten (fest und fast trocken sind sie in der regenfreien Zeit) mit der Schnittfläche nach unten. Ich schaltete den Grill an und wartete, bis sich die Schalen schwarz färbten, hob sie ab, zerdrückte die Tomaten mit der Gabel und gab Knoblauch, etwas an der Küste gesammeltes Salz, Pfeffer, Petersilie, Basilikum und noch einen ordentlichen Schuß Öl dazu. Dann kam das Blech noch für eine halbe Stunde in den Ofen, damit sich der Saft endgültig reduzierte. Das Ergebnis ist eine stückige Tomatensoße mit phänomenalem Geschmack.
sugo
Nebenher holte ich Venusmuscheln aus dem Kühlschrank und gab sie in ein Gefäß mit Wasser. Bald blubberten und kackten sie vor sich hin. Lebendig und fidel. Neulich im Restaurant hatten sie sogar Wasserfontänen gespuckt, aber dafür war ihnen wohl zu kalt. Ich machte einen Sud aus angeröstetem Tomatenmark, Zwiebeln, Knoblauch und Weißwein, entschuldigte mich bei den Muscheln und dem Universum und warf sie in den Topf. Die Spaghetti kochten auch schon.
Und so gab es nach den Abendnachrichten eine Kostprobe der Tomatensauce auf geröstetem Ciabatta und als zweiten Gang Spaghetti Vongole. Völlig versalzene Spaghetti Vongole, als sei ich die verliebteste Köchin der Welt. Ich hatte beim Salzen des Nudelwassers die Tupperdose mit dem groben Salz ein wenig zu heftig geschüttelt und die Muscheln hätten gar kein Salz gebraucht. Das passiert mir höchst selten, aber wenn, dann gründlich.
Der Gastgeber aß alles tapfer auf. Und ich ärgerte mich gründlich, nachdem dann auch noch meine glutenfreien Maisspaghetti in pampige Stücke zerfielen. Salz macht Durst und so machten wir eine zweite Flasche Weißwein auf und spielten Backgammon. Mittlerweile will ich aus dem Bauch raus spielen. Von den Erklärungen des Gastgebers läuft mir ohnehin der Arbeitsspeicher über. Jetzt will ich jeden blöden Fehler einmal mache und mich daran erinnern, was ich zu diesem Thema schon gehört hatte. Das schöne an dem Spiel ist, daß selbst ein Greenhorn wie ich ab und zu gewinnen kann.
Nach drei Runden erinnerten ich mich meine bleischweren Augenlider daran, daß ich heute kilometerweise im Sturm durch den Sand gestampft war. Ich ging im nachlassenden Brausen und Fensterlädenklappern schlafen.

Btw. Ich bitte um Entschuldigung, daß ich derzeit auf Kommentare nicht eingehe. Die Onlinepower reicht gerade, um die offline geschriebenen Postings auf den Weg zu bringen.

Und noch was. Der Gastgeber hat ein paarmal mitgelesen und sich einen ordentlichen Nickname erbeten. Mein Hirn raucht schon vor Überlegung. Prospero aus Shakespeares Sturm wäre für diesen mit beiden Beinen auf dem Boden stehenden Mann zu abgehoben. Kapitän Nemo, der Überheld meiner jugendlichen Jules-Verne-Lektüre, kurz Nemo genannt wird im allgemeinen von der Assoziation eines organgefarben gestreiften Fischas überdeckt. Wenn ich bei den Comics suche – dort hat HeMan seinen Namen schließlich her, habe ich das Problem, daß Alexander Nikopol zu sehr nach dem jüngeren Bruno Ganz aussieht. Und so lande ich mit einigen Gedankenrösselsprüngen bei Matteo Tedesco, kurz M.T. Klingt nach E.T., denn nach Hause telefonieren will er des öfteren.

2 Gedanken zu „25.9. 10

  1. so erfrischend, hier miturlauben zu können.
    ich geh jetzt ein kerzlein für die gekochten muscheln anzünden und versuche ihre tomatensauce nachzukochen.
    und grüße an matteo t.

  2. mit deinen zeilen nimmst du auch mich direkt mit auf die insel. danke dir dafür!
    ich wünsche dir bei matteo auch weiterhin eine wunderbare zeit und gute erholung.

    ganz liebe grüße sendet

    meta morfoss.

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