1.-3.10. 10

Die Zeit begann schon wieder zu rasen.
Seminar am Freitag und Samstag. Diesmal waren es überwiegend Leute, die schon im Beruf sind. Das war noch mal etwas ganz anderes. Könnte sein, daß ich als Coach weitergereicht werde. Das wäre schön.
Ich frage mich, warum so viele Firmen scharf darauf sind, unbedingt mit jungen Leuten zu arbeiten (jetzt mal abgesehen von Technologievorsprüngen). Die Frauen zwischen 35 und 48, mit denen ich am Wochenende zu tun hatte, sind wesentlich unanstrengender, weil sicherer und erfahrener. Vielleicht hier und da ein bißchen müde und abgeklärt, aber das machen sie mit Effizienz der Routine wett. Mich würden ausschließlich aufgeregte Hühner und Supercheckermachos, die noch nicht richtig wissen, wo es in ihrem Leben hingeht, ziemlich nerven.
Am Samstag abend passierte leider wieder das übliche: Ich ging ziemlich aufgedreht langsam in den Sinkflug, sagte mir: Ich leg mich jetzt mal ein Viertelstündchen hin und wachte kurz vor zwölf Uhr nachts wieder auf. Und so kam es, daß ich Frau Modestes Einweihungsparty verschlief.

Am Sonntag hatte das Kind Besuch von den Großeltern. Ich war natürlich mit von der Partie. Schon ulkig, bei solchen Gelegenheiten plötzlich nicht mehr Gastgeberin zu sein. Das Kind hatte die wunderbare Idee, nicht wie üblich mit den älteren Herrschaften den ganzen Tag um den Tisch zu hocken und eine Mahlzeit nach der anderen aufzutragen. Wir gingen statt dessen nach einem lecker-gesund-vegetarischen Frühstück ins Museum.
Ich hatte per Internet Zeitkarten für das Neue Museum besorgt (wieder was gelernt! die Ausrede „da fahr ich garnicht hin, da isses bestimmt zu voll“ zieht jetzt nicht mehr).
Wir fuhren mit der U-Bahn und schlenderten von der Weinmeisterstraße bis zum Dom, um bei Bandy Brooks Eis zu essen. Da meine Eltern zwar erst 66, aber nicht unbedingt gut zu Fuß sind, war das schon mal eine Riesenleistung.
(Ich möchte mir nach wie vor nicht ausmalen, wie sie sich fortbewegen, wenn sie Mitte 70 sind.)
Irgendwie stimmte an diesem Tag alles. Wunderbares Wetter, 20. Tag der Deutschen Einheit und meine Eltern sehen zu ersten Mal Berlin Mitte resp. das ehemals völlig vergammelte Spandauer Viertel im neuen Zustand. Sie gingen durch Berlin, als wären sie in einer fremden Stadt. Leicht befremdet, distanziert.
„Steht denn mein Haus der DSF noch?“, fragte meine Mutter.
„Klar!“, antwortete ich, „Das heißt jetzt Palais am Festungsgraben und im Grunde hat sich dort nicht viel verändert.“ Es war sinnlos, ihr zu erklären, das diese Immobilie einen fürchterlich deprimierenden ABM- und Alt-Stasi-Muff ausstrahlte. Als ich vor ein paar Jahren einen der Pförtner (ein Herr im dunklen Anzug, dem man seine Horch-und-Guck-Laufbahn noch gut ansah) fragte, zu welchem Preis man hier Büros mieten könne, fuhr er mich sofort an: „Wer hat Sie denn geschickt, das zu fragen?“
Aber weiter im Tag.
Wir betraten das Museum. Ein genialer Bau. Wenn man sich überlegt, wie lange daran herumgebaut wurde. – Vielleicht war es gut, daß man in den 80ern dort versucht hatte, mit dem Bulldozer zu sanieren, so war ein historisierender Wiederaufbau nicht drin.
Wir arbeiteten uns durch Sakopharge und Grabbeigaben, griechische und ägyptische Steuerquittungen, sitzende Schreiber und Kniefiguren und landeten schon reichlich müde, um abzukürzen, zu allem Überfluß in der Ur- ud Frühgeschichte Berlins.
Steinzeitscherben aus der Staße nebenan gerne, aber nicht heute.
Dann kamen wir endlich in den Raum der Nofretete. Schön präsentiert, kein Vergleich zu früher. Und immer wieder magisch, so ein Moment, in dem man etwas selbst sieht, das immer und immer wieder abgebildet wird.

Dann verließen wir fluchtartig und todmüde das Museum. Mein Vater wollte uns noch zum Essen einladen, die Location sollte ich aussuchen. Da ich keinen Bock auf die üblichen Touri-Fallen hatte, führte ich alle ins Culinario. Das ist nicht einfach, die Eltern aus der (östlichen) Provinz in einen Laden mitzunehmen, in dem man schon manche nette Stunde verbracht hat.
Das wunderbare italienische Essen: „Dieses Nudelzeug ess ick nich!“ Die Frage nach Getränken: „Ick hätt gern ne kühle Molle!“
Mein Vater ist ziemlich bürgerlich erzogen, was ihn immer wieder gern dazu animiert, den Proleten raushängen zu lassen.
Die Preise waren Gott sei Dank ok., allerdings fast doppelt so hoch wie im Oderkaff.
Vielleicht wären wir im Mirchi besser aufgehoben gewesen. Meine Eltern mögen asiatisches Essen. Im Mirchi ist alles schön bunt, scharf und mit Sahnesauce… Egal. Das nächste Mal gibts kein Toskana-Fraktion-Understatement.
Wir fuhren wieder zurück in den Wedding. Die Moschee gegenüber hatte ihren Tag der offenen Tür schon beendet. Schade. Jetzt waren nur noch die üblichen Bekloppten in den Straße unterwegs und die Gutsituierten kamen gerade mit ihren mit Grills, Kühltaschen und plärrenden Kindern vollgeladenen Autos aus dem Tiergarten zurück.
Ich holte meinem Vater noch Autoradio und Schlüssel von oben, denn die beiden hielten sich zwar tapfer, aber um keinen Preis wären sie jetzt noch einmal vier Treppen gestiegen.
Ich fuhr nach Hause, einem ruhigen Abend entgegen. The Dark Knight war mir zu speziell, aber ich ließ es so nebenbei mitlaufen und las die FAS.

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Ein Gedanke zu „1.-3.10. 10

  1. Jetzt habe ich (wegen der von Ihnen erwähnten Sahnesauce) auf der Homepage (sic !) vom Mirchi nachsehen müssen – dieses Lokal ist für mich das erste asiatische, in dem tatsächlich auch Milchprodukte verkocht werden … Ich hoffe nur, dass diese Mode nicht auf Wien übergreift, denn dann kann ich mit meiner Tendenz zur Laktoseintoleranz die Asiaten auch über kurz oder lang vergessen. :-(

    Die Elternproblematik kenne ich besser, als mir lieb ist. (Haben die beim vegetarischen Frühstück nicht gemotzt ???)

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