Auch die Hirne von Menschen mit dem Makel analytischen Denkens können Spuren von Aberglauben aufweisen. Daher war ich ganz froh, daß ich gar nicht realisierte, daß Freitag der Dreizehnte war. Wer weiß, was mir sonst passiert wäre.
Und dann handelte es sich auch noch um den 13. August. Ein Tag, den Menschen in meinem Leben im Jahr 1961 völlig unterschiedlich erlebten.
Die Eltern meines Ehemanns faßte sich an den Kopf: das ging doch garnicht. Man kann durch einen Stadtkörper doch keine Mauer ziehen! Da hängt doch alles miteinander zusammen, die Bahn, die Straßen, die Kanalisation, der Strom, das kollabiert bei Trennung. Mein Schwiegervater wollte am nächsten Morgen wie immer in einem der Westsektoren auf den Bau fahren (er war einer derjenigen, die gutes Westgeld verdienten und das billige Leben der DDR mitnahmen, wie man diesem Menschen vorwarf) und kam nicht mehr durch. Meine Schwiegermutter war froh, daß er nicht womöglich von Mauerbau im Westen überrascht wurde und „drüben“ geblieben wäre.
Meine Eltern dagegen wurden vorfristig und minderjährig in die SED aufgenommen. Sie patroullierten in dieser Nacht im Auftrag der Partei durch Leipzig. Die Regierung hatte Angst vor Unruhen. In den Jahren vorher waren sie auf Deutschlandtreffen, in denen es um den Erhalt der Einheit ging. (Man erinnere sich: Deutschland, einig Vaterland, die Zeile der Nationalhymne, wegen der der Text irgendwann garnicht mehr gesungen wurde)
Ich bin froh, daß ich den Fall der Mauer in einer Lebensphase erleben konnte, in der ich mit den völlig neuen Perspektiven und Möglichkeiten nur gewinnen und nicht verlieren konnte.
Ich wiederum beschäftigte mich am 13. August damit, endlich das Umzugskistengebirge im Nestchen abzubauen. Was nicht so einfach war. Der geübte Umzieher packt in die Kartons eine Schicht Bücher und dann in Wäsche oder Klamotten gewickeltes Geschirr. Da aber die Küche noch in Arbeit ist (meine Stichsäge war verschollen und ausgerechnet sie stand nicht auf meiner akribischen Liste, die alle Gegenstände der Kistennummerierung zuordnet), gestaltete sich das Auspacken sehr umständlich. Die Klamotten und die Wäsche mußten extrahiert und anschließend die Bücher von unten herausoperiert werden. Dann wurden die Küchenutensilien in wenige Kisten eingedampft und unter Beachtung erhöhter Zerbrechlichkeit wiederum gestapelt. Aus fünfundzwanzig Kisten wurden am Schluß fünf und ein Sack Textilien, von denen ich mich endgütig trennte. Die zarten Weißnähereien mit der handgeklöppelten Spitze hatte noch immer Bleiberecht. Wer allerdings einmal auf einem Kopfkissen mit Biesen und Spitze geschlafen hat, weiß, das das bleibende Muster i Gesicht erzeugt.
Immer wieder kamen Bücher zum Vorschein, meine Regale waren aber schon voll. Ich beschloß, alle Literatur, die ich im Netz finden konnte, nur noch in der Festplattenbibliothek zu führen, es sei denn, es handelte sich um bibliophile Ausgaben. – Nebenbei, der Bellamy war immer noch nicht aufgetaucht. Ich hatte eine wunderschöne leinengebundene Ausgabe mit Illustrationen.
Dann lasierte ich nochmals das Bett. Dessen Terpentingeruch mich den ganzen Tag über völlig dösig machte. Es handelte sich zwar um sehr angenehm riechende Öle, nicht dieses fiese flachdeutsche Kiefernzeug, aber es reichte trotzdem.
Um sechs Uhr abends hatte ich mein absolutes Freitagsdown erreicht und fuhr nach C-Burg. Ich schlief eine halbe Stunde, dann aßen wir ene Kleinigkeit und machten uns auf ins Kino, um Das Konzert zu sehen.
Dicke Empfehlung, den Film muß man gesehen haben, weil Lachen, Weinen und Gänsehaut ganz dich nebeneinander liegen. Nebenbei bemerkt, man hätte aus diesem Thema auch einen fürchterlich dramatischen Befindlichkeitsfilm machen können, nach dem man sich nur noch erschießen will, so gefiel er mir wesentlich besser.
Vielleicht sehe ich ihn mir noch einmal im Original an. Er sollte eine schöne Mischung Russisch und Fränzösisch haben, der ich folgen kann.
Den anschließende Rotwein im schwarzen Café hätte ich mir sparen sollen, er machte mir schon beim ersten Schluck Kopfschmerzen.
Tja, sollte es Zufall sein, dass mich eine gewesene Freundin, die offenbar gerade mitten in einer Psychose steckt, überfallartig angerufen hat und mir in zunehmender Aggressivität Episoden aus ihrem Leben erzählt hat?!? An einem angenehmen, wohlgestimmten Freitag, den 13., brauchte ich doch die eine oder andere Minute, um in den Exit-Modus zu gelangen.
Ich lese übrigens über das Voranschreiten Ihres Nestchens und beruflichen Wechsels gern mit. Machen Sie gern weiter so mit dem Tagebuchbloggen, ich lese mit. Setzen Sie’s fort, so lange Sie Lust dazu haben…