Das mit den Ämtern ist so eine Sache. Ich muß das Konto für den Kindergeldbezug ändern und fahre dafür ganz hinten nach Neukölln.
Kindergeldkasse 1: Eine Stunde Wartezeit. Ein junger Angestellter, sorry Fallmanager hinterm Tresen sitzend. Ich darf mich davor stellen.
Ickeso: Warum kann man sich hier nicht setzen, sondern muß vorstellig werden?
Erso: Wenn sie nicht stehen können, können Sie sich dahinten in der Ecke auf den Stuhl setzen.
Da war ich erstmal richtig gut gelaunt. Wahrscheinlich hat man den Tresen zum Schutz vor wütenden neuköllner Ureinwohnern vor den Fallmanager gestellt.
Erso: Sie sind hier übrigens falsch. Die Akte ist in Berlin Nord, wir sind Berlin Süd.
Ickeso: Ah ja…
Erso: Wir können die anfordern, das dauert aber.
Ickso: Das muß heute passieren.
Erso: Dann müssen Sie nach Berlin Nord.
Ickso: Geben sie mir bitte Adresse und Ansprechpartner. (Im Geiste ein Zackzack! hinterhergesetzt, so muß man mit solchen Typen reden.)
Ich fahre nach Berlin Mitte und parke auf der Rudi-Dutschke-Straße zwischen zwei Baufahrzeugen, betend, daß mich niemand abschleppt.
Kindergeldkasse 2: Wartezeit eine Stunde inmitten laut ins Handy plappender Kopftuch-Türkinnen. (Ich wüßte gern, worüber die Mädels immer so laut reden. Kerle? Kochrezepte?) Hinter mir diskutieren zwei Anwärter auf eine RTL-Reality-Soap darüber, daß ihnen das hier alles zu Scheiße und zu stressig ist und machen sich gegenseitig dafür verabtwortlich. Sie eine bleiche Teenager-Mutter, er noch ein Eckchen jünger, sprachbehindert und in HipHop-Kluft. Vor ihnen ein stilles, blasses Kind im Buggy. Als es einen Keks wegwirft, bekommt es von Mama eine geballert. Dazu zwei SintiundRoma-Pärchen in Betriebsausfluglaune (da haben nur die Männer Handies) und drei maschinengewehrartig kommunizierende Kasachinnen in Pelzmänteln. Dann saß ich vor einer mütterlichen ältern Dame. (Saß!) Die legte Ihr Gesicht in Sorgenfalten.
Dameso: Sie sind hier falsch.
Ickeso: Oh Nö!
Dameso: Das hier ist die Kindergeldkasse Mitte, wir sind für den Wedding zuständig. Nord ist ein Stockwerk tiefer.
Ickeso: Sch…! Es ist zehn vor zwölf!
Dameso: Da unten ist immer leer, das wird schon klappen.
Ich gehe ein Stockwerk tiefer. Dort sitzen wieder die vier SintiundRoma und ich erwarte, daß sie gleich anfangen zu singen und zu tanzen, so fröhlich sind sie. Außerdem sind noch einige gutgekleidete deutsche Herren anwesend, steifhüftig und im Rentenalter. Bei der Kindergeldkasse. Vielleicht müssen die was regeln für das Kind, das sie in der dritten Ehe mit ihrer jungen ukrainischen Ex-Pflegerin, jetzt Gattin, gezeugt haben… Wer weiß. Schließlich ist diese Kasse für Charlottenburg/Wilmersdorf zuständig.
Fünf nach zwölf. Ich hoffe inständig, daß ich noch drankomme. Die SintiundRoma gehen. Sie haben auch hier einfach nur ein bißchen rumgesessen und sich Döneckes erzählt. (Vielleicht hatten sie Pause und sind anschließend wieder mit ihren Bettelkärtchen und „Do you speak english?“ auf der Friedrichstraße unterwegs.)
Früher hatte ich mal Termine auf einem Amt, da liefen alle Mitarbeiter um neun Uhr mit einer Kaffeetasse in der Hand in einen Raum und kamen erst eine Stunde später wieder raus und machten gut gelaunt und gestärkt weiter. Das könnte jetzt auch so sein. Die ersten trudeln über den Gang in Richtung Mittagessen…
Aber nein, ich komme noch dran. Eine Jungdynamikerin erledigt alles freundlich und zuvorkommend innerhalb einer Minute.
Mann Mann Mann.
Dann Jobtermin und abends Vernissage bei einer Bekannten, die einmal im Jahr Kunst in ihrem Großraumbüro ausstellt. Leider sind die Sachen diesmal unterirdisch schlecht. Kapitalismuskritik mittels mieser Fotos. Die Schnappschüsse in der Shoppingmall sind per Handy gemacht (schnell! flüchtig! qualitätlos!) und die Fotos der Einzelhändler mit einer Mittelformatkamera (ikonisch! detailreich! warme Farben!). Brauchenwer nicht drüber reden. War übrigens ein Stipendium von Goethe-Institut.
ach liebe frau koma,
vielen dank, dass sie ihre kostbare lebenszeit für solche ärgernisse verwenden, denn ihre leser genießen es einfach, diesen text zu lesen!
:) danke! es ist ja auch so erleichernd, die sachen aufzuschreiben. wenn mir so was passiert denke ich immer: paß bloß auf, du! dich verwurste dich auch noch in einem blogtext.