Auf der Startrampe

Letzte Woche klingelte das Telefon. „Sag mal, warum meldest du dich nicht? Ich habe dir gestern schon auf die Mailbox gesprochen.“
Ich stammelte etwas von „Oh! Ähm! Garnicht gemerkt!“, tatsächlich hatte ich das Handy beim Seminar zwei Tage vorher leise gestellt und die Display-Nachricht vom ins Leere gegangenen Anruf war von Messages vom Kind verdeckt worden.
„Ich habe dir doch die Nachricht hinterlassen, dass wir uns für dich entschieden haben. Wir wollen gerne mit dir arbeiten.“
Hölle, Hölle, Hölle, Kitty. Erst kommst du mit dem Eindruck aus dem Vorstellungsgespräch, dass sie dich komplett bescheuert und verzickt fanden mit deinem „ich kann mich nur langsam und vorsichtig einarbeiten!“ und jetzt müssen sie dir auch noch hinterherrennen.

Vor zwei Tagen trabte ich dann zum Vertragsgespräch. Ich war auf alles eingestellt, aber nicht, dass mir einer der Chefs, mit dem Telefonhörer am Ohr und ein paar Gesten, die „ich hab grad Streß, sorry!“ bedeuteten, einen Vertrag zum Durchlesen auf den Tisch packt. Beim Lesen rieb ich mir die Augen und kniff mich ab und zu. Ick meene, dit is hier Berlin, Hometown of prekäre Beschäftigungsverhältnisse! Anspruchsvoll, unbefristet, ordentlich bezahlt, viel Urlaub. Krass. Ich habe das an Ort und Stelle unterschrieben, ohne Wenn und Aber.

Irgendwann vor ein paar Wochen, als ich wirklich ganz verzweifelt überlegte, ob mich jetzt markenmäßig zur Kunststrickomi und Lebenshilfebuchautorin im Selbstverlag aufbaue, hatte ich mir als letzten Versuch die Vision ausgemalt, wie meine berufliche Zukunft aussehen soll:
Nicht mehr selbst Strukturen bauen müssen, nicht mehr das ganze Risiko allein tragen, eigenständig in einem Team agieren. Ok., aber nicht übermäßig verdienen, um nicht unter Druck zu kommen. Meine Kenntnisse und Erfahrungen aus 7 Jahren Theater, 20 Jahren Arbeitsvermittlung und Karriereberatung nicht nur in der Medienbranche und einigen Jährchen Internetkommunikation nutzen können. Einen eigenen Schreibtisch haben, wenig/keinen Publikumsverkehr und keine Reisetätigkeit. Rückkehr ins soziale Netz.* Und – als Sahnehäubchen – keine Projektarbeit, ich mag es, wenn die Arbeit ein langer Fluss ist.

Dann seufzte ich und schrieb weiter meine Bewerbungen für Assistenzstellen in der Geschäftsleitung, bei denen schon die Arbeitsbeschreibung offenbarte, dass da eine mies bezahlte Halbtagskraft anderthalb Jobs machen sollte.
Für eine Magazinredakteurinnenstelle im Hochschulbereich, ebenfalls halbtags, Schwerbehinderte bevorzugt, die (sagte man mir über eine Freundin) ein 50-Stunden-Pensum bedeutete, ohne die Chance, die Überstunden jemals abzubummeln.**
Als Stoffladenverkäuferin und Näherin zum Mindestlohn. Als Bookerin für Taxis und Bundestagsfahrten oder technische Hotline-Betreuerin für ein Maschinenbauspezialprodukt, wo ich einfach nicht hinpasste, was mir auch gespiegelt wurde. Für eine Stelle als Filmarchivarin, bei der tiefe Kenntnisse in Filmgeschichte erforderlich, aber maximal ein Berufsabschluss als Medienarchivfachangestellte erlaubt waren. Für eine weitere Assistentin der Geschäftsleitung, bei der die Altersrange mit 21-35 angegeben war (Medienbranche eben). Als Vertretungslehrerin, wo offenkundig wurde, dass Berlin offiziell händeringend Leute sucht, ich aber (wie wahrscheinlich viele) vom Schulamt als falsch qualifiziert abgelehnt wurde.*** Als Abendsekretärin im Bundestag (wobei ich da überlegte, ob das nicht ein spezielles Girl Friday sein sollte) und als persönliche Mitarbeiterin eines Politikers, der seine Suchkriterien per Tweet konkretisierte: Er wolle Bewerbungen von netten jungen Mädels. Als Kostümassistentin beim Musical, eine Stelle die ich schon gemacht hatte, die mittlerweile so verdichtet ist, dass die Arbeit von 10 Stunden in 5 1/4 gequetscht wird, Bezahlung hart am Mindestlohn, halbtags ausgeschrieben, mit Überstunden, Flexibilitätserfordernis und selbst zu finanzierender Arbeitsschutzkleidung.
Ich habe genau den Rundumschlag gemacht, den ich auch in Beratungen empfehle, wenn es hakt, um sich auf dem Arbeitsmarkt neu zu kalibrieren (und ich habe noch nicht mal in die ganz tiefen Abgründe geschaut). Da war meine Überlastungserfahrung hilfreich. Mir wurde beim Lesen mancher Stellenanzeigen einfach übel und ich fing an zu zittern.

