Warnung: Die folgenden Zeilen enthalten sehr persönliche Bekenntnisse. Wahrscheinlich stehen sie nicht am richtigen Ort, wären im Verborgenen doch besser aufgehoben.
In den Sommermonaten habe ich irgendwann in einem Gespräch mit einem Freund gesagt: Das ist nicht mein Jahr. Was in dieser Weise nicht stimmte. Es war mein Jahr. Es war das Jahr, in dem ich es endlich geschafft habe, mal einen Blick in meine Gebrauchsanweisung zu werfen. Was mich mit Sicherheit nicht davor schützt, dieselben Fehler immer wieder zu machen. Dazu sind wir schließlich auf der Welt.
Die ersten drei Monate erinnere ich nur noch im Zusammenhang mit HeMans Sofaecke, in der ich mich zusammenrollte. Todmüde, schlafend und ziemlich unglücklich. Wie eine streunende Katze, die ein ruhiges Plätzchen gefunden hat und es mit Krallen und Fauchen verteidigt. Die emotionale Unsicherheit hat mich überfordert. Das Kind, das seinen eigenen Lebensentwurf mir gegenüber verteidigte und sein Studium schmeißen wollte. KKM, die ich im Krankenhaus und später im Pflegeheim besuchte und die mich in den ersten Wochen immer wieder fragte: Muß ich jetzt in die Grube? und ich sagte natürlich: Nein Oma, dazu bist du noch viel zu fit! Bis sie mich irgendwann nicht mehr fragte und ich ihr das auch nicht mehr hätte antworten können. Meine Arbeit, die darauf beruht, dass andere Menschen auf meine Ruhe und meine Kraft vertrauen und mich brauchen. Dabei habe ich sehr dringend selbst die Kraft anderer gebraucht. Ein Beziehungsentwurf, den ich so nicht leben konnte und wollte. Mögen das auch hunderte andere machen, ein Paar zu sein in getrennten Wohnungen, das kann ich nicht.
Ich bin immer wieder mit der Nase darauf gestoßen, dass mein Selbstbild: Ich schaffe alles allein, ich brauche niemanden, anfing zu blättern und zu bröckeln. Die Erkenntnis, dass ich mir jede Menge Menschen und zweifelhafte Sicherheiten in den Hintergrund gebaut hatte, um dann meine Lonesome-Cowgirl-Nummer zu spielen, brauchte Monate. Um die Fähigkeit zu entwickeln, die Hilfsangebote und Signale anderer zu erkennen und anzunehmen, habe ich wiederum Monate gebraucht.
Das alles wurde ausgelöst durch den im Grunde genommen vorhersehbaren Tod eines alten Menschen. Ich hätte nie gedacht, dass der Mensch, der einem den ersten Jahren des Lebens der nächste und der zuverlässigste ist, ein solch starker Anker ist. Je älter KKM wurde, desto weniger war sie für mich die Respektperson meiner Kindheit, desto mehr habe ich mich von ihr entfernt. Trotzdem, im hintersten Winkel meines Kopfes gab ihre Existenz mir die Gewissheit, dass ein Mensch in der Nähe ist, zu dem ein kleines weinendes Mädchen laufen kann, das gerade hingefallen ist.
Ich wünsche mir manchmal die Fähigkeit, Trauer, Wut und Verzweiflung in Energie verwandeln zu können, egal, wie anarchisch sie ist. Bei mir wird immer Energieverlust daraus. Ich bin wie gelähmt, lethargisch und werde am Ende krank. Ich habe im Sommer Monate an meinem Schreibtisch gesessen, die Telefonate entgegengenommen, als wäre ich meine Sekretärin und habe ins Leere gestarrt. Es hat lange gebraucht, bis ich in der Lage war, meinen Zustand überhaupt zu begreifen. Um Hilfe zu bitten und Hilfe anzunehmen, Hilfsangebote zu erkennen und zu nutzen, das hat noch eine Weile länger gedauert. Zumindest weiß ich jetzt, dass ich nicht immer bis zum Generalzusammenbruch durchhalten muss. Ich weiß jetzt auch, dass ich Signale, die mir Körper und Seele senden, tatsächlich ernst nehmen muss und nicht als zu bekämpfende Schwäche interpretieren darf. Und ich weiß, dass sie da sind wenn ich sie brauche. Das Kind, die Freunde, der Mann.
