Casting mal andersherum

Frau Crafteln hatte bei ihrem Bericht vom Casting gefragt, wer sich denn outen möge, auch dabei gewesen zu sein. Also, ja, icke.

Als die Nachricht in der Nähnerd-Community herumging, dass es einen deutschen Ableger des Great British Sewing Bee geben würde, dachte ich erst mal: Nee, das ist nicht deins. An 12-14 Stunden-Tagen Kamerafutter hergeben, zudem unter extremem Zeitdruck, das beinhaltete alles, was für mich gesundheitlich nicht gerade gut ist.
Aber ich war neugierig. Ich wollte es einmal erleben, wie es sich innen anfühlt, sein Können bei einer Auswahl für eine Fernsehsendung zu zeigen und ich wollte authentisch wissen, wie die Produktionsbedingungen bei Reality-Formaten sind. Und, mal den ganzen rationalen Quatsch beiseite, die kleine Diva in Miz Kitty war der Meinung, jetzt sei nun endlich der Zeitpunkt, als Star entdeckt zu werden, darauf wartet sie nun schon, seit sie 14 ist.

Vielleicht ein Einschub für diejenigen, die hier nicht schon lange mitlesen. Ich habe 15 Jahre lang für Kino und Fernsehen gearbeitet und ein Teil meiner Arbeit war, Leute auf Castings vorzubereiten, ihnen klar zu machen, wie sie sich von der Konkurrenz abheben, wo ihre Stärken sind und welche Schwächen eine Klippe sein könnten. Wenn jemand ein Casting gewonnen hatte, habe ich noch Bezahlung und Arbeitsbedingungen ausgehandelt und die Dreharbeiten unterstützend aus der Ferne begleitet und ggf. auch noch mal interveniert, wenn etwas nicht nach Absprache lief.

Das habe ich natürlich bei der Bewerbung nicht in den Lebenslauf geschrieben. Da ich immer für den Fiction-Bereich gearbeitet hatte, war es relativ unwahrscheinlich, dass mir im Reality-Bereich jemand über den Weg läuft, der oder die mich näher kennt. Also war ich die, die nach 20 Jahren wieder näht, weil sie in ihrer nicht näher bezeichneten Selbständigkeit kürzer getreten ist.

Erst einmal kam außer einer Eingangsbestätigung für die Mail eine ganze Weile nichts, nachdem ich die schriftliche Bewerbung losgesendet hatte. Dann, wie immer beim TV, sollte alles gleich, sofort und jetzt passieren. – Ich sollte nach ein paar Wochen Funkstille ein Telefon-Interview über meine Nähkünste und mich selbst geben.
Wenn man so hyperaktiv angerannt wird, muss man immer ein bisschen die Waage finden zwischen nicht engagiert genug oder überfallen, konfus und damit nicht gut wirken.
Aber es war ein nettes Gespräch und dann harrte ich weiter der Dinge, die da kommen sollten denn es sollte demnächst ein Casting in Berlin geben.

Als der Termin kam, meinte der Graf, er würde mich begleiten und so packten wir an einem Samstag die Nähmaschine zusammen und fuhren zum Nähkontor, ein wunderschöner Laden, der mich ganz doll und heftig an den Kurzwarenladen meiner Urgroßeltern erinnerte.
Was dann passierte, war das Filmübliche: Warten. Kurze Begrüßung und Einweisung. Wieder Warten. Fragebögen ausfüllen und kurzfristig rübergereichte Verträge unterzeichnen.
Ja, ich war die komische Olle, bei der die Praktikantin den Produktionsassi holen musste, weil ich einige Passagen  aus dem Vertrag streichen wollte. „Ja, dann kannst du leider nicht am Casting teilnehmen, das muss so!“ verfängt bei mir nicht.
(Nachdem eine sehr erfolgreiche Hollywoodproduktion überschüssiges Material in Videomaterialdatenbanken gab und die im Film eher winzige Rolle eines meiner Klienten als brutaler SS-Killer jahrelang zur ausführlichen Bebilderung von Geschichtsdokus herhalten musste, ohne dass er gefragt wurde oder einen Cent zusätzlich sah, bin ich da vorsichtig. Ich habe keine Lust, in einem Stockvideo unter „Frau am Rande des Nervenzusammenbruchs“ oder „nähende Muddi“  oder so verwurstet zu werden.)

Ich war im ersten Nähdurchgang, wir nähten einen Tulpen-Rock von einem Independent-Label. Ein bisschen tricky war, dass es nur ein Bügelbrett und zwei Zuschneidetische gab. Was ich aber für mich löste, indem ich, als alle anderen sich noch ansahen, wer denn jetzt zuerst da dran möchte, schon mal anfing. Ich weiß, ich bin kein Teammensch.
Die Zeit für den Rock war ok. Heute, wo ich noch mehr im Training bin, wäre ich wahrscheinlich schneller. Die Sachen, die sonst immer bremsen – gut versäubern, anpassen etc. waren nicht gefordert. Aber es gab diese ganz ekligen Dinge wie einen innen umgeschlagenen Bund im Nahtschatten annähen und einen Reißverschluss einnähen, die ich ohne heften so gar nicht mag. Dann hatte ich noch den Belag für den Saum falsch herum angenäht und kam beim Handsäumen recht unter Druck. (Wo ich mitbekam, dass es tatsächlich Näherinnen gibt, die es nie gelernt haben, Handnähte zu machen.)