Das zu bekommen, was ich nun machen werde, war ein Klassiker an Netzwerk-Verbindungen. Ich kannte einen der Geschäftsführer ganz flüchtig über einen Freund und Kollegen, der dort auch einmal kurzzeitig gearbeitet hatte. Diesen Freund wiederum sprach ich irgendwann bei einem Telefonat an, ob diese Firma Leute sucht und erzählte ihm von meinen Jobsucheerlebnissen. Der traf sich Wochen später mit dem Geschäftsführer, mit dem er befreundet ist, zum Essen und sprach ihn ganz nebenher auf mich an… Man suchte dort nicht explizit, aber ich passe gut rein, mit dem, was ich kann.

Anfang März geht es los und es war erst mal viel zu organisieren. Erste Reaktion wie immer „AAAAAAH! Was zieh ich an?“(Die andere Belegschaft ist wesentlich jünger und sehr sportlich.) Madame braucht für den Start ein paar gut aussehende, bequeme und nicht zu abgeranzte Klamotten. Die vielen Jahre Homeoffice und die DIY-Projekte haben in meinem Schrank eine Mischung aus Auffälligem, Sommerlichem und Schlumpsigem hinterlassen. Selber nähen bleibt unbedingt, aber ich werde mich wohl auch mit Jersey beschäftigen müssen. Die Haare sind schon gebändigt, entgraut und um 20 cm gekürzt. Die leeren Schminktöpfchen sind aufgefüllt. – Bei manchen Sachen hatte ich mir geschworen, dass ich sie erst neu kaufe, wenn ich wieder einen Job habe.
Dann folgten Telefonate mit Krankenkassen, die Absagen der anderen Bewerbungen (die zweite Kandidatin für die Redakteurinnenstelle hat sich sicher gestern gefreut) und diverse steuerrechtliche Recherchen.

Jetzt ist alles bereit und dann gehe ich nächste Woche (also eigentlich übernächste) los und benutze meine panischen Ängste als persönliche Assistenten. Die sind nämlich schon ganz aktiv und halluzinieren von Komaschlafanfällen am Schreibtisch, einfach umfallen oder Panikattacken, die sich in dominanter Biestigkeit äußern. Die dürfen mir jetzt helfen und mir Signale geben, wenn es tatsächlich an die Substanz geht, ich mich übernehme oder zu weit aufdrehe.

Haltet mir die Daumen. Ich hätte wirklich Spaß an der Arbeit.

*nachdem ich meine Alterssicherung verloren hatte und die private Krankenversicherung mich regelmäßig im Regen stehen ließ, aber immer teurer wurde

**Wobei ich da jemanden wohl schwer in die Bredouille gebracht hatte und mir der Job deshalb so horrormäßig beschrieben wurde. Das war eine interne Ausschreibung und es gab nur zwei Bewerbungen. Diejenige, die sie sich schon ausgekuckt hatten und ich. Und nun kam ich mit meinem Schwerbehindertenbonus daher…

***Eine Freundin von mir macht so etwas jetzt. Sie hat eine Entertainment-Ausbildung in England gemacht. Allerdings war der Türöffner ein Institut, dass das Sonderbildungsprogramm personalmäßig bestückt.