Wenn ich mal einen Strich unter diesen Seelenstriptease mache und zusammenfasse:
1. Zugenommen. Viel zu viel.
2. Kurzsichtiger. Aber die Arme sind noch lang genug. Auf dem Bauch liegend kann ich allerdings nicht mehr lesen, das wäre dann schon eine Yogaposition.
3. Haare länger. Wieder die Originalhaarfarbe, aschblond, eine kleine graue Strähne ist dazugekommen.
4. Sex. Reden wir mal von was anderem.
5. Freunde. Erkannt, was Freunde wert sind.
6. Verwandte. Keine Illusionen mehr.
7. Musik. Weiß nicht, war alles eher nebenbei.
8. Film. No Country for Old Men zumindest vom cineastischen her. Vom emotionalen Schmetterling und Taucherglocke. Vom Spaß her Wall e.
9. Bücher. Sandor Marai: Die Glut, mit Verspätung wie die meisten Bücher.
10. Die wichtigste Sache von der ich jemanden überzeugen wollte. Das mein Vater zur Beerdigung seiner Mutter erscheint und sich damit folgerichtig seine Frau, meine Mutter, auch nicht weigert zu erscheinen. Obwohl es ihm schlecht ging.
11. Der größte Fehler. Siehe oben. Meinen Vater davon zu überzeugen, zur Beerdigung seiner Mutter zu erscheinen. Obwohl es ihm schlecht ging.
12. Das schönste Erlebnis. Zwei Hochzeiten.
13. Das schönste Geschenk, das ich bekommen habe. Halt, Zuverlässigkeit und Aufmerksamkeit.
14. Das schönste Geschenk, das ich gemacht habe. Vielleicht, zu akzeptieren, dass meine Tochter ihren eigenen Weg gehen will.
2008 war, mit drei Worten, hart, bahnbrechend und wegweisend.
Was Sie in ein einziges Jahr packen, dazu brauchen andere ein Jahrzehnt, sofern sie denn überhaupt zu einem solch tiefgreifenden Lernprozess bereit sind. Respekt, Frau Kitty – und: Yes, you can !
Ja, auch mein Respekt. Und…ich habe fast Ähliches erlebt und bin wieder mal erstaunt oder eigentlich auch wieder nicht, nur verwundert, mit welcher Treffsicherheit und wieso überhaupt ich mich immer wieder hier her gezogen fühle. Es muss so etwas geben, eine Art Gleichklag oder ein Mitschwingen ein sich Einlesen in Worte, die die eigenen hätten sein könnten. Wer sagt eigentlich, dass das Leben einfach sei soll…? Alles Gute und noch viele weitere gute Erkenntnisse aber auch Erlebnisse… !
Ich sehe den Text ja wie ein Stöckchen, wenn ich das Resümee betrachte. Ich kann da sehr vieles nachvollziehen. Bei mir hat sich das vor drei Jahren insofern analog abgespielt, als ich (so wie alles allein bewältigen zu wollen) mir erstmalig zu gestand, in einem Projekt scheitern zu können. Das war ein sehr merkwürdiges Gefühl damals. Und sehr befreiend.
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Und 2008?
1. Zugenommen. Nich so viel, aber da war schon zuviel:(
2. Ich sehe etwas schlechter. Und manche Positionen beschweren mich als wären sie Yogapositionen.
3. Haare ganz normal wie immer. Im Bart gibt es mehr graue Haare.
4. Sex. Reden wir mal von was anderem.
5. Freunde. Ich habe schon vor einem Jahr versucht, allfällige Differenzen zu entschärfen. Heute sehe ich das Thema ganz gelassen.
6. Verwandte. Streitereien mit Verwandten sind aufgelöst. Distanziertes Verhältnis zu meiner Schwester, die sich aber offensichtlich freut, dass ihre Tochter regelmäßig bei uns ist. Mit ihren Söhnen haben mir null Kontakt.
7. Musik. Spielt eine extrem wichtige Rolle in meinem Leben und hat 4 nahezu vollkommen abgelöst.
8. Film. Erinnernswert „Mr. Hollands Opus“, den ich heuer wieder gesehen hatte oder „Wie im Himmel“, das schon länger her ist.
9. Bücher. wesentlich weniger Belletristik gelesen als die Jahre zuvor. Viele Anregungen kommen jetzt für mich aus den einzelnen Blogs. Z.B. „Die Eleganz des Igels“. Fachliteratur gehört halt zu meinem Job.