Zwischendrin kam auch mal die Kamera und es gab ein kleines Interview, da wußte ich von einem Jahre zurückliegendem Gespräch mit jemandem, der beim Promi-Dinner mitgemacht hatte, dass es hier wichtig war, mit guter Kamerapräsenz zu antworten, möglichst für den Schnitt mit nicht zu langen Sätzen, aber auch Grenzen zu setzen und das Gespräch zu beenden, wenn einem die Zeit wegläuft.

Danach war erst einmal Pause und es gab belegte Brötchen. (Wichtige Set-Regel: Nimm dir gleich was, bevor die hungrigen Praktikanten die Platten wieder wegtragen.)
Ich hatte mich ganz wacker geschlagen, in der Bewertung der Näharbeit wurde mein zu grober Handsaum kritisiert (den mache ich seitdem feiner und habe mir dazu auch feinere Nadeln gekauft) und der nicht perfekt umgenähte Bund. Ich fasse die Innenseite eines Bundes nämlich immer mit Band und schlage sie nicht nach innen um, darin hatte ich keine Übung.

Ich hatte Zeit, mit den Mitnäherinnen zu plaudern und lernte unter anderem Constance von Santa Lucia Patterns kennen, in deren Shop ich seitdem auch gern kaufe, zum Beispiel den Schnitt für das Kielo Wrap Dress und lief Frau Crafteln über den Weg, die in der zweiten Schicht nähte. Wir schlugen die Zeit mit Kaffee und Kuchen tot und warteten auf unsere Interviews.
So ein Casting ist ja eine Typbesetzung. Wenn du gut nähen kannst, ist das von Vorteil, aber es gibt eine Menge andere Kriterien – gute Ausstrahlung, Charisma, Unverwechselbarkeit, Kamerapräsenz, Streßresistenz und Belastbarkeit. Es wird – gerade in so einer Sendung, die ihre Kandidatinnen nicht verlacht und vorführt – vor allem nach Sympathieträgerinnen und auffälligen Identifikationsfiguren für die Zielgruppe gesucht.
Ich hatte mir vorher die erste Staffel des GBSB angesehen und außerdem The Great Baking Show und den deutschen Ableger, um zu sehen, wie die Unterschiede in Casting und Realisierung sind. Fazit: Was in England in zurückhaltendem Landhaus-Schick gestylt war, war in Deutschland knietscherosa und zum Zahnschmerzen bekommen niiiiieeeedlich.
Beim GBSB fiel mir auf, dass die Location der ersten Staffel zu eng war, die Kamera hatte kaum Platz für Totalen und dass die Wettbewerbs-Zeitpläne, die behauptet wurden, nicht stimmten, denn es war manchmal plötzlich dunkel draußen. Die alte Dame, die gewann, war eine wunderbare Verkörperung der „guten alten Zeit“ gemischt mit Moderne. Außerdem war zu sehen, dass es von jedem Typ nur eine/einen gab. Ein buntes Rockabilly-Girl, eine stille Hausfrau mit großen Träumen, eine herzliche, kluge dicke Frau, die alle überrascht, eine ehrgeizige junge Frau, die Designerin werden will, ein knuffiger Typ, der sich natürlich vollkommen überschätzt etc. pp.

Ich hatte überlegt, wo ich mich einsortierte und war bei der älteren Lady gelandet, wußte aber, dass ich dazu zu jung war. Im Casting plauderte ich nett und kamerapräsent mit der Producerin, aber es passierte das, was mir an der Stelle immer passiert. Ich war in tiefer Distanz zu mir selbst und fand das alles nix für mich. Ich wollte es nicht und war einfach nur müde.

Ich bin nicht umsonst seit 20 Jahren die, die mit den Worten „Showtime, Baby!“ jemandem die Federboa umlegt und einen Klaps auf den Hintern und ein kräftiges Toi-Toi-Toi später diesen Menschen auf die Bühne ins Rampenlicht schiebt.
Da fühle ich mich wohl, das ist mein Feld.

In den Wochen hinterher – es gab ja noch einmal eine Verschiebung um mehrere Monate – hoffte ich inständig, dass niemand anruft und sagt „Wir haben und für Sie entschieden, ist das nicht toll?“ Ich hatte gerade ganz andere Sorgen und musste dringend angestellt Geld verdienen, um die Krankenkasse wechseln zu können. Und solche Shows sind super anstrengend und ein Zuschussgeschäft.

Dann hörte ich von anderen, dass es los ging, ich war nicht dabei, hatte aber bereits meinen Job gefunden und mir fiel ein mächtiger Stein vom Herzen und ich fieberte lieber mit denen mit, die ich kannte.

9 Gedanken zu „Casting mal andersherum

  1. Du hast die seltene Fähigkeit, einen gleichzeitig in der Geschichte zu halten und zu kommentieren.

  2. Ein wunderbarer Einblick in das Geschehen in und rund um das Casting. Danke!
    LG
    Wiebke

  3. „gerade in so einer Sendung, die ihre Kandidatinnen nicht verlacht und vorführt“ – ich hoffe so sehr, dass du recht hast.

    • Naja GMK hat zumindest in den Interview gemeint, daß seine Kommentare nicht nachträglich aus der Green Box kommen und situativ haut man in der Regel nicht so drauf, es sei denn, man bemüht sich darum, Dieter Bohlen zu beerben.

  4. Danke für deinen Bericht. Ich freue mich immer, Gedanken, Gefühle und Hypothesen rund um die Sendung, jenseits der Mainstream-Berichterstattung zu lesen!

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