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44 Gedanken zu „Auf der Startrampe

    • Danke! Und auch bei Ihnen wird das. Es dauert eben nur länger, wird sind nicht mehr so formbar, wir müssen passen.

  1. ach, das ist ja wunderbar! Ich freue mich wie Bolle für dich! Alles, alles Gute für den Start und den Alltag!

  2. Wie schön. Alles Gute.
    Und wenn ich’s wieder mal brauche, dann nütze ich deinen Text in der Fortbildung als brilliantes Beispiel für Empoverment. Danke.
    Mema

    • Danke! Das macht mich ganz verlegen. Denn dazwischen ist auch ganz viel Frust, Verzweiflung und hängende Ohren.

  3. Ich freue mich SO! SO! sehr. Wünsche dir das Allerbeste für Start und Einarbeitung – zumindest bin ich mir sicher, dass du dich und deinen Platz im Drumrum inzwischen ganz ausgezeichnet einschätzen kannst. HACH!

    • Danke! Und liebe Kaltmamsell, das wird auch bei Ihnen, ganz bestimmt! Sie arbeiten da jetzt schon so lange dran.

    • huch jetzt habe ich das Bloggerinnen-Sie genommen, fühl dich umarmt. Ich denke sehr oft an dich, wenn ich wieder von Anlehnungen lese.

  4. Wow, das klingt nach Haupttreffer! Herzlichen Glückwunsch!

    Mein „Rundumschlag“ vor 15 Jahren führte mich nach vielen vergeblichen Bewerbungen ins Call-Center, wo ich scheinselbständig für nen Hungerlohn Leuten irgendwelches Zeug aufschwatzen durfte, und dann in die Zeitarbeit, wo sich mir bei 5 Jobs in 5 Jahren keine Türen öffneten. Die erste Firma ne kleine Klitsche ohne passende Jobaussichten, die zweite gerade in Fusion, wobei „meine“ Abteilung schließlich noch dicht gemacht wurde, die dritte in Abwicklung, die vierte nahm lieber jemand, der via Praktikum schlicht länger dabei gewesen war als ich, und in der fünften habe ich mich wegen des unterirdischen Betriebsklimas erst gar nicht beworben.

    Alles Gute für den Neuanfang … alles wird gut.

    Viele Grüße
    Ursula

  5. Herzlichen Glückwunsch und viel Erfolg mit der neuen Stelle! Das mit dem wenig kompatibel würde ich übrigens nicht unterschreiben. Wenn man sich nicht ausbeuten lassen oder nach wenigen Monaten / Jahren nur noch widerwillig zur Arbeit schleppen möchte, ist die Marktsituation schon gleich nicht mehr so super. Im Chancen geben ist das deutsche Arbeitsmarktsystem nicht wirklich gut.

    • Ja, das stimmt. Ich denke immer noch darüber nach, warum der deutsche Arbeitsmarkt so träge und bräsig ist. Wer sich erstmal festgezuzelt hat, bleibt wiederwillig hocken, dafür kommen andere nicht rein.
      Das ist wie beim Spurwechsel auf der vollen Autobahn.

    • Ich finde ja auch, das war jetzt langsam dran. Obwohl es ja noch nicht ausgestanden ist.

  6. Wie herrlich!!!! Herzlichen Glückwunsch! Es gibt Chefs und Chefinnen, die wissen, dass dauerhaft gute Arbeit nicht von Ausbeutung kommt. Du schaffst das sicher und wirst Spaß dabei haben.

    • Danke! Naja, die Entspanntheit der Chefs kommt auch von dem Boom, den die grade erleben. Das war auch mein Gedanke: Ich muß wieder eine Branche finden, die im Aufwind ist.