10. Überzeugung: ich habe ganz feste Überzeugungen in meinem Job. Früher wollte ich immer missionieren. Das ist jetzt in der Vorlesung in Leipzig konzentriert und im täglichen Leben habe ich Überzeugungswillen abgelegt. Das ist manchmal auch nachteilig.
11. Überzeugung, Fehler: siehe letzter Satz von 10.
12. Das schönste Erlebnis. Die Hochzeit meiner Tochter. Dauererlebnis: das Heranwachsen meiner EnkelInnen.
13. Das schönste Geschenk, das ich bekommen habe: Die Versöhnung von Frau Columbo. Wir führen wieder eine richtige Ehe mit Vertrauen, Halt, Aufmerksamkeit und dem Gefühl, dass es schön ist, dem anderen etwas Gutes zu tun.
14. Das schönste Geschenk: der Punkt geht für mich als Egoisten vorbei. Aber ergänzen möchte ich, dass ich allen meinen Kindern den eigenen Weg gegönnt habe und mich sehr darüber freue, was sie aus ihrem Leben gemacht bisher gemacht haben. Das ist ein wundervolles Gefühl. – Und ich finde es die größte Errungenschaft in deiner Darstellung, wenn dir das heuer gelungen ist.
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danke! :)
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oh danke, aber mir wäre lieber gewsen, wenn ich es hätte auf ein paar jahre verteilen können, wirklich. wenn ich in den spiegel sehe, weiß ich: so was macht älter, unübersehbar.
REPLY:
7 als ersatz für 4. auch nicht schlecht. darf ich ketzerisch bemerken, daß ich dafür mindestens noch 15 jahre zeit habe? aber es kommen ja auch wieder andere zeiten.
das mit der ehe finde ich gut. je äler ich werde, destokonservativer werde ich in dieser hinsicht.
Das peinlichste: Ich habe gerade auf meinem Laptop drauf geweint.
Mein geheimes und nun öffentliches Resümme:
1. Abgenommen.
2. Kurzsichtiger. Ich kann selbst mit Brille nicht mehr gut abwaschen. neue Brille oder Geschirrspülmaschine?
3. Haare länger. Wieder die Originalhaarfarbe. Dieses Jahr auf 3 cm gewesen, so wie meine Nerven.
4. Sex. Ja. Wie konnte ich nur drauf verzichten? Wie kann einen der Entzug von Körperlichkeit in einer Beziehung so sehr verletzten?
5. Freunde. Erkannt, was Freunde wert sind. Sie haben leise Vorwürfe gemacht sie seien auch da wenn ich nicht „funktioniere“.
6. Verwandte. Es geschehen noch zeichne und Wunder. Und auch dort die Angst vor Einsamkeit.
7. Musik. Madonna singt wenn sie ein Mann wäre, wäre sie President. Recht hatse. johnny Cash – läuft jetzt.
8. Film. Ich habe gerade mal zwei gesehen?! Ich weine bei SATC wie ein Schlosshund, und das nicht weil ich mir die Handtaschen nicht leisten kann.
9. Bücher. Beschlossen welche zu schreiben. Mal wieder.
10. Die wichtigste Sache von der ich jemanden überzeugen wollte. Dass ich die Richtige bin.
11. Der größte Fehler. Siehe oben.
12. Das schönste Erlebnis. Paris. Sex.
13. Das schönste Geschenk, das ich bekommen habe. Alles selbstgekauft. Aber vielleicht doch…
14. Das schönste Geschenk, das ich gemacht habe. Ich weiss nicht, konnte ich etwas Liebe geben?
Insgesamt das schlimmste Jahr, zurückgeworfen auf sich selbst, auf eine Beziehung die nicht in zwei Wohnungen funktioniert (ja, KK, bist nicht die einzige…), zurückgelassen mit der Erkenntnis dass ich BIN.
In meinem Horoskop steht drin 2009 wird eines der besten Jahre meines Lebens. Na dann.
Komm gut wieder und schöne Weihnachten.
Wir sind schon seltsam, wir bloggende MENSCHEN.
Jetzt ver-linke ich dich. Schöner Blog.
Beware Sie dir im Herzen. Der geliebte Mensch, den du verloren hast, wird dein Handeln in deinem Sinne beeinflussen, da er Teil deines Denkens ist.
REPLY:
danke, ja, da ist eine menge von ihr in mir drin.