  7. Pingback: Results for week beginning 2015-02-16 | Iron Blogger Berlin

  8. yeaaaaaaaaaaaahhh….. chakka….. ich freu mich wie verrückt für dich liebe mizzkitty! das klingt hervorragend, es klingt fast wie ein romantisches happy end in einem langen film und logo geht es jetzt erst los. aber so ist es ja immer bei glücklichen ausgängen, dass mit ihnen was ganz neues anfängt.
    ich bin sooooooooooooooooo gespannt, was du dann so alles berichtest.
    *sekt – konfetti – seifenblasen – sekt*

    • Danke! :) Die Analogie mit dem Happy End trifft es ganz gut, das behalte ich mal im Kopf.
      Und jetzt hasche ich noch ein bißchen nach Seifenblasen. Noch drei freie Tage…

  9. Glückwunsch – das hört sich gut an – ganz ruhig bleiben, öfters mal tief durchatmen und bis 10 zählen.

    • Ja, auf jeden Fall. Und auf den inneren Mechanismus achten, der von mir verlangt, nie Fehler zu machen und alles im voraus zu wissen.

  10. Masel Tov!
    Und dass Sie wieder in der GKV sind kommt einem Lottogewinn gleich.
    Um sich im Alter die Beiträge zur Privaten leisten zu können, muß man eigentlich lebenslang das Gehalt eines Vorstandsvorsitzenden bezogen haben.
    Mein Mann hatte mit Ü60 fast 700 Öcken Monatsbeitrag und durch einen glücklichen Umstand konnte er zurück in die Gesetzliche. Ist ein Segen, nur noch das Versichertenkärtchen zücken zu müssen.
    Und das mit den Altersrückstellungen, das ist Augenwischerei.

    • Danke! Das mit dem Krankenkassenwechsel ist auch jedes Jahr anders. Mal geht es gar nicht, mal muß man mindestens anderthalb Jahre angestellt sein und das Gewerbe abmelden. Derzeit ist es scheinbar ganz easy, da reicht es, einen Arbeitgeber zu haben und wenn man in der Probezeit rausfliegt, bleibt man angeblich trotzdem in der GKV. Es gab wohl die Tendenz zu zu vielen Leuten, die gar keine KK mehr hatten.
      Das richtig ärgerliche an meiner PKV war, daß sie sich in der Zeit, als ich wirklich ernsthaft und schlimm krank war, zu zahlen weigerte und ich mich neben Burnout und Depressionen mit dem Fakt beschäftigen musste, dass ungefähr 15.000 € Behandlungskosten an mir hängenbleiben sollten.
      Das habe ich denen nicht vergessen.

  11. Das ist richtig, die Kassen überprüfen, ob da nur ein Scheinarbeitsverhältnis eingegangen wurde um aus der PKV rauszukommen.
    Inzwischen herrscht Versicherungspflicht und deswegen gab es in 2014 eine auf 3 Monate begrenzte Amnestie für Personen mit Beitragsrückständen.
    Seit ich den Wechsel für meinen Mann hinbekommen habe, lese ich immer noch im Krankenkassenforum mit. Schlimm, welche Dramen sich abspielen.
    Dass die Privaten nötiges nicht zahlen ist leider die Regel. Und die Tarife veralten und man wird regelmäßig angehalten neue Vertragsbedingungen zu akzeptieren.
    Psychotherapie o.ä. zahlen die eh nicht und was Sie hier erzählen ist leider die Regel.
    Ich hatte schon mal in Erwägung gezogen, Ihnen zu dem Thema was zu schreiben und verwarf es wieder wg. „unerbetener Ratschläge“.
    Ich freue mich sehr für Sie.

    • Das Fiese ist ja: Ich hatte extra einen Vertrag mit psychotherapeutischen Leistungen abgeschlossen. Ich bin nun mal eine Kopfarbeiterin, dort kommen die Ausfälle und Probleme am wahrscheinlichsten.
      Ich habe weder Bandscheibenprobleme noch bin ich durch die Arbeit körperlich kaputt. Das würde man mir wiederum diskussionslos zahlen.

  12. Darf man übrigens fragen, welche Branche es ist, in der du nun tätig sein wirst – mithin also welche da ‚im Aufwind‘ ist? Meinem kleinen grauen Kasten will nämlich aus dem Stand keine einfallen, von der ich es sagen würde.

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